Die Alte Apotheke in Bottrop wird verkauft: Apothekerin Vera Kaminski übernimmt den traditionsreichen Standort, der seit zwei Jahren als „Schauplatz eines der größten Medizinverbrechen in Deutschland“ (Correctiv) in den Schlagzeilen steht. Hier soll Peter S. tausende Krebsmedikamente gestreckt haben. Nun stehen Veränderungen bevor: „Die Alte Apotheke wird es nicht mehr geben“, so Kaminski.
Sobald alle Bescheide vorliegen, will Kaminski den Betrieb als „City Apotheke“ weiterführen. Eine Sterilherstellung werde es nicht mehr geben, sie miete die Räumlichkeiten ohne Labor und werde die Apotheke allein betreiben. „Mir ist klar, dass die ‚Übernahme‘ in Anbetracht der Ereignisse eine große Herausforderung ist“, so Kaminski. Sie werde jedoch „alles daran setzen, diese Herausforderung zu meistern und das Vertrauen der Bottroper zurückzugewinnen“. Das Personal sei „hochqualifiziert und äußerst motiviert“.
Auch an ihrer Einschätzung der Vorwürfe will sie keinen Zweifel aufkommen lassen. „Ein Verhalten, wie das Peter S. vorgeworfene, ist mit meinen Vorstellungen von der Tätigkeit und Verantwortung eines Apothekers nicht in Einklang zu bringen“, beteuert sie. „Ich persönlich empfinde es als gänzlich inakzeptabel.“ Die Beurteilung überlasse sie jedoch dem Gericht.
Die Übernahme sei eine „konsequente Fortentwicklung meiner bisherigen Karriere“, so die Pharmazeutin. Bis zum 31. Mai arbeitete Kaminski als angestellte Apothekerin in der Rats-Apotheke im 100 Kilometer entfernten Soest. Die Apotheke wiederum gehört Hubertus Ahaus, laut dem Recherchenetzwerk Correctiv ein alter Bekannter von Peter S.: Er soll Trauzeuge des Kollegen aus Bottrop gewesen sein. Vor Gericht sagte er zu S.‘ Gesundheitszustand und eventuellen Charakterveränderungen nach dessen Kopfverletzung im Jahr 2008 aus.
Außerdem hatte Ahaus nach der Razzia in der Alten Apotheke die Ersatzversorgung für die Praxen übernommen, die nicht mehr beliefert werden konnten. Das geschah auf Grundlage eines internen Vertrages, den Ahaus und S. miteinander geschlossen hatten. Das zuständige Gesundheitsamt hatte den Vertrag zur Absicherung der Versorgung als Voraussetzung für die Zulassung des Labors gefordert.
Auch darüber hinaus war Ahaus geschäftlich mit Peter S. verbandelt: Beide Apotheker waren Gesellschafter des Großhändlers AKP Plus. Als Peter S. bereits im Gefängnis saß, kauften die drei übrigen Gesellschafter seine Anteile für rund 600.000 Euro zurück, da der Ausschluss von Gesellschaftern vertraglich vorgesehen war. Correctiv zufolge ist die Zahlung für die Justiz relevant, da das Vermögen von S. zum Zeitpunkt der Einziehung bereits beschlagnahmt worden war.
Der mutmaßliche Pfusch-Apotheker Peter S. hatte die Apotheke vor einem Jahr an seine Mutter übergeben, nachdem er im Herbst 2016 festgenommen worden war. Doris S. hatte die Apotheke schon einmal geführt, aber 2009 an ihren Sohn übergeben. Die Apothekerin steht allerdings selbst im Fadenkreuz: Wie das Gesundheitsamt Bottrop auf Nachfrage bestätigte, prüft es einen Entzug ihrer Betriebserlaubnis.
Mit dem Verkauf enden vier Generationen Familienbetrieb. 1864 gründete der Pharmazeut Josef Hartmann die Offizin als erste Apotheke des damals nur gut 4000 Einwohner großen Bottrop. Nach einem Eigentümerwechsel wurde sie 1886 erneut verkauft, diesmal an den Vorfahren der heutigen Inhaberin. Wie die Tageszeitung „Der Westen“ berichtete, erhielt sie nach der Gründung einer zweiten Apotheke in Bottrop 1899 ihren heutigen Namen Alte Apotheke.
Der Vater des inhaftierten Peter S. hatte einem Bericht der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) zufolge nach seiner Promotion Anfang 1968 begonnen, in der Apotheke zu arbeiten. Gut ein Jahr später heiratete er die Tochter des damaligen Besitzers, die heutige Inhaberin. Peter S. war es, der nicht nur das Geschäft weiterführte, sondern auch als Fachapotheker für Onkologie mit der Herstellung von Zytostatika in der Alten Apotheke begann.
Vor Gericht sagt heute Christina M. aus. Sie war S.‘ Kindheitsfreundin und seine Scheidungsanwältin. M. hatte sich per Fax an das Landgericht Essen gewandt, da sie bei S. eine Wesensänderung bemerkt haben will. Während der Verhandlung stellte sich laut Correctiv heraus, dass M. zuvor bereits die Verteidigung kontaktierte hatte. Sie hatte S.‘ Eltern die Kanzlei der Verteidiger empfohlen.
Als Kind sei S. überlegt und ein bisschen verklemmt gewesen, sagte die Anwältin laut Correctiv. Die beiden hätten zusammen Diäten gemacht. Damals habe sie noch einen Zugang zu ihm gehabt. Als Erwachsenen habe sie ihn zweimal persönlich getroffen. Er sei skurril, eigen, konfliktscheu und emotional nicht zugänglich gewesen. Er habe jedoch nicht übertrieben reagiert oder gegen soziale Konventionen verstoßen. Manchmal habe er Gedankensprünge gemacht.
Die kurzfristige Eheschließung habe nicht zu seiner Person gepasst. S. habe auch nicht erklären können, wie es zu Ehe und Trennung gekommen war, erinnert sich M. Sie habe von Anwalt und Vater gehört, dass sich der Apotheker nach seinem Unfall verändert habe. Der Vater befürchte, dass ehemalige Mitarbeiter der Alten Apotheke versuchen würden, S. etwas anzuhängen.
Der Psychiater Pedro Faustmann gab noch einmal Details zu seinem Gutachen, wie Correctiv berichtet. Er hatte S. ein „hirnorganisches Psychosyndrom“ attestiert. Sein Kollege Boris Schiffer hatte das Gutachen kritisiert. In der Gesundheitsakte der Justizvollzugsanstalt wurde S. volle Vollzugs- und Arbeitsfähigkeit attestiert. Der Apotheker habe sich ebenfalls als fit bezeichnet.
Beim Test zur verbalen Intelligenz schnitt S. auffällig schlecht ab, bei der Selbsteinschätzung habe er einen hohen Wert bei Depression und Paranoia errreicht. S. hat laut Faustmann eine kognitive und affektiv-emotionale Störung. Die qualitativen Einschränkungen, die der Apotheker bei den Treffen gezeigt habe, würden nicht genug berücksichtigt.
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