Miniapotheken gegen den Notstand Julia Pradel, 05.01.2016 10:00 Uhr
Je dünner eine Region besiedelt ist, desto schneller stellt sich die Frage: Lohnt sich eine Apotheke? Manchmal muss diese Frage mit Nein beantwortet werden. Um die flächendeckende Versorgung trotzdem zu gewährleisten, sieht das Apothekengesetz (ApoG) Ausnahmen vor: Zweig- und Notapotheken. Für sie gelten besondere Regeln.
Tritt ein Notstand in der Arzneimittelversorgung ein, dürfen die zuständigen Behörden dem Inhaber einer nahe gelegenen Apotheke den Betrieb einer Zweigapotheke erlauben. Eine Zweigapotheke muss laut ApoG mindestens aus einer Offizin, ausreichendem Lagerraum und einem Nachtdienstzimmer bestehen. Eine Mindestgröße ist nicht vorgegeben, auch ein Labor ist nicht Pflicht.
Ein Apotheker darf maximal eine Zweigapotheke führen. Die Erlaubnis für deren Betrieb erhält er von der zuständigen Behörde für fünf Jahre – danach muss er sie neu beantragen. Im Laufe des Genehmigungsverfahrens wird auch die jeweilige Apothekerkammer hinzugezogen, die die Notwendigkeit der Zweigapotheke begründet. Deutschlandweit gibt es noch zehn Zweigapotheken, vor allem in Flächenländern wie Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
In der Altmark betreibt Stephan Schwieterka eine der letzten Zweig-Apotheken: die Einhorn-Apotheke in Goldbeck. Für den Apothekenleiter bieten sich mehrere Vorteile: „In der Einhorn-Apotheke brauche ich kein Labor vorzuhalten, Identitätsprüfungen werden in der Hauptapotheke durchgeführt“, erklärt er. Außerdem spart er beim Mitgliedsbeitrag für den Apothekerverband, da dieser nicht für zwei einzelne Apotheken erhoben wird, sondern für den summierten Umsatz.
Da Schwieterka zwar zwei Apotheken besitzt, aber keinen Filialverbund führt, kann er sich weiterhin von einem Pharmazieingenieur vertreten lassen. Bis 1992 konnte die Zweigapotheke sogar von einem Pharmazieingenieur geführt werden, das ist aber nicht mehr möglich. In Schwieterkas Zweigapotheke sind ein Apotheker sowie ein Pharmazieingenieur und zwei PTA in Teilzeit angestellt, in seiner Adler-Apotheke in Arneburg arbeitet Schwieterka zusammen mit einem Pharmazieingenieur und zwei PTA. Außerdem beschäftigt er vier Boten.
In Arneburg und Goldbeck leben jeweils rund 1500 Menschen. Schwieterka versorgt aber auch die umliegenden Dörfer. Daher ist der kostenlose Botendienst besonders wichtig: „Wir kommen mit vier Autos auf insgesamt 60.000 Kilometer im Jahr“, so Schwieterka. Außerdem betreibt er insgesamt drei Rezeptsammelstellen im Umkreis. Pharmazeutisches Personal zu finden, ist in der Altmark schwierig: Seit zwei Jahren sucht Schwieterka vergeblich nach einem Approbierten. „Man muss Fan vom Landleben sein“, räumt er ein und wirbt mit der wunderschönen Landschaft und den Reiterhöfen in der Gegend.
In der Altmark sind Apotheken dünn gesät. Entsprechend oft muss Schwieterka Notdienst leisten. Auch die Zweigapotheke ist in den 11-Tage-Rhythmus eingebunden, alle fünf bis sechs Tage hat Schwieterka Dienst. „In beiden Apotheken ist dann wenig los, darum bin ich sehr froh über die Notdienstpauschale“, sagt er. Im Jahr erhält er rund 11.000 Euro aus dem Topf. Schwieterka kann dem Landleben aber auch Positives abgewinnen: „Man muss sich nicht mit der Konkurrenz rumärgern und kann es sich leisten, nicht in die OTC-Rabattschlacht einzusteigen.“
Insgesamt sieht sich der Apotheker in einer glücklichen Lage: „Die Apotheke liegt in einem regionalen Zentrum“, erklärt er. Selbst aus dem 15 Kilometer entfernten Stendal kämen Patienten. Er kann die Einhorn-Apotheke somit halten, obwohl es in Goldbeck schon seit drei Jahren keinen Arzt mehr gibt. Immerhin: Schwieterka hat erst im vergangenen Jahr die Genehmigung erhalten, die Einhorn-Apotheke weitere fünf Jahre als Zweigapotheke zu führen. Wahrscheinlich könnte er die Apotheke auch als Filiale halten, schätzt er. „Aber die Decke wird dünner.“
Das merkt derzeit eine Kollegin von Schwieterka. Auch sie hatte nach der Wende eine Apotheke in der Altmark als Zweigapotheke betrieben. Doch vor einigen Jahren wurde ihr die Genehmigung dafür entzogen. Damals erklärte die zuständige Behörde, der Bus fahre so regelmäßig, dass es den Menschen zuzumuten wäre, damit zu einer anderen Apotheke zu fahren. Nachvollziehen kann die Apothekerin das nicht – denn an der Busverbindung hatte sich aus ihrer Sicht nichts geändert.
Sie betreibt die ehemalige Zweigapotheke als Filiale weiter. Die räumlichen Anforderungen hatte die Apotheke bereits weitgehend erfüllt, nur das Labor musste nachgerüstet werden. Problematischer ist für die Apothekerin, dass sie sich als Filialleiterin nicht von einer Pharmazieingenieurin vertreten lassen darf. Daher musste sie einen dritten Pharmazeuten einstellen, um die verschiedenen Abwesenheiten abzudecken.
Die Umwandlung der Zweig- in eine Filialapotheke traf sie daher empfindlich. Um die Mehrkosten zu stemmen, bräuchte sie eigentlich mehr Umsatz. In einer dünn besiedelten Gegend wie der Altmark ist das allerdings schwierig. „Ich überlege jeden Tag, ob sich das noch lohnt“, sagt die Apothekerin deshalb.
Ähnlich erging es Apotheker Andreas Portugal mit seiner Zweigapotheke im mecklenburg-vorpommerischen Tutow – die 30 Jahre lang eine Zweigapotheke war. Als 2004 das eingeschränkte Mehrbesitzverbot eingeführt wurde, entzogen die Behörden dem Apotheker die Genehmigung zum Betrieb der Zweigapotheke – mit Verweis auf die neu geschaffene Möglichkeit, eine Filiale betreiben zu dürfen.
Für Portugal war das kein größeres Problem: Er konnte Labor und Rezeptur in den bestehenden Räumen unterbringen. Von der Apotheke in Tutow aus versorgt er einen Pflegedienst und ein Pflegeheim im Ort. In der Apotheke sind meist zwei Mitarbeiter anwesend, ein Apotheker und ein Facharbeiter oder PTA.
Die einzige saisonale Zweigapotheke Deutschlands befindet sich auf Baltrum. Seit Januar gehört die Insel-Apotheke Silke Hellberg, Inhaberin der Apotheke Dornum auf dem Festland. Der Vorbesitzer, Dr. Ulrich Räth, hatte Mitte des Jahres angekündigt, die Apotheke auf der Nordseeinsel 2016 nicht weiterzuführen. Nach monatelanger Suche fand er in Hellberg eine Nachfolgerin.
Räth durfte nicht nur auf eine Rezeptur und ein Labor verzichten – im Winter, außerhalb der Urlaubssaison, wird die Apotheke als Rezeptsammelstelle betrieben. Sie ist dann täglich von 11.30 bis 12 Uhr geöffnet. Patienten können dort Medikamentenbestellungen abgeben, die per Fax auf dem Festland geordert werden und meist schon am nächsten Tag abholbereit sind. Auch Hellberg will die Insel-Apotheke als saisonale Zweigapotheke betreiben.
Besteht ein Notstand und findet sich innerhalb von sechs Monaten niemand, der eine Apotheke oder Zweigapotheke eröffnen möchte, dürfen Gemeinden ausnahmsweise eine Notapotheke betreiben. Geleitet wird diese von einem angestellten Apotheker. Die Gemeinden brauchen dafür die Genehmigung der zuständigen Behörde. Die Regelung ist bislang aber theoretischer Natur: In ganz Deutschland gibt es keine Notapotheke.
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