Der Frust an der Basis über die Situation der Apotheken wächst. In einem leidenschaftlichen Appell ruft Apotheker Dr. Christian Gerninghaus seine Kolleg:innen zum Widerstand auf. „Wir müssen beginnen, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen! Piloten und Lokführer machen es vor! Die Politik der leisen Töne führt zu nichts! Aufwachen Kollegen! Es ist vielleicht noch nicht zu spät!“
Gerninghaus betreibt in Nordhessen einen Filialverbund: Die Sonnen-Apotheke in Schlitz und die Wartenberg-Apotheke im gleichnamigen Ort liegen im selben Notdienstkreis mit einem 7-Tage-Turnus. Die Rathaus-Apotheke in Homberg am anderen Ende des Vogelsbergkreises hat alle 13 Tage Notdienst. Damit kommt Gerninghaus auf 132 Notdienste pro Jahr, etwa ein Drittel davon übernimmt er selbst, den Rest stemmen seine Angestellten. „Mit solchen Arbeitsbedingungen bekommt man keine jungen Kollegen für die Selbstständigkeit auf dem Land motiviert“, so der Apotheker gegenüber APOTHEKE ADHOC.
Deshalb habe er sich den Frust einmal von der Seele geschrieben: „Apotheker war immer mein Traumberuf, ist es bis heute. Wobei es immer schwerer wird, den Enthusiasmus, das Brennen für die Pharmazie aufrecht zu erhalten“, heißt es in seinem „Aufwachen“-Appell. Als Offizin-Apotheker habe er in den vergangenen 30 Jahren stets versucht, das Beste aus den Entwicklungen des Marktes zu machen. „Aber jetzt reicht’s!“
Reformen im Gesundheitswesen hab es schon immer gegeben – nur niemals zu Gunsten der Apotheken. Die hätten keine Lobby, keine Vertretung, die von der Politik wahrgenommen wird. Stattdessen werde bei den Arzneimittelausgaben ständig gespart und gekürzt. Das Honorar der Apotheken sei jahrelang von der wirtschaftlichen Entwicklung mit allen Lohnerhöhungen und Preissteigerungen abgekoppelt gewesen. Seit Februar müssten sich die Apotheken sogar noch mit einem höheren Kassenabschlag abfinden.
„Überbordende Bürokratie von der Präqualifizierung bis zum Dokumentationswahnsinn in Labor und Rezeptur, Telematik, Securpharm, unsägliche Verträge mit Krankenkassen, die in haltlosen Retaxorgien enden, Lieferengpässe und absolut mangelnde Wertschätzung von Seiten der Politik, bringen das Fass zum Überlaufen“, so Gerninghaus.
Der Enthusiasmus und das Brennen sind dem Überlebenskampf gewichen.
Sein düsteres Fazit: „Der Enthusiasmus und das Brennen sind dem Überlebenskampf gewichen.“ Gerninghaus macht sich Sorgen, wie es mit seinem Berufstand weitergehen soll: „Ist der Niedergang der öffentlichen Apotheke noch aufzuhalten? Wer soll zukünftig Apotheken leiten, wenn man als Inhaber heute viel länger im Backoffice am Schreibtisch sitzt als in der Offizin bei den Kunden zu sein? Wer will zukünftig die Notdienstbelastung aushalten, wenn immer weniger Apotheken für die Aufrechterhaltung der Versorgung verantwortlich sind?“
Er fordert ein Umdenken von den Kolleg:innen und mehr Selbstbewusstsein: „Wir sind die Arzneimittelfachleute, niemand sonst! Wir brauchen angemessene Bezahlung unserer hochqualifizierten Mitarbeiter!“ Dazu sei eine dynamisierte Honoraranpassung wichtig, ebenso eine Reduktion der Belastung bei den Notdiensten. „Wir wollen nicht länger nachts für unnötige Einkäufe missbraucht werden“, so Gerninghaus, der sich zudem gegen die doppelte Kammermitgliedschaft in IHK und LAK einsetzt. Die Politik der leisen Töne führe zu nichts. „Aufwachen Kollegen! Es ist vielleicht noch nicht zu spät!“, endet sein Appell, den er an möglichst viele Kolleg:innen, die Berufsvertretung in Hessen sowie Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening schicke will.
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