Barmer: Bedenken bedenken! Lothar Klein, 11.09.2017 07:57 Uhr
In Thüringen wurde kürzlich ein Rezept retaxiert, weil der Apotheker wegen „pharmazeutischer Bedenken“ ein anderes Arzenimittel abgegeben hatte. Der Apothekerverband Thüringen sieht darin einen schwerwiegenden Eingriff in die „ureigene Verantwortung“ des Apothekers. Die Barmer steht zu dieser Retaxation – und bietet ihrerseits dem Deutschen Apothekerverband (DAV) Verhandlungen über eine Lösung an.
Die Rexataion basiere auf der bereits „mehrfach thematisierten vertraglichen Regelung, wonach Apotheken bei Nichtabgabe eines rabattierten Arzneimittels eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel, gegebenenfalls das namentlich verordnete Arzneimittel oder einen wirtschaftlichen Import abgeben dürfen“, so die Barmer. Die Kasse beruft sich auf den mit dem DAV geschlossenen Rahmenvertrag. Die Ursache für die Nichtabgabe eines rabattbegünstigen Arzneimittels könnten danach die „Nichtverfügbarkeit, die Akutversorgung beziehungsweise der Notdienst oder pharmazeutische Bedenken sein“.
Verstoße die Apotheke gegen diese Abgabebestimmung, habe sie nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. Juli 2013 „keinen Vergütungsanspruch“. „Wir sind aber jederzeit bereit, mit dem DAV nach einer anderen geeigneten Lösung zu suchen“, so die Bamer. Im DAV haben die Retaxationen der Barmer schon mehrfach eine Rolle gespielt. Offenbar ist es in der Angelegenheit aber noch nicht zu Verhandlungen mit der Barmer über Lösungsansätze gekommen.
Als Ausweg aus der Retaxfalle empfiehlt der Apothekerverband Thüringen den Apothekern die private Liquidierung von Kassenrezepten. „Der Barmer ist die strikte Einhaltung der Aut-idem-Regeln wichtiger als die Versorgung ihrer Versicherten mit dringend benötigten Arzneimitteln“, kritisiert der Verband das strikte Vorgehen der Kasse.
Aktuell liegen zwei Faktor-6-Retaxationen vor und eine Beanstandung wegen „Akutversorgung“. In allen drei Fällen hatten die Apotheker das entsprechende Rabattarzneimittel der Barmer nicht vorrätig. Auch die im Rahmenvertrag vorgesehene Abgabe eines der drei preiswertesten Alternativen oder eines Importarzneimittels war nicht möglich.
Im Fall der Akutversorgung bat der Apotheker darum, nur die Differenz zum Rabattarzneimittel zu retaxieren. Das lehnte die Kasse ab. Auch die in den beiden anderen Retax-Fällen geltend gemachten pharmazeutischen Bedenken wollte die Barmer nicht akzeptieren. Die Kasse vertritt die Auffassung, dass der Apotheker das Rezept hätte vom Arzt ändern lassen müssen. Das hält der Apothekerverband im Apothekenalltag für nicht praktikabel, vor allem weil die Öffnungszeiten von Apotheken und Arztpraxen nicht identisch sind.
In einem Info-Schreiben an die Apotheker wies der Verband auf den Kontrahierungszwang hin. Apotheken müssten die Patienten versorgen. Der Kontrahierungszwang sei „die höhere Rechtsnorm und somit den liefervertraglichen Verpflichtungen übergeordnet“, heißt es. Als „möglichen“ Ausweg aus dieser „Mission Impossible“ sieht der Verband die „private Liquidierung“ einer GKV-Verordnung, „um Patienten im Aktufall zeitnah versorgen zu können“.
Dazu bestehen zwei Alternativen: Der Patient bezahlt das Arzneimittel in der Apotheke und versucht anschließend, von der Barmer eine Erstattung zu erhalten. Möglich ist aber auch die Forderung nach einer sogenannten „Wunschverordnung“. In diesem Fall erhält der Patient vom Apotheker eine Kopie des Rezeptes mit entsprechendem Vermerk. Das macht für die Kasse einen Unterschied: In diesem Fall kann sie vom Hersteller den gesetzlichen Rabatt einfordern. Im ersten Fall nicht.
Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC häufen sich bei der Barmer Rezepte mit den Sonder-PZN „pharmazeutische Bedenken“ oder „Akutversorgung“. Diese Sonder-PZN würden von Apothekern als „Joker“ eingesetzt, wenn die Barmer-Rabattarzneimittel nicht vorrätig seien. In Thüringen ist die AOK Plus mit einen Marktanteil von rund 70 Prozent der Versicherten der Platzhirsch unter den Kassen. Die Apotheker richten sich mit ihrer Arzneimittelbevorratung naturgemäß auf die Rabattverträge der AOK Plus ein. Damit kommt es häufiger zu Ausfällen bei der Versorgung mit Rabattarzneimitteln anderer Kassen.
Die Barmer dagegen hält eine Nullretaxation bei Verstößen gegen den Rahmenvertrag für zwingend: „Eine Vollabsetzung erfolgt, wenn gegen die Vereinbarungen zur Arzneimittelauswahl im Rahmenvertrag verstoßen wird, denn in diesem sind alle Lieferberechtigungen und -verpflichtungen geregelt“, so die Barmer. Nachzulesen sei das im BSG-Urteil: „Den Apotheker trifft die Pflicht, ordnungsgemäß vertragsärztlich verordnete Arzneimittel nur im Rahmen seiner Lieferberechtigung an Versicherte abzugeben.“ Verletze er diese Pflicht, sei dies sein Risiko: „Die Krankenkasse muss für nicht veranlasste, pflichtwidrige Arzneimittelabgaben nichts zahlen.“