Ärzte sollen Apotheken selektieren Julia Pradel, 04.09.2014 10:49 Uhr
Das Sozialgericht Darmstadt hat die Ausschreibung für Zytostatika gekippt und auf die freie Apothekenwahl verwiesen. Doch in anderen Fällen ist die Wahlfreiheit der Patienten bereits seit langem vertraglich eingeschränkt: In Baden-Württemberg hat die AOK einen Selektivvertrag geschlossen, bei dem sich Patienten an einen Arzt und eine Apotheke binden müssen.
Der Vertrag gilt bereits seit Mai 2012. Er umfasst die ambulante Versorgung im Bereich der Intravitrealen operativen Medikamentenapplikation – also die Verabreichung von Medikamenten wie Avastin oder Lucentis in den Glaskörper von Patienten mit feuchter, altersabhängiger Makuladegeneration. Den Vertrag hat die Managementgesellschaft QMBW mit der AOK Baden-Württemberg sowie niedergelassenen Ärzten, medizinischen Versorgungszentren und Hochschulambulanzen geschlossen.
Obwohl die Apotheken an dem Vertrag nicht beteiligt sind, sind sie betroffen: Die Vertragspartner verpflichten sich, dass die Beschaffung von Rezepturarzneimitteln ausschließlich „über in einem gesonderten Vertrag eingebundene Apotheken“ erfolgt. Dieser Vertrag wird zwischen der AOK und einzelnen Apotheken abgeschlossen, inzwischen sind 26 Apotheken dabei.
Die dem Selektivvertrag beigetretenen Ärzte – rund 150 sind es inzwischen – verpflichten sich dazu, die Verordnung für Rezepturarzneimittel per Telefax an die teilnehmende Apotheke zu schicken. Zuvor muss der Versicherte eine Teilnahme- und Einwilligungserklärung unterzeichnen. So umgehen die Beteiligten das Zuweisungsverbot.
Die Apotheke muss innerhalb von 90 Minuten verbindlich mitteilen, ob sie den Auftrag ausführen kann. In diesem Fall muss die Abgabe innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Spätestens bei der Abgabe der Rezepturen wird der Apotheke das Original der Verordnung übergeben.
Damit die Ärzte wissen, bei welchen Apotheken sie die Rezepturarzneimittel bestellen dürfen, stellt ihnen die Managementgesellschaft eine jeweils aktuelle Übersicht der teilnehmenden Apotheken bereit. Diese Liste erhält QMBW von der AOK.
Bestellen Ärzte die Arzneimittel in einer anderen Apotheke, drohen Strafen: „Wenn Rezepturarzneimittel verabreicht wurden, werden die ärztlichen Leistungen nur dann vergütet, wenn die Rezepturarzneimittel bei einer Apotheke bestellt wurden, die sich zur hochqualitativen Rezepturarzneimittelherstellung in einem Vertrag mit der AOK verpflichtet hat“, heißt es in dem Vertrag.
Den Ärzten winken außerdem finanzielle Anreize, möglichst preiswert zu verordnen: Verschreiben sie für eine Injektion Arzneimittel im Wert von weniger als 150 Euro, erhalten sie einen Bonus von 70 Euro pro Anwendung. Mit steigenden Arzneimittelkosten sinkt der Zuschlag bis auf 10 Euro, wenn die Ärzte unter 300 Euro bleiben. Gerechnet wird mit den durchschnittlichen Ausgaben pro Injektion bezogen auf einen Abrechnungsmonat.
Auch bei den Patienten setzt die AOK auf finanzielle Anreize: „Die AOK Baden-Württemberg stellt sicher, dass die an dem IVOM-Vertrag teilnehmenden Versicherten von der Zuzahlungspflicht bei den Rezepturarzneimitteln des Apohekenvertrags befreit sind“, heißt es.
Der Vertrag gilt für Rezepturen mit den Wirkstoffen Bevacizumab, Aflibercept, Ranibizumab, Dexamethason und Triamcinolonacetonid. Grundlage für den Vertrag mit den Ärzten ist § 73c des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V), der die besondere ambulante ärztliche Versorgung regelt.
Der Vertrag mit den Apotheken basiert auf dem § 129 des SGB V. Absatz 5 war Grundlage der Zyto-Ausschreibung in Hessen, Absatz 5b regelt den QMBW-Vertrag: Demnach können Apotheken an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden. Voraussetzung ist eine öffentliche Ausschreibung. An dem Vertrag können alle Apotheken teilnehmen, die die Bedingungen erfüllen.
In der Frage, ob Lucentis-Spritzen von Apotheken ausgeeinzelt werden dürfen, geht die AOK auf Nummer sicher: „Die Verwendung von Rezepturarzneimitteln liegt in der alleinigen Entscheidungsfreiheit des beteiligten Leistungserbringers und der Apotheke“, heißt es in dem Vertrag.
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