Arztbezeichnung: „Mich nervt diese Ignoranz“ Laura Schulz, 17.01.2024 13:50 Uhr
Trotz vermeintlicher Klärung durch Deutschen Apothekerverband (DAV) und Gematik in aufeinander abgestimmten Antworten zur Problematik scheint die Arztbezeichnung für viele Apotheken immer noch ein Problemfall. In vielen Apotheken bleiben die Rezepte daher aktuell liegen, werden abgewiesen oder mühsam mit den Praxisteams durchdiskutiert. Von solchen Fällen kann Christina Zipfel aus der Barbara-Apotheke in Voerde genauso berichten wie Apothekerin Daniela Hänel.
Der DAV teilte kürzlich an die Landesverbände mit, die Berufsbezeichnung müsse immer geprüft werden, um als Apotheke retaxsicher zu sein. Gegenstand der Prüfung in den Apotheken sei dabei jedoch lediglich, ob eine sinnhafte Berufsbezeichnung angegeben wurde – dann bestehe grundsätzlich keine Retax-Gefahr. Über Sinnhaftigkeit lässt sich im schlimmsten Fall mit den Krankenkassen streiten. Apothekenmitarbeiter:innen wie Zipfel sehen hier die Gefahr: Wer garantiert den Apotheken, dass sie sich auf die Meinung der Standesvertretung verlassen können?
Was ist sinnhaft?
Zipfel hat sich an vielen Stellen dazu ausgetauscht, seit am 29. Dezember die Info ihres Verbandes kam, dass eine nicht korrekt angebrachte Berufsbezeichnung nach Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) sowie der Berufsordnung der Ärzte zur Ungültigkeit der E-Rezepte führe. Der Apothekerverband Nordrhein (AVNR) habe ihr mitgeteilt, dass „Allgemeinmedizin“ nicht reiche, „Allgemeinmediziner“ schon. Auf Nachfrage, wo dies nachzulesen sei, konnte ihr ein entsprechender Beleg nicht geliefert werden. Dabei sollte doch gerade ein Fall wie dieser durch die Meldung des DAV geklärt sein.
Vom Bayerischen Apothekerverband (BAV) gab es in einem Schreiben die Information: „Wichtig ist für Sie nur die Aussage in der Bundesärzteordnung: Die Berufsbezeichnung für einen Arzt lautet ‚Arzt‘ oder ‚Ärztin‘. Jede darüber hinaus gehende zusätzliche Facharztbezeichnung ist möglich, aber nicht zwingend.“
Von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein bekam Zipfel hingegen die Aussage, „Allgemeinmedizin“ oder „Allgemeinmediziner“ sei nicht ausreichend. Es müsse lauten: „Arzt oder Facharzt für Allgemeinmedizin“. Ansonsten handele es sich um eine Fachrichtung. Auch ein Praxissoftwarehaus konnte keine adäquaten Antworten liefern. „Seit einer Woche telefoniere und schreibe ich Arztpraxen an und teile den Sachverhalt mit, da die Apotheken ansonsten kein Geld der Krankenkassen erhalten!“
Das führe inzwischen zu teils unangenehmen Diskussionen mit den Praxisteams. Sie werde zudem von Arztpraxen darauf hingewiesen, dass die Arztstempel nicht geändert werden müssten, da diese den Vorgaben der Apothekerschaft laut DAV und Abda entsprächen. „Ferner haben sie keinerlei Informationen der KV erhalten. Telefonisch sei die KV auch nicht erreichbar. Mir war zugesichert worden, dass eine Info an die Ärzte gesandt wird. Geschehen ist nichts!“
Beschimpfungen von Praxen
Zipfel fehlt es nach wie vor an wirklich reteaxsicheren Aussagen. „Privatmeinungen von Personen der Abda oder des DAV sind doch kein Maßstab! Offizielle, retaxsichere Auskünfte, am besten schriftlich, sind doch maßgeblich.“ Außerdem verweisen die Arztpraxen nun auf andere Apotheken, die anscheinend alle Rezepte einlösen und nicht die Problematik sehen wie Zipfel oder die das Risiko einer Retax hinnehmen. Sie sehe, dass aufgrund von Fehl- oder Nichtinformation aller Verbände die Berufsgruppen gegeneinander ausgespielt würden. Es gebe sogar Beschimpfungen: „Ich werde von den Praxen angeschrien am Telefon.“ Zudem hätten Patient:innen Hinweise von Ärzten bekommen, nicht in die Barbara-Apotheke zu gehen. „Das ist geschäftsschädigend.“
„Der eine Verband sagt das, der andere das, woher sollen wir wissen, was jetzt richtig ist?!“, regt sich Zipfel auf. „Das geht doch nicht.“ Sie wünscht sich eine rechtssichere, verbindliche und schriftlich festgehaltene Abstimmung dazu von den einzelnen Parteien. „Gematik und GKV-Spitzenverband müssen klären, dass das retaxsicher ist!“ Und dann müsse das auch von allen Praxen in im Praxisverwaltungssystem entsprechend angepasst werden.
Eine verlässliche Regel sei hier von den Beteiligten unter Berücksichtigung der AMVV offenbar vergessen worden. „Das ist beim E-Rezept ein Riesenproblem, da das nicht mehr von den Apotheken geheilt werden kann.“ Zipfel ist mit ihrem Latein am Ende: „Ich find das grausam. Wir sitzen hier täglich und arbeiten nach. Und wir haben hier die Diskussionen mit den Patienten und die Ärzte berufen sich auch noch auf das Schreiben der Abda und ändern nichts.“ Es sei geradezu eine Ignoranz der Ärzteschaft zu spüren – „es ist ja auch nicht ihr Schaden“. Trotzdem stoße sie auch hin und wieder auf Verständnis und Praxen, die das Problem beheben.
Die vielen ungeklärten Fragen setzen die Apotheken enorm unter Druck, so Zipfel. „Das finde ich schrecklich. Die Kunden stehen Schlange vor der Apotheke. Ich sitze hier abends immer länger und länger, oft zwölf Stunden am Tag nur wegen dieses dämlichen E-Rezepts!“
Korrektur durch Ärzte angeblich nicht möglich
Ähnlich geht es auch Hänel: „Ich hatte nun mit mehreren Praxen Stress wegen der falschen Angaben im Praxisfeld, wegen der fehlenden Telefonnummer, der fehlenden Berufsbezeichnung und Tippfehler im Arztnamen.“ Sie bekam von den Praxen die Antwort, dass die Fehler nur von den Softwareanbietern korrigiert werden könnten – „und das wäre erst zum zweiten Quartal möglich“.
Das würde bedeuten, dass bis Ende März keine Korrekturen innerhalb der Arztangaben möglich wären und somit die Rückkehr zum Muster-16-Rezept oder weiter falsche E-Rezepte mit Retaxrisiko für die Apotheken. „Wir lehnen falsch ausgestellte Rezepte ab, weil es jetzt einmalig die Chance gibt, die Ärzteschaft zu ermutigen, korrekte Rezepte auszustellen“, so Hänel. „Ich hafte nicht für die Fehler der Ärzte.“ Da warte sie nun auch teilweise über Wochen, bis die Rezepte endlich korrigiert werden.
„Wie kann es sein, dass das E-Rezept, wo es um wirklich sensible Daten geht, so dilettantisch, stümperhaft, laienhaft, oberflächlich programmiert und umgesetzt wird?“ Da könne sie auch nicht mehr nachvollziehen, wie die E-Rezept-Enthusiasten so eine Umsetzung toll finden und vorantreiben können. Es müsse wieder eine Friedenspflicht geben, bis alles ohne Kinderkrankheiten läuft. „Das Schlimmste an der Sache ist, dass wir wieder die Blöden sind in den Apotheken-vor-Ort, alle Kinderkrankheiten behandeln und dann für die Versender alles läuft“, findet Hänel. „Mit Brandbriefen der Abda kommen wir da auch nicht weiter.“
Das sagen BMG und Gematik
Eine Vereinheitlichung der Bezeichnungen, wie sie sich auch die Praxis-Softwarehäuser wünschen würden, lehnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ab: „In der technischen Anlage zum E-Rezept ist festgelegt, dass die Berufsbezeichnung verpflichtend über ein Freitextfeld ausgefüllt werden muss. Eine Auswahlliste im PVS-System wäre sehr lang und fehleranfällig gewesen“, heißt es von Roland Stahl, Pressesprecher der KBV. „Wir setzen uns aber dafür ein, hier gemeinsam eine für alle Seiten praktikable Lösung zu finden.“
Von der Gematik gibt es zusätzlich zu der Auskunft, die sich mit dem Schreiben vom DAV deckt, folgende Auskunft: „Als zulässige Berufsbezeichnungen sind (Zahn-)Ärztin/Arzt, Tierärztin/Tierarzt oder für die Zulassung relevante Facharztbezeichnungen zu betrachten.“
Auch das BMG beruft sich zunächst auf den jeweils entsprechenden Passus in AMVV und den Konkretisierungen zur genauen Abbildung der Berufsbezeichnung in Vereinbarungen über den Vertragsarztstempel gemäß § 37 Absatz 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä) – in dem es übriges heißt: „Das Nähere über den Vertragsarztstempel ist im Gesamtvertrag zu vereinbaren.“ Zulässige Berufsbezeichnungen sich laut BMG ebenfalls: Arzt/Ärztin, (ggf. Zahnarzt/Zahnärztin, Tierarzt/Tierärztin) oder für die Zulassung bzw. Anstellung relevante Facharztbezeichnung.“ Die Berufsbezeichnung müsse nur einmalig im PVS hinterlegt werden, weshalb es sich „aus Sicht des BMG um einen einmaligen Aufwand“ handele.