Ärger wegen Liefergebühren

Beschaffungskosten: Wann zahlt die Kasse?

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Berlin -

Nicht nur die Lieferengpässe fordern den Apotheken ein erhöhtes Maß an Flexibilität beim Einkauf ab. Auch die Kontingentierung zwingt mitunter dazu, auf Pharma Mall oder Spezialgroßhändler wie Virion auszuweichen. Das geht zu Lasten der Konditionen, und nicht selten werden sogar zusätzliche Gebühren fällig. Die Kassen sehen sich nicht in der Pflicht, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen. Was passiert eigentlich, wenn die Abgabe zum Verlustgeschäft wird? Muss das Rezept dann noch beliefert werden?

Mit seinen neuen Lieferkonditionen hat der Spezialgroßhändler Virion viele Inhaber:innen aufgeschreckt. Neben verkürzten Zahlungsfristen, die die Liquidität der Apotheke belasten können, sind nämlich auch zusätzliche Gebühren vorgesehen, die es in sich haben:

  • Bei einem Bestellwert von unter 3000 Euro fällt eine Versandgebühr von 50 Euro an.
  • Für Lieferungen am Samstag oder im Frühdienst fällt eine Sondergebühr von 40 Euro je Versand an. Die Versandgebühr kommt unter Umständen hinzu.
  • Gebühren für Sonder- und Kurierfahrten werden nach Aufwand berechnet, auch hier zusätzlich zu etwaigen Versand- oder Sondergebühren.

Weil die Phoenix-Tochter einige Hochpreiser exklusiv vertreibt, sehen sich Apotheken unter Druck gesetzt. Nicht wenige Kolleg:innen haben der Änderung widersprochen, die eigentlich zum 15. Februar in Kraft treten sollte. Zwar hat das Unternehmen in persönlichen Gesprächen wohl zu Protokoll gegeben, dass zumindest die Versandgebühr nur für den Großhandel gelten soll. In den AGB findet sich diese Einschränkung aber nicht. „Dem Kunden steht es frei, Sendungen selbst abzuholen“, heißt es stattdessen.

Abrechnung für Ausnahmefälle

Theoretisch können Apotheken Sonderbeschaffungskosten bei der Krankenkasse abrechnen. Dazu heißt es in § 8 Arzneimittelpreisverordung (AMPreisV):

„Unvermeidbare Telegrammgebühren, Fernsprechgebühren, Porti, Zölle und andere Kosten der Beschaffung von Arzneimitteln, die üblicherweise weder in Apotheken noch im Großhandel vorrätig gehalten werden, können die Apotheken mit Zustimmung des Kostenträgers gesondert berechnen.“

Aber sind davon Gebühren wie bei Virion erfasst? Immerhin sind die betroffenen Hochpreiser nicht grundsätzlich vom Vertrieb über den vollversorgenden Großhandel ausgeschlossen, sondern dort nur häufig nicht zu bekommen. Und streng genommen ist die Phoenix-Tochter selbst ein Großhändler, sodass die Klausel womöglich ins Leere läuft.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will sich dazu nicht äußern: „Ob die einzelnen Kosten einer Sonderbeschaffung durch die abgebende Apotheke abgerechnet werden können, richtet sich nach der Zustimmung des jeweiligen Kostenträgers“, so eine Sprecherin auf Nachfrage. „Die arzneimittelbezogene Abrechnung der Großhandelsvergütung folgt aus § 2 der Arzneimittelpreisverordnung. Inwieweit die Abrechnung weitergehender Positionen zulässig ist, kann nicht pauschal beurteilt werden.“

Abweichende Lieferverträge

Auch der GKV-Spitzenverband fühlt sich nicht zuständig: Die Umsetzung der Regelung nach § 8 AMPreisV sei nicht Gegenstand des Rahmenvertrags, sondern gegebenenfalls von ergänzenden regionalen Vereinbarungen. „Insofern sollten Sie sich hierzu an die Kassen auf Landesebene beziehungsweise ihre Landesverbände wenden.“

Bayern

In Bayern können Apotheken laut Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände (Arge) eventuelle Gebühren „mit Zustimmung des Kostenträgers“ gesondert abrechnen, die nach dem Wortlaut von § 8 AMPreisV erfasst sind. „Ergänzend regelt der landesspezifische Arzneiliefervertrag zwischen den gesetzlichen Krankenkassen in Bayern und dem Bayrischen Apothekerverband (BAV), dass solche Sonderbeschaffungskosten im Einzelfall und auf Nachfrage durch Nachweis über die tatsächlich entstandenen Kosten abrechenbar sein können. Dabei ist die Bewertung einzelner Großhändler oder bestehender Beschaffungsoptionen dem Einzelfall zuzuordnen und erfolgt gemeinsam mit dem BAV.“

Sachsen/Thüringen

Die AOK Plus übernimmt zwar laut Arzneiversorgungsvertrag grundsätzlich keine Kosten für die Beschaffung von Arzneimitteln: „Porto, Mindermengenzuschläge und Fernsprechgebühren für Rückfragen wegen ungenauer Verordnungen werden von der AOK Plus nicht bezahlt und dürfen auch dem Versicherten nicht in Rechnung gestellt werden.“

Allerdings können auch in Sachsen und Thüringen eventuelle Beschaffungskosten nach § 8 AM PreisV abgerechnet werden. „Arzneimittel, die üblicherweise weder in Apotheken noch im Großhandel vorrätig gehalten werden oder die medizinisch begründet bei taggleicher Vorlage der Verordnung im Rahmen des Notdienstes zu beschaffen sind, können ohne vorherige Zustimmung bei der AOK Plus abgerechnet werden“, heißt es dazu. „Es sind jedoch nur die tatsächlich entstandenen Kosten abrechnungsfähig. Bei Teillieferungen sind Beschaffungskosten nur einmalig pro Verordnungsblatt abrechnungsfähig.“

Eine Genehmigung wird nicht gefordert; nur wenn die Beschaffungskosten bei mehr als 7,50 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer liegen, ist vorab Rücksprache mit der Kasse zu halten. Die Rezepte sind mit der entsprechenden Sonder-PZN zu kennzeichnen. „Bei Nichtbeachtung erfolgt keine Erstattung der Beschaffungskosten durch die AOK Plus.“

Niedersachsen

„Der Apothekenabgabepreis verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist gesetzlich geregelt und umfasst auch einen Abschlag für den pharmazeutischen Großhändler“, so die AOK Niedersachsen auf Nachfrage. Diese Preise seien als Berechnungsgrundlage gegenüber den Apotheken bindend, um „die Versicherten ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und im Rahmen des Notwendigen zu versorgen“.

Was die in § 8 AMPreisV genannten Aufwendungen angeht, wurde im Arzneimittelversorgungsvertrag präzisiert, dass es sich um „unvermeidbare und glaubhaft gemachte Beschaffungskosten für Fertigarzneimittel, die beim Großhändler nicht vorrätig sind“ handeln muss.

Konkret genannt werde folgende Fälle:

  • Import aus dem Zoll-Ausland
  • Fertigarzneimittel, die wegen termingebundener Anwendung oder individueller Herstellung nicht vorrätig gehalten werden können
  • seltene Impfstoffe und Seren

Für Präparate wie Lynparza, Calquence und Tagrisso, sei ein Bezug über den Großhandel prinzipiell möglich, daher fallen sie nach Auffassung der AOK Niedersachsen nach nicht unter §8 der AMPreisV. „Sollten in einem Einzelfall entsprechende Kosten nicht zu umgehen sein, regelt §8 AMPreisV eindeutig, dass die Zustimmung des Kostenträgers für die einzelne Verordnung einzuholen ist.“

„Ein Abschlag eines Großhändlers über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus ist hier nicht vorgesehen. Ansprechpartner für eine Änderung der AMPreisV im Sinne einer Margenerhöhung für den pharmazeutischen Großhandel bei hochpreisigen Arzneimittel wäre die Politik beziehungsweise der Gesetzgeber“, so ein Sprecher. „Eine Verschiebung auf die einzelne Kasse sehen wir nicht als zielführend an.“

Baden-Württemberg

Die AOK Baden-Württemberg vertritt wie die AOK Rheinland/Hamburg die Auffassung, dass nur Kosten abgerechnet werden können, die vom Wortlaut von § 8 AMPreisV gedeckt sind. „Die Kosten sind auf Nachfrage der Krankenkasse mit den Rechnungsbelegen nachzuweisen. Entsprechendes gilt im Notfall für unvermeidbare Beschaffungskosten im Notdienst.“

Ersatzkassen haben Zweifel

Ähnlich sehen es Barmer, TK, DAK & Co.: „Grundsätzlich können Beschaffungskosten von Apotheken nur dann mit der GKV abgerechnet werden, wenn es sich um ein Arzneimittel handelt, das üblicherweise weder in Apotheken noch im Großhandel vorrätig gehalten wird“, so der Ersatzkassenverband vdek. „Beides trifft aus unserer Sicht hier erst mal nicht zu, womit eine Erstattung durch die GKV ausgeschlossen wäre. Wir staunen wir über das hier vorgestellte neue Geschäftsmodell, dessen Zulässigkeit unserer Einschätzung nach noch zu prüfen wäre.“

Abda abgetaucht

Für die Apotheken stellt sich die Frage, wie sie mit der Sache umgehen sollen. Greift der Kontrahierungszwang, wenn die Beschaffungskosten die gesetzliche Marge im Extremfall sogar überschreiten? Muss man in dringenden Fällen das Risiko eingehen, dass die Patientin oder der Patient rechtzeitig versorgt wird – und die Kasse die Kostenübernahme hinterher ablehnt?

Die Abda wollte sich auf zweimalige Nachfrage nicht zu äußern. Einige Juristen vertreten allerdings die Auffassung, dass ein vorgelegtes Rezept im Grundsatz immer beliefert werden muss – und zwar unabhängig davon, ob ein Medikament beim Großhandel verfügbar ist und ob zusätzliche Beschaffungskosten anfallen. Ab wann Gebühren als Verstoß gegen die gesetzlichen Preisvorschriften zu bewerten und damit unzulässig sind, werden wohl Gerichte entscheiden müssen.

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