Ist ein Arzneimittel nicht vorrätig, besorgt die Apotheke es spätestens bis zum nächsten Tag. Selbst in Deutschland nicht zugelassene Medikamente importieren sie notfalls für ihre Patienten. Das ist aufwändig – und offenbar auch riskant: Eine Apotheke aus Sachsen soll einer privaten Krankenversicherung 15.000 Euro plus Zinsen zurückzahlen. Aus Sicht der Versicherung hat die Apotheke einen zu hohen Preis in Rechnung gestellt.
Es geht um sechs Rezepte aus dem Jahr 2013. Der Arzt hatte insgesamt 18 Einheiten des Krebsmedikaments Kadcyla (Trastuzumab Emtansin) von Roche verordnet, das in Deutschland aber erst seit 2014 zugelassen ist. Der Apotheker importierte das Medikament über einen Münchener Großhändler zum Einzelpreis von 3500 Euro. Dieser hatte das Präparat beim Hersteller zu einem frei ausgehandelten Preis bezogen.
Auf dem letzten dieser sechs Rezepte aus dem Dezember 2013 vermerkte die Versicherung, dass man nach telefonischer Rücksprache mit der Apotheke und eingehender Prüfung den Preis für die Zubereitung mit Kadcyla „in voller tariflicher Höhe“ erstatte. Das betreffe auch die beiden Zubereitungen von Anfang und Ende Oktober. „Bitte weisen Sie die abrechnende Apotheke darauf hin, dass deutlich günstigere Bezugsmöglichkeiten für das Kadcyla existieren“, schrieb die Versicherung an die Patientin.
Der Herstellerabgabepreis betrug aus Sicht der Versicherung seinerzeit nämlich höchstens 2700 Euro pro Packung. Dieser Betrag wurde der Versicherten erstattet. Die Restforderung ließ sich die Versicherung offenbar abtreten und klagte gegen die Apotheke, als diese nicht zur Rückzahlung bereit war.
Vor dem Landgericht Dresden bekam die Versicherung recht: Auch für Einzelimporte gelte die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), so die überraschende Begründung der Richter. Weil die Versicherung sich auf einen im Internet recherchierten vermeintlich gängigen Preis bezog, forderte sie die Differenz von der Apotheke zurück.
Das Gericht gab der Klage statt, zog von der Forderung lediglich die gesetzlichen Honorare für Großhandel und Apotheke ab. Der „echte“ Packungspreis wurde vom Gericht somit auf 2828 Euro berechnet. Rund 15.000 Euro plus Zinsen soll die Apotheke der Versicherung jetzt zurückzahlen. Die Versicherung hatte sogar 16.300 Euro plus Zinsen gefordert.
Die Apotheke ist gegen das Urteil natürlich in Berufung gegangen. Sie beruft sich darauf, dass Einzelimporte nicht unter die preisrechtlichen Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) fallen. Schließlich gelte die AMPreisV nur für in Deutschland zugelassene Arzneimittel. Für importierte Arzneimittel existiere gar kein einheitlicher Listenpreis.
Das Landgericht dagegen bezieht sich auf eine Klarstellung des AMG im Jahr 2012. Damals wurde geregelt, dass die Arzneimittelpreisbindung auch für ausländische Anbieter gilt – Rx-Boni ausländischer Versandapotheken wurden mit dieser Klarstellung damals ausdrücklich verboten. Aus Sicht des Gerichts ist das Preisrecht damit aber auch bei Einzelimporten anwendbar.
Dabei kommt es aus Sicht der Richter nicht darauf an, ob die Arzneimittel direkt beim Hersteller oder – wie in diesem Fall – über einen Großhändler bezogen werden. Dass die Apotheke den Einkaufspreis des Zwischenhändlers im Ausland gar nicht kannte, spielt aus Sicht des Gerichts ebenfalls keine Rolle. Der Höchstabgabepreis von Roche sei zwar „vorliegend nicht bekannt“, allerdings habe die Versicherung substantiiert dargelegt, dass der Abgabepreis bei maximal 2700 Euro je Packung gelegen habe.
Damit war der Kaufvertrag laut Gericht teilweise nichtig – und zwar bezüglich des zu viel bezahlten Betrages. „An die Stelle des vereinbarten Preises tritt dann der höchst zulässige bzw. übliche Preis“, heißt es im Urteil. Jede Zahlung darüber hinaus sei ohne Rechtsgrund erfolgt. „Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich der AMPreisV nicht entnehmen, dass diese auf in Deutschland zugelassene Arzneimittel beschränkt sein soll“, so das Urteil. Demnach hatte die Apotheke der Versicherung zu hohe Arzneimittelpreise für den Import in Rechnung gestellt.
Jetzt muss sich das Oberlandesgericht Dresden (OLG) mit der Frage befassen, ob die AMPreisV bei Einzelimporten gilt oder nicht. Da es sich um eine grundsätzliche rechtliche Frage handelt, könnte der Fall sogar vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landen.
Von der Klärung der Rechtsfrage hängt viel ab: Sollte die Position des Landgerichts bestätigt werden, würde das den Einzelimport von hierzulande nicht zugelassenen Arzneimitteln extrem erschweren. Denn heute haben sich importierende Apotheken und Großhändler darauf spezialisiert. Nach der Logik des LG müssten diese sich künftig mit dem Großhandelshonorar begnügen, dass laut AMPreisV bei 37,80 Euro gedeckelt ist.
Gegenüber Krankenkassen besteht dieses Problem übrigens nicht. Diese genehmigen den Import in aller Regel vorab, womit auch die Preisfrage geklärt ist. Apotheken könnten also auf Nummer sicher gehen und sich künftig auch von allen privaten Krankenversicherungen den Import vorab zu den gegebenen Konditionen bestätigen lassen.
Theoretisch darf jede Apotheke Arzneimittel aus dem Ausland einführen. Das ist in §73 AMG geregelt. Weil das nicht jede Apotheke selbst kann, haben sich Einzelimporteure spezialisiert. Dem Branchenverband VEIA zufolge gibt es weniger als 20 Importeure, zehn haben sich in dem Verband zusammengeschlossen.
Ein Einzelimport ist nur in einigen Ausnahmefällen erlaubt: wenn ein Wirkstoff in Deutschland nicht erhältlich ist, sei es auch nur in einer bestimmten Wirkstärke oder Darreichungsform, wenn ein Wirkstoff hierzulande nicht zugelassen oder ein Medikament außer Handel ist. Aber auch bei vorübergehenden Lieferengpässen kann der Einzelimport eine Lösung sein. Der Großhändler muss den Engpass schriftlich bestätigen. Für den Import von Arzneimitteln – Rx und OTC – muss grundsätzlich ein Rezept vorliegen – außer bei OTC-Präparaten aus dem EU-Ausland.
Krankenkassen müssen die Kosten für ein importiertes Arzneimittel nicht übernehmen. Zahlt der Patient nicht privat, muss die Übernahme beantragt werden. Für den Kostenvoranschlag muss der Verkaufspreis berechnet werden. Sobald die Zusage der Kasse da ist, kann das Arzneimittel bestellt werden. Kassenrezepte können normal über die Rechenzentren abgerechnet werden: Für den Import von rezeptpflichtigen Arzneimitteln wird die Sonder-PZN 09999117 verwendet, bei OTC-Präparaten kommt die 09999206 zum Einsatz. Beschaffungskosten können mit der PZN 09999637 abgerechnet werden.
Am Ende steht die Dokumentation: Es muss protokolliert werden, welches Arzneimittel in welcher Menge von welchem Hersteller über welchen Importeur für welchen Patienten eingeführt wurde. Auch der verordnende Arzt sowie das Datum von Bestellung und Abgabe müssen dokumentiert werden. Nach Schätzungen von VEIA werden jährlich rund 1,2 Millionen Packungen auf therapeutische Veranlassung hin importiert. Nur 120.000 Packungen werden von den Krankenkassen und privaten Versicherungen erstattet.
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