Das Softwarehaus Awinta schaltet zum Jahresende die Nachtaxe (N-TAX) ab. Mit der Funktion können Apotheker im Prokas-System Rezepte bedrucken, ohne einen Kassenvorgang auszulösen. Der Bedarf im Alltag ist relativ groß. Doch weil mit der Nachtaxe theoretisch auch betrogen werden kann, wird der EDV-Anbieter die Funktion deaktivieren.
Testrezepte kommen hauptsächlich dann zum Einsatz, wenn beim Bedrucken der Rezepte etwas schief gegangen ist. Manchmal ist das buchstäblich der Fall – das Rezept wurde vom Drucker falsch eingezogen und schief bedruckt. Oder das Farbband ist leer und der Druck zu schwach. Auch die Bedruckung nachgereichter Rezepte ist über diese Funktion möglich.
Allerdings kann die Nachtaxe auch missbräuchlich verwendet werden. Vor allem bei Privatversicherten ermöglicht die Funktion, dass ein Testrezept bedruckt und der Kunde quasi schwarz abgerechnet wird. Spätestens bei der Betriebsprüfung fällt dies aber über die Bestandskontrolle des Warenlagers auf.
Dennoch, es geht um die theoretische Möglichkeit, die genommen werden soll. Awinta selbst begründet die Abschaltung mit den Vorgaben der GoBD, die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff. Demnach müsse jede Testfunktion in steuerrelaventen Systemen grundsätzlich so ausgestaltet sein, dass die erzeugten Inhalte zu protokollieren sind. „Dies wurde im neuen ‚Kassengesetz‘ (Antimanipulationsgesetz) noch einmal verdeutlicht“, so das Softwarehaus.
Auf Nachfrage heißt es vom Softwarehaus: „Die Nachtaxation wurde zur vereinfachten Bedruckung von Rezepten (zum Beispiel Fehldruck) entwickelt. Wie schon die GoBD fordert die aktuelle Gesetzeslage („Kassengesetz“) die Protokollierung aller erzeugten Inhalte. Grundsätzlich gestaltet die Awinta die Funktionen der Warenwirtschaft so, dass der Anwender möglichst sicher vor Fehlbedienungen ist. Deshalb und vor dem Hintergrund der Gesetzesänderungen und den daraus resultierenden strengeren Anforderungen wird diese Funktion daher zum Jahresende abgeschaltet. Ein Rezept kann zukünftig nur innerhalb eines Verkaufsvorganges erfasst und bedruckt werden, dabei wird der Vorgang auch entsprechend den gesetzlichen Anforderungen protokolliert.“
Aufgrund des Gesetzes soll diese Funktion in der Kasse und im Backoffice bis Ende 2017 ersatzlos gestrichen werden. Ohnehin verfälsche die Nachtaxe die statistischen Zusammenhänge um System sehr stark, heißt es. Für die Apotheken bedeutet das: „Ein Rezept kann zukünftig nur innerhalb eines Verkaufsvorgangs bedruckt werden und wird automatisch protokolliert.“
Naturgemäß gibt es für das Abschalten bestehender Funktionen wenig Applaus: „Das bedeutet für uns eine erhebliche Erschwernis im Alltag, eine ordentliche Abrechnung zu machen“, moniert ein Prokas-Anwender. In der Rezeptkontrolle sei beispielsweise ein Abgleich der Rabattverträge nicht mehr möglich, das sei nur in einem neuen Kassenvorgang möglich, berichtet der Apotheker. Kunden, die partout nicht auf die Nachtaxe verzichten können, sollen sich mit ihrem Anwendungsfall bei Awinta melden. Das Produktmanagement von Prokas kümmert sich dann um den Fall.
Auf Apotheken spezialisierte Steuerberater wie Dr. Bernhard Bellinger kennen die Diskussion um Testrezepte im Warenwirtschaftssystem aus der Betriebsprüfung. Weil Finanzbeamte immer wieder deswegen nachfragen, hat der Fachanwalt für Steuerrecht seine Erklärung stets griffbereit. Zunächst wird dem Betriebsprüfer erklärt, warum die Funktion im Apotheken-Alltag unabdinglich ist. Mehrere Szenarien bedürfen demnach eben einer Korrekturfunktion, darunter schief oder falsch bedruckte Rezepte (Rabattverträge) sowie vertauschte oder nachgereichte Rezepte. Die Funktion werde auch für Preisabfragen oder in der Praxisversorgung genutzt
Bedenken bezüglich einer etwaigen missbräuchlichen Nutzung ließen sich im Einzelfall relativ leicht ausräumen, so Bellinger. Denn die Manipulation würde im System Spuren hinterlassen: „Da beim Testrezept kein Warenabgang im System erfasst wird, hätte das Warenwirtschaftssystem automatisch diesen einen Artikel im digitalen Bestand zu viel. Bei der nächsten Durchführung der permanenten Inventur würde diese Fehlmenge auftauchen, der Artikel also zu einer Bestandsveränderung (-1) führen.“
Um die Unschuld seiner Mandanten zu beweisen, verprobt Bellinger in diesen Fällen die Datensätze stichprobenartig, je 50 Testrezepte pro Prüfungsjahr, verteilt auf alle Monate. Bei einer Manipulation über die Testfunktion habe man in der Regel einen über Monate linearen Verlauf mit steigender Tendenz, berichtet Bellinger dann aus seiner Erfahrung. Wenn dann zu keinem Testrezept eine korrespondierende Bestandsveränderung auftaucht, sollte sich der Betriebsprüfer zufrieden geben.
Doch Awinta will offenbar auf Nummer sicher gehen und die Nachtaxe komplett abschalten. Immerhin gibt es diesen einen Fall, in dem ein EDV-Anbieter für einen zahlungsunfähigen Steuersünder zur Rechenschaft gezogen wurde. Allerdings hatte das Softwarehaus ein Modul vertrieben, dass ausschließlich zu Manipulationszwecken entwickelt und eingesetzt wurde.
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