Neues Führungsduo

Berliner Kammer: Alte Zöpfe, neue Besen

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Berlin -

Die Berliner Apothekerkammer hat seit diesem Sommer ein neues Führungsduo: Dr. Kerstin Kemmritz und Dr. Björn Wagner haben angekündigt, frischen Wind in die Kammerarbeit zu bringen, und müssen nun liefern. Mehr Kommunikation und mehr Partizipation sind das Gebot der Stunde. Im Doppelinterview fühlt APOTHEKE ADHOC den beiden auf den Zahn.

ADHOC: Sie haben angekündigt, Licht in die Dunkelkammer zu bringen. Sie sind jetzt seit Mai Kammerpräsidentin, aber allzu viel haben wir seitdem noch nicht gehört. Woran liegt das?
KEMMRITZ: Ich fühle mich damit natürlich noch nicht wohl, dass es von draußen weiterhin so dunkel aussieht. Deshalb führen wir ja auch solche Gespräche hier. Aber wir müssen erst einmal Kommunikationsmöglichkeiten aufbauen und quasi die Leitungen legen. Neue Lampen alleine reichen da nicht. Wir haben im Moment für die Kommunikation nach draußen nur ein Kammerrundschreiben, das viermal im Jahr alle Mitglieder analog erreicht. Mit Druckfreigabe und allem Drum und Dran können Sie sich vorstellen, wie aktuell das ist. Dann gibt es noch Briefe und einen Newsletter mit geringer Verbreitung. Das heißt, im Moment haben wir eigentlich keine zeitgemäße Struktur, die eine aktuelle Berichterstattung und Partizipation der Mitglieder ermöglicht.
WAGNER: Das ist nicht einfach, das hier ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Wir haben die Ideen und sind sehr engagiert, aber Prozessänderungen dauern eben ein bisschen.

ADHOC: Welche Projekte haben Sie denn da auf dem Tapet?
KEMMRITZ: Demnächst müssen wir einen neuen Haushalt aufstellen. Damit können wir die Möglichkeiten für das schaffen, was im nächsten Jahr kommen soll. Der ganze Bereich Öffentlichkeitsarbeit soll neu konzipiert werden. Leider erst nächstes Jahr, denn das Jahr ist quasi gelaufen. Der Haushalt ist verplant. Das heißt nicht, dass wir nicht kommunizieren. Aber im Moment haben wir nur die Möglichkeiten, die bisher da waren und die sind alles andere als sexy. Aber wir wollen sowohl von den Medien als auch vom Auftritt neuer, frecher, aktueller werden. Wir werden verstärkt Online-Umfragen nutzen, die Homepage umbauen und verschiedene Newsletter-Formate bedienen. Diskussionsforen, bewegte Bilder, vielleicht auch Podcasts. Alles ist möglich. Aber nicht alles sofort.

ADHOC: Herr Wagner, Sie vertreten ja mit Ihrer Liste die Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung. Welche besonderen Interessen haben die denn?
WAGNER: Die Interessenvertretung einer Organisation wie der Kammer richtet sich an alle Apotheker. Wir wollen deshalb Formate schaffen, die auch für die angestellten Apotheker einen Mehrwert bieten, neue Fortbildungsformate beispielsweise. Erst einmal ist aber wichtig, dass wir in der Delegiertenversammlung die Heterogenität des Berufsstandes abbilden. Hier sitzen jetzt beispielsweise ein Kollege aus dem GKV-Spitzenverband, Verbandsleute, sogar jemand von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

ADHOC: Das Verhältnis zur Liste Offizin-Apotheke Ihres Vorgängers Dr. Christian Belgardt war ja in der Vergangenheit nicht immer konfliktfrei. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit seit ihrem Amtsantritt?
WAGNER: Wir haben in den ersten Wochen viel Gegenwind bekommen. Aber das ist ja auch klar, da gibt es eine ganze Menge alte Zöpfe, viele Leute, die von dem jahrelang etablierten System profitiert haben. Dann kommen die Neuen und sagen, sie wollen jetzt vieles anders machen. Ich bin froh, dass wir mittlerweile eine ganz gute Arbeitsbeziehung auch zu der Liste von Herrn Belgardt gefunden haben, aber es war am Anfang ganz schön kompliziert. Ich wurde beispielsweise oft gefragt, wie ich als WIV-Delegierter die Interessen der Offizin-Apotheker vor Ort vertreten wolle.
KEMMRITZ: Was man da teilweise zu hören bekommen hat, war schon erschreckend.

ADHOC: Wird die Kammer mit Ihnen politischer?
KEMMRITZ: Wir sehen uns ja nicht nur als Selbstverwaltung, sondern sind auch Gestalter und wollen politisch aktiv sein. Hier in Berlin kommen ja alle zusammen, da kann man nicht sagen, dass alles nur die ABDA machen kann und muss. Wir sind als Hauptstadtkammer vor Ort und können durchaus auch mal unterstützen oder in den einzelnen Bezirken Veranstaltungen machen. Das ist auch Teil des Anspruchs, den wir an uns haben und den auch die Wähler an uns hatten. Es kribbelt uns allen in den Fingern, auch nach außen hin etwas Sichtbares zu produzieren. Aber dafür brauchen wir natürlich etwas länger als die ersten hundert Tage.

ADHOC: Sie wollen parallel zur ABDA politisch aktiv werden?
KEMMRITZ: Ideal wäre natürlich, wenn wir da gemeinsam an einem Strang ziehen. Dazu muss man aber erstmal wissen, was der Strang ist – und in den letzten zwei Jahren hat man da außer dem Rx-Versandverbot nichts gesehen. Das ist aber mittlerweile politisch tot. Da wird auch der große Erfolg der Bühler-Petition nichts ändern. Jetzt kommen zwar die Dienstleistungen, aber es ist noch nicht klar, welche das sein sollen. Wir wissen als Apotheker auch noch nicht, wie unser Arbeitsalltag aussehen soll mit Dienstleistungen, holländischem Versand, ohne vollständige Gleichpreisigkeit, aber mit E-Rezept. Diese Vision muss eigentlich die ABDA aufbauen, dafür ist die Standesvertretung da. Aber natürlich entwickeln wir dazu auch eigene Ideen, gerade zu den Dienstleistungen und praktikablen Umsetzungen. Wir können uns ja nicht für etwas einsetzen, wenn wir gar keine Vorstellung hätten, wie das gehen könnte. Aber das ist natürlich noch mal ein ganz eigenes Thema, da könnten wir jetzt noch Stunden drüber reden.

ADHOC: Welche Möglichkeiten haben Sie denn als Kammer, selbst politisch aktiv zu werden?
WAGNER: Ich glaube, dass wir als Berliner Kammer die Möglichkeit haben, mit den lokalen Berliner Stakeholdern gemeinsam etwas zu erreichen und uns in der Gesundheitsstadt Berlin besser zu vernetzen. Das ist auch eine Aufgabe, die wir identifiziert haben. Außerdem wollen wir mit allen politischen Parteien in den Dialog treten. Wir haben als Apotheker traditionell einen guten Zugang zur CDU, vielleicht auch der FDP, zumindest war es mal so. Aber wir haben zum Beispiel wenig Zugang zur SPD, zu den Linken, zu den Grünen. Da scheint es Bollwerke zu geben, die Probleme mit uns Freiberuflern haben. Aber ist es nicht auch unsere Aufgabe als Standesvertretung, breitere Koalitionen für unsere Interessenwahrnehmung zu schaffen? Wir konnten beispielsweise bei den Grünen bisher nicht mit Themen zum ökologischen Fußabtritt von Vor-Ort-Apotheken durchdringen. Ich glaube aber, dass da noch viel mehr Luft nach oben ist.
Außerdem fehlt mir bei der ABDA die fachliche Partizipation einer breiteren Basis der Apothekerschaft. Meiner Wahrnehmung nach sind viele der Dinge, die die ABDA macht, tradierte Modelle, Gremienarbeit, Hinterzimmer. Da haben wir bisher den Eindruck, das ist eine Closed-Shop-Atmosphäre. Das ist aber meines Erachtens nach nicht mehr die Art, wie man heute Politik machen sollte. Es braucht einen Perspektivwechsel und ich glaube, dass breitere Partizipation da ein zentrales Element ist. Man muss doch ein grundsätzliches Interesse daran haben, die Menschen, die man vertritt, auch zu hören. Da wollen wir hier in Berlin die ersten Schritte machen. Und wenn das klappt, wollen wir versuchen, das nach oben zu pushen. Durch so etwas bekommen Sie einen Perspektivwechsel. Wenn Sie nur ein paar Funktionäre auswechseln, bleibt das Fundament trotzdem dasselbe.
KEMMRITZ: Die ABDA hat es leider sehr oft gemacht, wie es früher sicher mal erfolgreich war: erst mal abwarten und Tee trinken. Aber das ist keine Vision mehr für die Zukunft. Wenn ein Konzept wie das E-Rezept erst einmal auf dem Tisch liegt, dann ist es zu spät. Dann müssen wir es erleiden, wie Jens Spahn es ausgedrückt hat. Wünschenswert wäre eigentlich gewesen, dass ein Großteil der Energie, die in den vergangenen Jahren nur in die Arbeit für ein Versandhandelsverbot gesteckt wurde, auch in diese Richtung gegangen wäre. Das mit dem Rx-VV war völlig ok nach dem EuGH-Urteil von 2016, aber nachdem der erste Kabinettsentwurf von Hermann Gröhe baden gegangen ist, war eigentlich klar, dass es da nicht so schnell nochmal einen Aufschlag gibt. Ab dem Zeitpunkt hätte schon ein Plan B diskutiert werden müssen. Gerade bei den Dienstleistungen war klar, dass die ohnehin on top kommen werden. Die hätte man bereits definieren können und dann beispielsweise mit Medikationsanalyse und Impfen einen Strauß für die Politik schnüren können. Aber das muss sich natürlich auch lohnen und es muss auch machbar sein in den Apotheken. Beides ist ja ziemlich aufwändig, wenn man das zu kompliziert macht oder zu billig verkauft, dann wird das ein totales Desaster. Aber wenn wir das jetzt als Berufsstand richtig machen, ist es wirklich eine Chance, endlich auch für pharmazeutisches Wissen ein Honorar zu bekommen. Und nicht immer nur Beratungsklau erleben und erleiden müssen.

Wie Kemmritz und Wagner die Politik des Verbandes und ihres Präsidenten Friedemann Schmidt einschätzen und welche Befürchtungen sie mit dem E-Rezept verbinden, erklären Kemmritz und Wagner morgen im zweiten Teil des Interviews.

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