Auge um Auge, Zahn um Zahn APOTHEKE ADHOC, 23.02.2019 08:00 Uhr
Die niederländische Versandapotheke und die Apothekerkammer überziehen sich gegenseitig mit Klagen. Erst geht es um Rx-Boni, das HWG und die Preisbindung. Dann um Schadenersatz und das Zufügen seelischer Grausamkeit. Nach und nach werden alle Register des Strafgesetzbuchs gezogen.
Seit 2004 können kranke Menschen ihre Rezepte zu einer Versandapotheke schicken. Darüber wurde gar nicht bis zu Ende gestritten, das wurde so ullala entschieden. Was dann die Saat der Zwietracht säte, war dies: Die Menschen wollten das gar nicht, wollten nicht drei oder vier oder fünf Tage auf ihre Medikamente warten. Aber: Manche Leute wollten drei oder vier oder fünf Euro verdienen und ließen sich kaufen.
Die Kammer verklagte die Versandapotheke wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und die Arzneimittelpreisbindung und wegen absichtlichen Handspiels im Schengenraum. Man könne auch noch die Kunden wegen Veruntreuung von Versichertengeldern und Bestechlichkeit verklagen, so die Drohung. Der Versender verklagte die Kammer daraufhin wegen versuchter Nötigung und Erpressung.
Weil die Pillen erst von Deutschland in die Niederlande und dann per Einzelzustellung wieder zurück nach Deutschland verschickt werden, fand die Kammer im Kapitel Umweltstraftaten das „Verursachen von Lärm, Erschütterungen und nichtionisierenden Strahlen“ – kann man ja mal versuchen. Weil immer mehr Klagen eingingen, klagte der Versender auf „Friedensverrat“.
Dann fällte der EuGH seine drollige Welpenschutz-Entscheidung und in den Niederlanden knallten die Korken (nächtliche Ruhestörung). Der Versender verklagte sich nach Eingang dieser Klage selbst wegen Störung der Totenruhe – Juristenhumor. Als der Präsident der Kammer das erfuhr, nannte er den Versender eine holländische Frittenbude und handelte sich eine Klage wegen übler Nachrede und seelischer Grausamkeit ein.
Die Kammer versuchte noch eine Klage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Herbeiführung einer Überschwemmung. Aber das erfüllte aus Sicht des Versenders den Tatbestsand der politischen Verdächtigung. Die Kammer gab schließlich auf – aber das handelte ihr nur eine weitere Klage ein. Weil sie selbst nicht mehr klagte, wurde sie wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht erneut vor den Kadi gezerrt.
Das juristische Gezerre um die Gewährung von Boni war in Wirklichkeit nicht ganz so ausufernd, aber fast. Jetzt will DocMorris tatsächlich 15 Millionen Euro von der Apothekerkammer Nordrhein. Das Argument: Weil die Kammer den Versender jahrelang mit Prozessen überzogen hat, habe sie Geschäfte in dieser Höhe verhindert. Ob da was dran ist und ob der Umsatz in diesem Spiel überhaupt die richtige Kenngröße ist (immerhin macht DocMorris keinen Gewinn, sollte also genaugenommen dankbar sein, vor teuren Geschäften verschont worden zu sein), muss nun das Landgericht Düsseldorf entscheiden. Zum Prozessauftrakt zeigte dann Kammerpräsident Lutz Engelen Präsenz. Einschüchtern, so die Botschaft, lasse man sich nicht.
Sollte sich aber DocMorris tatsächlich mit seiner frechen Klage durchsetzen, müsste die Kammer Nordrhein wohl die Beiträge anheben, 15 Millionen Euro hat man in Düsseldorf natürlich nicht auf der hohen Kante. Nicht auszudenken, wenn das in Sachsen passieren würde: Hier muss Apotheker Falk Hentzschel nämlich selbst in Friedenszeiten 15.000 Euro Kammerbeitrag zahlen. Knapp 1 Prozent des Haushalts kommt von ihm, weil er zwar eine kleine Apotheke, aber einen gut laufenden Großhandel hat. Das Oberverwaltungsgericht sah darin kein Problem, muss er eben ein paar Überstunden schrubben, um das Geld wieder reinzuholen.
Als Motivations-Coach böte sich da Kollege Djamal El Khatib an: Weil zwei seiner drei PTA ausgefallen sind, gönnt er sich statt heimischer Couch ein paar Extrastunden Rezeptur. Da arbeitet er halt auch mal bis nachts halb eins – einer muss es ja machen.
Das dachte sich auch Pharmaziestudent und Jungaktivist Benedikt Bühler. Wenn sonst keiner Annegret Kramp-Karrenbauer verrät, dass Jens Spahn mit DocMorris-Vorstand Max Müller befreundet war oder ist, erfährt das die arme Frau ja nie. Sein offener Brief an die CDU-Chefin hat ihm jedenfalls viel digitalen Weihrauch eingebracht. Und was ist besser als ein offener Brief? Richtig: Ein offener Brief mit ganz vielen Unterschriften! „Ist Bühler der neue Redmann?“, fragen sich die Society-Experten von Varmacy Fair. Zumindest hat sich der 19-Jährige offensichtlich von seinem Kollegen in spe inspirieren lassen und lässt jetzt seine eigene Signaturenkollekte kreisen.
Und so geht Bühler auf Unterstützerjagd. Erste Anlaufstation für einen Pharmaziestudenten: Natürlich der Bundesverband der Pharmaziestudierenden! Das gestaltete sich aber schwieriger als erwartet. Die Unterredung mit BPhD-Chef Max Willie Georgi war nämlich wenig zielführend: „#MitUnsNicht!“, so Brühler. „Mit uns nicht!“, darauf Georgi. „Nein, #MitUnsNicht, meine ich!“, ,„Na ich doch auch!“
Ohne BPhD-Rückendeckung muss Bühler nun um Stimmen buhlen und hoffen, dass sich nicht nur die Bundesregierung, sondern anscheinend auch drei Viertel des ihr nachgelagerten Volkskörpers umstimmen lassen. Sonst, so die Befürchtung, gehen die massenhaften Apothekenschließungen ungehemmt weiter. Wenn das nicht klappt, kann er immerhin eine Petiton gegen Securpharm starten.
Denn auch das neue Lieblings-Browserspiel der Apothekerschaft hat schon das erste Inhaberpaar zur Aufgabe bewegt. Da fragt man sich fast, wann die erste Apotheke wegen Sartan-bedingter Verzweiflung schließt. Als würden NDMA und NDEA nicht reichen, hat man da jetzt noch NMBA gefunden.
Aber nicht nur chemisch, sondern auch juristisch wurde nun ein neues Kapitel der Chroniken von Valsartania aufgeschlagen: In Baden-Württemberg wurde die erste Schadenersatzklage gegen drei Hersteller eingereicht. Ob es für 1A, Mylan und Hexal teuer wird, weiß die Menschheit wahrscheinlich erst in zwei Jahren. So lange wird der Prozess dauern, schätzt der Anwalt. Bis dahin ist ein anderes Verfahren mit Sicherheit schon abgeschlossen. Der junge Mann, der Ende 2018 in fünf Wochen sieben Apotheken überfallen hat, packt jetzt vor Gericht aus und erzählt, wie es mit ihm so weit kommen konnte. In diesem Sinne: Machen Sie es besser als er und haben Sie ein schönes Wochenende!