Notdienst an der Grenze der Zumutbarkeit Julia Pradel, 31.01.2015 09:44 Uhr
Wie weit der Weg zur Notdienstapotheke sein soll oder darf, wird zwischen Apotheken, ihren Kammern und Patienten immer wieder diskutiert. In Bayern muss die nächste Apotheke – anders als in anderen Kammerbezirken – maximal 15 Kilometer entfernt sein. Zu wenig, fand eine Apothekerin aus der Oberpfalz, die 60-mal im Jahr Dienst leisten muss und auf Erleichterungen hoffte. Sie klagte gegen den Bescheid der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) – verlor aber vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (VG).
Catharina Stoll-Graml ist Inhaberin der Stadt-Apotheke im oberpfälzischen Grafenwöhr. Seit 1998 bildet die Apotheke eine Notdienstgemeinschaft mit sieben weiteren Apotheken im Umkreis, je zwei in Eschenbach und Pressath und einer in Kirchthumbach. Diese wurde allerdings zum Jahresende 2013 geschlossen. Seitdem gibt es in dem Notdienstbezirk einen 6er-Turnus im Springerzyklus, sodass bei jedem Durchlauf eine Apotheke übersprungen wird.
„Faktisch habe ich alle fünf Tage Dienst“, berichtet Stoll-Graml. Ein Familienleben sei damit kaum möglich, so die junge Mutter. Sie kritisiert, dass die Kammer bei der Abwägung der Interessen von Apothekern und Patienten die physische und psychische Belastung der Pharmazeuten nicht hinreichend berücksichtige.
Die BLAK lehnte die Dienstkreiserweiterung allerdings ab. Sie verwies auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 1989. Die Leipziger Richter hatten es seinerzeit für Patienten als gerade noch zumutbar angesehen, wenn die nächste diensthabende Apotheke 13 Kilometer entfernt sei. Außerdem führte die Kammer Vorgaben des Gesundheitsministeriums an: Demnach müssten Kunden in maximal 15 Kilometern eine Apotheke erreichen.
Stoll-Graml kritisiert, dass die BLAK an dieser starren Regelung festhält – obwohl die Kammern in anderen Bundesländern in Ausnahmefällen Entfernungen von 20 bis 25 Kilometern erlaubten. Sie hatte der Kammer vorgeschlagen, drei umliegende Orte in den Notdienstbezirk einzubeziehen. Würden 20 Kilometer angesetzt, wäre der Turnus schon viel besser, meint die Apothekerin. Und ein Auto brauche man sowieso, egal ob für 15 oder 20 Kilometer.
Zudem praktizierten in ländlichen Gebieten keine Ärzte mehr, die ihre Praxen außerhalb der Kernzeiten geöffnet hätten. Eine Notfallversorgung finde nur noch in zwei Orten statt – und die Patienten würden ihr Rezept direkt dort einlösen, so Stoll-Graml. Im Regelfall habe sie nicht mehr als einen Kunden pro Dienst. „Manche kommen noch schnell um sieben, andere wollen nachts Olynth, einen Schwangerschaftstest oder Zahnseide.“ Das stellt ihrer Meinung nach aber keinen Notfall dar. Daher gehe die derzeitige Regelung an der Realität vorbei. „Mein Ziel war es, die alten Strukturen und starren Kilometergrenzen aufzubrechen“, sagt die Apothekerin.
Vor Gericht scheiterte sie allerdings mit ihrem Ansinnen. Die Richter machten zwar zunächst deutlich, dass die Entfernung zur nächsten Notdienstapotheke von deren Anzahl abhänge – entsprechend müssten Abstriche hingenommen werden. Die Notdienstregelung dürfe aber nicht dazu führen, dass sich Patienten außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten nicht mehr in zumutbarer Weise mit Arzneimitteln versorgen könnten.
In der Frage, was zumutbar sei, folgte das VG im Wesentlichen der Argumentation der BLAK: Eine Anreiseentfernung von 15 Kilometern sei nicht zu beanstanden. Maßgeblich sei die „Zumutbarkeit der Bewältigung der Wegstrecke“. Bedenke man, „dass der Fahrer womöglich selbst die behandlungsbedürftige Person ist, so liegt es auf der Hand, dass die Anfahrt umso beschwerlicher ist, je weiter die zurückzulegende Wegstrecke ist“, so die Richter. Dennoch halte die Kammer bereits heute in Ausnahmen höhere Entfernungen für zumutbar, und habe damit die Interessen der Apotheker sogar stärker gewichtet als vom BVerwG gefordert.
Die Kammer hatte vorgebracht, eine weitere Ausdünnung gefährde die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung. Immerhin würde bereits jetzt die vorgegebene Entfernung von 13 Kilometern überschritten, so die BLAK. Eine großräumigere Anordnung würde Entfernungen von mehr als 30 Kilometer zur Folge haben. Denkbar sei lediglich eine Einbeziehung von Orten im Umkreis – dies würde allerdings dazu führen, dass deren bisheriger Notdienstbezirk einen 3er-Turnus leisten müsse – zumindest nach aktueller Verteilung.
Das Gericht konnte darüber hinaus keine „zunehmende Belastung der Apotheker“ feststellen: Schließlich habe es bis 1987 noch einen 4er-Turnus gegeben, der 1988 einem 5er-, 1990 einem 6er- und schließlich 2001 einem 7er-Turnus wich. Die Belastung sei also zunächst stetig zurückgegangen, der aktuelle 6er-Turnus sei „noch wesentlich günstiger als der im Jahr 1987 geltende 4er-Turnus“, so die Richter.
Stoll-Graml verweist auch auf die Tatsache, dass die Dienstbereitschaft der Ärzte im April 2013 neu geregelt wurde – wegen der Dienstbelastung. „Lange Arbeitszeiten, hohe physische und psychische Belastung und eine unzureichende Vergütung sorgten dafür, dass für viele Haus- und Fachärzte die Grenze des Zumutbaren überschritten wurde“, bestätigt eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Seitdem sollen zu jeder Dienstgruppe mindestens 15 – in Ausnahmefällen 14 – Teilnehmer gehören, damit „die dienstverpflichteten Ärzte nicht übermäßig belastet werden“.
Für Stoll-Graml, die 60-mal im Jahr und 2013 auch an zahlreichen Feiertagen Dienst leisten musste, sind die unterschiedlichen Bewertungen nicht nachvollziehbar: „Warum gilt für Ärzte ein anderes Maß für die Belastbarkeit als für Apotheker?“
Die BLAK brachte zudem vor, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Notdienstpauschale bereits dem Umstand Rechnung getragen habe, dass Landapotheken häufiger Dienst leisten müssten. Das Argument kann Stoll-Graml nicht nachvollziehen, denn für das Geld könne sie keinen Apotheker für den Notdienst einstellen – selbst wenn sie einen fände.
Bei der Kammer kann man Stoll-Gramls Hinweise zur Nutzung des Notdienstes nicht verstehen: Gerade die Tatsache, dass außerhalb der üblichen Geschäftszeiten kaum noch Ärzte praktizierten, spreche für die Aufrechterhaltung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Die Apotheke diene hilfsbedürftigen Personen als Anlaufstelle, um in Gesundheitsfragen betreut und beraten zu werden. Außerdem, und auch da stimmten die Richter zu, müsse jedem Apotheker bei seiner Berufswahl bewusst sein, dass er durch die Verpflichtung zu Notdiensten belastet sei.