Streit um übertarifliche Bezahlung

Approbierte kopiert Lohnunterlagen – Kündigung

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Berlin -

Eine Folge des Fachkräftemangels ist es, dass in vielen Apotheken über Tarif gezahlt wird, teilweise deutlich. Das belastet nicht nur die ohnehin angespannte finanzielle Situation, sondern mitunter auch den Betriebsfrieden. In Rheinland-Pfalz wurde jetzt ein besonders heikler Fall vor Gericht verhandelt.

In Mainz arbeitete eine Apothekerin seit mehr als zehn Jahren in Teilzeit in einer Apotheke. Nachdem es einen Inhaberwechsel gab, vereinbarte sie mit ihrem neuen Chef einen Zuschlag von 20 Prozent über Tarif. Doch offenbar war sie damit immer noch nicht zufrieden: Denn, so sagte sie später vor Gericht aus, während die übernommenen Angestellten nur 10 Prozent über Tarif erhielten, würden bei Neueinstellungen – selbst ohne größere Berufserfahrung – 15 bis 30 Prozent über Tarif gezahlt. So sei schon länger bekannt gewesen, dass eine bestimmte Arbeitnehmerin an der oberen Grenze liege.

Am 9. März 2023 jedenfalls schickte sie per Whatsapp eine Kopie des Arbeitsvertrags einer weiteren Mitarbeiterin an eine Kollegin, woraufhin sich folgende Diskussion entspann:

  • Nachricht gelöscht
  • Weiß X., dass du es kopiert hast? Das sind ja vertrauliche Daten? Sie sagt zu mir 10% Sie kann das ja mit Y. nochmal klären. Ist alles Chefsache
  • ? Vertrauliche Daten im Büro öffentlich und auf dem PC? Ich lösche es sofort, wenn Y. reagiert. Gebe dir Recht - er
    sollte die Personalakten nicht in der Apotheke öffentlich stehen lassen [Zwinkersmiley] Woher soll man sonst wissen wer welches Gehalt bekommt - keiner sagt es von sich aus [breiter Lachsmiley]

Obwohl die angeschriebene Mitarbeiterin im Chat also zunächst erschrocken reagierte, weil ihr offensichtlich klar war, dass es sich um vertrauliche Informationen handelte, forderte sie am selben Tag gemeinsam mit einer weiteren Kollegin vom Inhaber eine Gehaltserhöhung auf 30 Prozent über Tarif – unter Hinweis auf die Bezahlung anderer Teammitglieder.

Einige Woche später offenbarte schließlich die Mitarbeiterin, deren Arbeitsvertrag kopiert worden war, dem Chef, dass sie von Kollegen über den ungeheuerlichen Vorgang erfahren habe. Der Chef konnte nicht sofort reagieren, da er sich gerade im Urlaub befand. Nach seiner Rückkehr kündigte er der Approbierten aber ordentlich und stellte sie mit sofortiger Wirkung frei.

Personalordner nicht abgeschlossen

Obwohl ihr wohl auch eine fristlose Entlassung hätte widerfahren können, wollte die Apothekerin vor dem Arbeitsgericht Mainz eine Abfindung durchsetzen. Sie war sich offenbar keiner Schuld bewusst: ln dem Chat sei lediglich die bereits lange laufende Diskussion unter den beiden Kolleginnen und ihr „locker-unsauber formuliert“ weitergeführt worden.

Wenn jemand gegen Datenschutzvorschriften verstoßen habe, dann sei es ihr ehemaliger Chef: Er habe die Personalunterlagen im frei zugänglichen und auch für andere Zwecke wie das Kopieren von Rezepten oder die Bearbeitung von Bestellungen genutzten Büro unverschlossen aufbewahrt und insofern keine angemessenen Schutzmaßnahmen ergriffen. Dass schon die vorherige Inhaberin die Beschäftigten darauf hingewiesen hatte, dass niemand auf diese Unterlagen zugreifen dürfe, erwähnte sie nicht.

Der Inhaber wiederum verwies vor Gericht darauf, dass seine ehemalige Mitarbeiterin das Interesse der betroffenen Kollegin an der Vertraulichkeit auf rücksichtslose Weise missachtet habe und dass ihre Äußerungen im Chat belegten, dass sie eigensüchtig und ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe und in der Absicht, ihr Vorgehen zu vertuschen. Im Übrigen habe sie mit ihrem Verhalten auch gegen die Berufsordnung verstoßen.

Betriebsklima belastet

Das Arbeitsgericht wies die Klage ohne den Hauch eines Zweifels ab: Schon die unerlaubte Einsichtnahme in Personal- oder Gehaltsunterlagen könne eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Zudem dürften ohne Einverständnis des Arbeitgebers keine betrieblichen Unterlagen oder Daten für betriebsfremde Zwecke vervielfältigt werden. Und schließlich sei allgemein anerkannt, dass auch rechtswidrige Handlungen gegenüber Arbeitskollegen wie Beleidigungen, Tätlichkeiten oder Mobbing mit Betriebsbezug einen wichtigen Kündigungsgrund darstellten, selbst wenn der Arbeitgeber selbst nicht unmittelbar geschädigt sei.

Dies gelte ebenso, wenn ungerechtfertigte Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und rechtswidrige Verarbeitungen personenbezogener Daten von Arbeitskollegen erfolgten und die Handlung schwerwiegend sei. Denn damit werden zugleich das Betriebsklima und gegebenenfalls auch das Vertrauensverhältnis belastet; obendrein werde der Arbeitgeber genötigt, sich mittels arbeitsrechtlicher Maßnahmen schützend vor die betroffenen Kollegen zu stellen.

Mit ihrem Verhalten habe die Apothekerin mehrfach zumindest gegen ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahme- und Treupflicht verstoßen. Zugleich habe sie schwerwiegend gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Kollegin verstoßen: Durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht dürfe jedermann grundsätzlich selbst entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen man persönliche Lebenssachverhalte offenbaren wolle.

Vorsatz und Vertuschung

Dass der Vorgang sich wie beschrieben abgespielt hat, ergibt sich laut Gericht schon aus dem Chatverlauf – auch wenn das Dokument selbst später gelöscht worden sei. „Sie handelte gezielt und vorsätzlich, wie auch die von ihr zur Kommentierung ihrer Whatsapp-Einträge am 9. März 2023 verwandten Emojis (zwinkernd bzw. breit lachend) veranschaulichen. Ihr Vorgehen war planvoll und sie war auch bereit, nötigenfalls ihre Verhalten zu vertuschen, wie ihre Whatsapp-Nachricht [...] unmissverständlich belegt.“

Für ein solches Verhalten gebe es keine Rechtfertigung: Wenn sie tatsächlich ihrer Kollegin im Rahmen von anstehenden Gehaltsgesprächen hätte weiterhelfen wollen, hätte sie ja ihre eigene außertarifliche Zulage offenbaren können. Hingegen habe die Weitergabe der arbeitsvertraglichen Unterlage einer Kollegin „allein persönlichen Zwecken“ gedient: „Sie hat damit den Betriebsfrieden erheblich gestört und einen irreparablen Vertrauensbruch begangen, der eine weitere Zusammenarbeit über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus unzumutbar macht.“

Daher seien weder eine Anhörung noch eine vorherige Abmahnung notwendig gewesen: „Insbesondere die Ablichtung und Speicherung einer arbeilsvertraglichen Unterlage aus einer Personalakte sowie die Verbreitung dieser an zumindest eine andere
Arbeitnehmerin des Betriebs stellen einen derart schweren Vertrauensbruch dar, bei dem mit einer Wiederherstellung des erforderlichen Vertrauens nicht mehr zu rechnen ist.“

Selbst wenn die Personalakten in einem Büroschrank gestanden haben, dessen Türen wegen Defekts entfernt worden waren, lasse dies ihr Verhalten nicht in einem milderen Licht erscheinen. „Denn die Personalakten standen gerade nicht in einem für Dritte wie zum Beispiel Kunden frei zugänglichen Bereich, sondern im Büro.“

Kein Recht auf Eigeninitiative

Aber selbst ein etwaiger Verstoß gegen eine sorgfältige Verwahrung von Personalakten ändere nichts daran, dass die Angestellte
nicht berechtigt gewesen sei, „in die Personalakten ihrer Kolleginnen Einsicht zu nehmen geschweige denn hieraus Ablichtungen zu eigenen Zwecken anzufertigen und diese Ablichtungen mit anderen zu teilen.“ Hätte sie darin ein Problem gesehen, hätte sie den Inhaber darüber informieren und um Abhilfe bitten müssen.

Selbst wenn sie die Bezahlung als intransparent und ungerecht empfunden habe, gebe ihr dies kein Recht zu diesem eigenmächtigen Vorgehen. „Vielmehr hätte sie bei einer vermuteten ungerechtfertigten ungleichen Bezahlung vom Beklagten Auskunft zur Ordnung der übertariflichen Zulagen im Betrieb und zu etwaigen Differenzierungsgründen verlangen und notfalls auch im Wege der Stufenklage auf Zahlung der nicht gewährten Zulage klagen können.“ Aber ebenso wie man sich als Arbeitnehmer selbst beurlauben könne, dürfe man nicht einfach eine „dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz genügenden Bezahlung“ durchsetzen.

Ein Verwertungsverbot des Chatverlaufs als Beweismittel, wie von der Approbierten angestrengt, gab es laut Gericht nicht. Weder seien besonders persönliche Informationen enthalten gewesen, noch habe der Inhaber seine ehemalige Angestellte ausgespäht. Vielmehr sei der Chatverlauf von der angeschriebenen Kollegin herausgegeben und durch Zeugenaussagen bestätigt worden.

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