AvP-Pleite: Finanzamt schreibt Apotheken an Patrick Hollstein, 02.07.2021 12:33 Uhr
Knapp ein Jahr ist es her, dass das private Rechenzentrum AvP in die Insolvenz rutschte. Viele betroffene Apotheken warteten im September 2020 vergebens auf Überweisung ihrer Abrechnungen. Nicht selten ging es um sechsstellige Beträge, doch schon damals warnten erste Steuerberater ihre Klienten davor, die Umsatzsteuer um die fehlenden Summen zu kürzen. Für die Finanzverwaltung ist die Sache noch nicht abgeschlossen, wie ein aktueller Fall aus Nordrhein-Westfalen zeigt.
Jens Utzerath, Steuerberater aus Kreuzau bei Düren, staunte nicht schlecht, als ein Mandant ihm in dieser Woche ein Schreiben des Finanzamts präsentierte. Der Apotheker war zwar kein Kunde von AvP und damit von der Pleite des Rechenzentrums nicht betroffen. Trotzdem wurde er gefragt, ob er AvP mit Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen beauftragt hatte und ob aus dem möglichen Zahlungsausfall bereits umsatzsteuerliche Konsequenzen in irgendeiner Art gezogen wurden. Diese sollten dann dem Finanzamt detailliert mitgeteilt werden.
Was es damit auf sich hat, teilte das Finanzamt in dem Schreiben auch gleich noch mit: Etwaige Korrekturen der Umsatzsteuer zum Beispiel durch zu niedrige Anmeldungen seien nicht zulässig, weil eine Uneinbringlichkeit nicht gegeben sei. „Der Finanzverwaltung geht es bei dieser Erörterung nur um die Umsatzsteuer, die nach Auffassung der Verwaltung in voller Höhe anzumelden, auch in voller Höhe zu zahlen ist und selbst bei letztendlich festgestelltem Zahlungsausfall nicht (wieder) erstattet wird“, ordnet Utzerath das Schreiben ein.
In seiner Begründung beruft sich das Finanzamt auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Jahr 2015, in dem die Steuerpflicht bejaht wurde, auch wenn der Leistende seinen Anspruch abgetreten hat. „Seitens des Finanzamtes wird festgehalten, dass die Krankenkassen zu den von den Apotheker:innen erbrachten Leistungen ihren Gegenleistungen durch Zahlung an die AvP nachgekommen sind und damit die Umsatzsteuer in voller Höhe entstanden ist. Die Zahlung oder eben die ausgebliebene Zahlung der AvP an die Apotheker ist in umsatzsteuerlicher Hinsicht völlig unbeachtlich, denn die Umsatzsteuer ist längst entstanden.“
Damit werde den Apotheken eine weitere Belastung in dieser für so viele stark betroffenen Angelegenheit aufgebürdet, so Utzerath. Der Umsatzsteuerbetrag könne zwar ertragsteuerlich, also bei Einkommens- und Gewerbesteuer, gewinnmindernd nach Abschluss des Insolvenzverfahrens von AvP geltend gemacht werden – aber nur über den individuellen Steuersatz. „Damit wird für die meisten Apotheken die Umsatzsteuer nicht einmal zur Hälfte wieder – in Form der Ertragsteuern – erstattet.“
Utzerath hat den AvP-Fall verfolgt und weiß, dass die Umsatzsteuer schnell zum Thema wurde. Dennoch hätten sich wohl einige Kolleg:innen hinreißen lassen und weniger Umsatz angemeldet. Anders kann er sich das Schreiben nicht erklären, dass aus seiner Sicht sicherlich landes- oder sogar bundesweit verschickt wurde. Er rät zu Vorsicht: Sollten tatsächlich Umsatzsteuern nicht in voller Höhe angemeldet worden oder durch spätere Korrekturen gemindert worden sein, drohten den Apotheker:innen und womöglich auch deren Steuerberater:innen im Extremfall steuerstrafrechtliche Verfahren. „Es bleibt zu hoffen, dass diese Befürchtung aber nicht Wirklichkeit wird. Irgendwann ist auch mal genug.“
Persönlich empfindet er das Vorgehen der Verwaltung in dieser ohnehin merkwürdigen Zeit als enttäuschend. „Schön wäre es gewesen, wenn die Finanzverwaltung länderübergreifend eher Billigkeitsmaßnahmen erlassen hätte, um den betroffenen Apothekern wenigstens eine kleine Hilfe zu bieten. Man will ja auch nicht wirklich glauben, dass die AvP nie einer staatlichen Kontrolle unterlag.“