Sich über die Krankenkassen zu ärgern, kennt jeder Apotheker. Motiv für eine Straftat dürfte das aber kaum je gewesen sein. Anders bei einem älteren Herrn aus dem baden-württembergischen Lörrach: Er hat aus Frust über verweigerte Versicherungsleistungen jahrelang Rezepte manipuliert und bei der privaten Versicherer abgerechnet. 90.000 Euro hat er so ergaunert. Auf die Schliche kam man ihm auch dank einer Apotheke.
Die Geschichte des Mannes ist tragisch: Seine Frau war im Jahr 2001 schwer erkrankt und ins Wachkoma gefallen. Längere Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte schlossen sich an, schließlich holte er sie zurück nach hause und beschloss, sich selbst um seine schwerst pflegebedürftige Frau zu kümmern. Zu diesen Beschwerlichkeiten und dem emotionalen Leid kam dann nach seiner Aussage noch der Ärger mit der privaten Krankenversicherung seiner Frau: Die habe ihr nämlich zahlreiche Leistungen und Therapien verweigert.
Schon bei den Geldern für ein Krankenbett sowie eine Hebe- und Waschvorrichtung habe sie unangemessen viel Zeit verstreichen lassen, so der Eindruck des Ehepartners. Also habe er nachgefragt und eine mehr als unbefriedigende Antwort erhalten: Er könne sie ja so lange auf eine Matratze auf dem Boden legen. „Ich war völlig schockiert“, zitiert die Badische Zeitung (BZ), die über den Fall berichtet hat, den Verurteilten.
Und damit war der Streit noch längst nicht vorbei: Immer wieder gab es Auseinandersetzungen, weil die Versicherung sich geweigert habe, Therapie- und Hilfsmittelkosten zu übernehmen. Die Familie des Verurteilten habe deshalb hohe Kosten selbst stemmen müssen. Also traf der Mann eine folgenschwere Entscheidung: Wenn die Kasse sich weigert, zu bezahlen, dann holt er sich das Geld von ihr eben auf anderen Wegen. „Das Verhalten der Versicherung hat mich sehr erbost, und so habe ich mich zu diesem Fehlverhalten hinreißen lassen“, zitiert ihn die BZ.
Bei seiner Betrugsmasche hat sich der Verurteilte offenbar geschickt angestellt: Die Verordnungen, die er falsch abgerechnet hatte, gab es wirklich. Ein Arzt hatte regelmäßig Nahrungsmittel für die Magensonde seiner Frau verordnet. Was der Ehemann verschwieg: In Wirklichkeit konnte sie weiche Nahrung zu sich nehmen. Daraufhin fälschte er den Stempel einer lokalen Apotheke – und das offenbar sehr gut. Nur bei genauerer Betrachtung falle auf, dass das Layout im Detail anders ist als der echte Stempel. So schickte er jahrelang regelmäßig vermeintlich von der Apotheke bediente Rezepte an die Versicherung und ließ sich das Geld erstatten.
Dabei wurde mutmaßlich der Großteil der erschlichenen Erstattungen nun vor Gericht gar nicht verhandelt: Nur die Fälle von Oktober 2012 bis August 2014 waren Gegenstand der Anklage. Ältere Fälle waren teilweise schon verjährt, außerdem trugen die Erstattungsanträge erst ab September 2012 eindeutig seine Unterschrift. Allein in diesen weniger als zwei Jahren hatte er die Kasse aber bereits um 88.664 Euro betrogen.
Auf die Schliche gekommen war ihm ein Versicherungsjurist, der den Erstattungsantrag prüfte. Ihm war ein Fehler in der PZN aufgefallen: Sie war nicht achtstellig, wie seit 2013 vorgeschrieben – eigentlich kein Grund zur Sorge: „Wir gingen von einem Schreibfehler aus und riefen bei der Apotheke an“, zitiert die BZ den Juristen. Damit stieg die Verwirrung aber vorerst. Denn bei Nachfrage in der Apotheke stellte sich heraus, dass das besagte Mittel dort nie eingekauft wurde. „Ich kann ja nichts verkaufen, was ich nichts selbst eingekauft habe, und wir haben festgestellt, dass wir da gar nichts verkauft hatten“, so die Inhaberin.
Also wandte sich der Jurist an den pflegenden Ehemann. Zwei mal schrieb er ihn an und erhielt keine Reaktion. Am Telefon dann rückte er widerwillig mit der Sprache heraus. „Er war wortkarg und nicht besonders freundlich“, so der Jurist. „Er sagte, die Versicherung habe immer wieder Leistungen und Therapieformen abgelehnt, und da sei er auf die Idee gekommen, gefälschte Rezepte einzureichen und sich das Geld durch die Hintertür zu holen.“ Dabei wusste er offenbar, was er tat: Von mehr als 1000 fingierten Rezepten, die er einreichte, hatten nur vier einen Fehler in der PZN.
Dazu, dass die Fälscherarbeit rein handwerklich so gut ausgeführt wurde, trug offenbar ein Komplize bei: Der Verurteilte berichtete laut BZ, er habe einen Helfer bei den Fälschungen gehabt, dem er die Hälfte des ergaunerten Geldes zukommen ließ. Dessen Identität gab er aber nicht preis. Wie die Ermittlungen ergaben, wurde tatsächlich die Hälfte der erstatteten Beträge in bar vom Konto abgehoben. Die andere Hälfte nutzte der Mann nach eigenen Angaben für die Pflege der Frau und für die eigene Lebensführung.
Es nützt nichts: Zurückzahlen muss er nun den gesamten Betrag von 88.664 Euro, das Gericht ordnete die Einziehung an. Beim Strafmaß blieb das Amtsgericht Lörrach nur einen Monat unter der Forderung der Staatsanwältin: ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde, denn der 78-Jährige ist weder vorbestraft, noch sind nach Einschätzung des Gerichts weitere Straftaten zu erwarten. Wegen der langen Verfahrensdauer gelten drei Monate der Strafe als bereits vollstreckt. So tragisch seine Geschichte sein mag, stellte Richter Dietrich Bezzel fest: „Völlig unabhängig vom Motiv: Was Sie getan haben, ist eindeutig Betrug und Urkundenfälschung.“
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