„Es ist keine Hilfe“

Apotheker:innen warnen vor Arzneimittel-Spenden

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Berlin -

Mit langen Listen stehen Kund:innen in vielen Apotheken am HV-Tisch und wollen Bestellungen für die Menschen in der Ukraine abgeben. Doch Arzneimittel sollen nicht in die Ukraine gespendet werden. Darauf machen Apotheker:innen, Hilfsorganisationen und Kammern aufmerksam. Dabei geht es nicht nur um den rechtlichen Aspekt, sondern auch um die Koordination und den tatsächlichen Bedarf in der Krisenregion.

Die Situation in der Ukraine ist dramatisch. Um den Menschen zu helfen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine Liste mit Organisationen und Spendenkonten finden Sie hier.

Bulkware statt Kleinpackungen

Apotheker Josef Kammermeier sieht Arzneimittelspenden kritisch. „Mich haben Hilferufe von Kollegen erreicht, deren Kunden Arzneimittel und andere Produkte für die Ukraine bestellen wollen“, sagt er. Doch gerade in einem Krisengebiet sei koordinierte Hilfe besonders wichtig. „Zehn Packungen Paracetamol nützen nichts und verfallene Arzneimittel sind völlig inakzeptabel“, sagt der Inhaber der Stadtpark Apotheke in Regensburg. Medikamente mit deutschsprachiger Beschriftung führe nur zu Verwirrung und könne schnell vor Ort nicht eingesetzt werden. Benötigt werde dagegen Bulkware und eine kleine Auswahl an Wirkstoffen. „Wir bitten deshalb Apotheker und Bürger um Geld“, sagt Kammermeier mit Verweis auf die Hilfsorganisation Apotheker Helfen.

Hilfswerke hätten die nötige Sachkenntnis und wüssten, was vor Ort benötigt werde. Zudem könnten sie mit einem anderen Übersetzungsfaktor einkaufen. „Der liegt bei 1:10 oder teilweise 1:100. Da kann man mit zehn Euro viel mehr erreichen, als wenn ein Kunde in die Apotheke kommt und für zehn Euro Paracetamol kaufen will.“ Zudem gebe es von Hilfsorganisationen fertige Einsatzkits, die erworben werden könnten. Auch für die Hilfswerke sei der Krieg in der Ukraine gerade eine Herausforderung, sagt der Apotheker. „Aber das ist deren Job.“

Auch die Schulungsleiterin bei Apotheker ohne Grenzen (AoG), Dr. Carina Vetye, betont, dass einzelne Arzneimittelspenden durch Privatpersonen oder -organisationen in der Regel nicht hilfreich seien. „Arzneimittelspenden müssen beschriftet und bewertet werden. Sie müssen durch den Zoll und die Kosten bis zum Einsatzort vor Ort müssen abgedeckt sein. Dazu kommt, dass die Vernichtungskosten übernommen werden müssen, wenn sie nicht gebraucht werden.“

Den Bedarf an Arzneimitteln vor Ort kennen nur diejenigen, die dort sind, sagt die Apothekerin. Hilfsorganisationen stünden mit den Krankenhäusern oder Gesundheitszentren in den Kriegsgebieten in Kontakt. Dazu komme, dass jedes Land eine Arzneimittelliste mit bestimmten Wirkstoffen habe. „Wir haben eine viel breitere Palette. Im Katastrophengebiet ist keine Zeit, sich mit Wirkstoffen zu beschäftigen, die weniger bekannt sind und sich einzulesen“, erklärt sie. „Es braucht eine spartanische Auswahl, am wichtigsten in großen Mengen von wenig Wirkstoffen.“

Auch bei den Großhändlern gibt es eine erhöhte Nachfrage nach Verbandsmaterialien. „Noch sind keine Lieferengpässe bekannt. Wir beobachten die Situation sehr genau und gehen davon aus, dass die Apotheken sich verstärkt bevorraten werden“, sagt eine Sprecherin des Verbunds der Privatgroßhändler, Pharma Privat. Auch bei der Sanacorp verliefen die Bestellungen „zurzeit sehr dynamisch. Wir stellen eine erhöhte Nachfrage bei bestimmten Produkten fest, darunter Verbandstoffe“, sagt ein Sprecher. Auch bei Gehe/Alliance Healthcare Deutschland und Noweda wird mehr Verbandsmaterial als sonst nachgefragt.

Unerlaubte Arzneimittelausfuhr

Vetye warnt auch davor, Arzneimittel in Eigenregie über die Grenze zu schaffen. Das sei auch bei OTC-Präparaten nicht erlaubt. Ein Großhändler mit Exporterlaubnis habe da andere Möglichkeiten. Zudem kritisiert sie, dass Ärztemuster gespendet würden. „Die Weltgesundheitsorganisation hat gesagt, sie will kein Sammelsurium. Diesen Spendenmüll zu vernichten, ist eine Heidenarbeit.“

Auch die Landesapothekerkammern Hessen und Niedersachsen betonen, auf Geldspenden zu setzen. Mehrere Hilfsorganisationen der Apotheker sind für die Menschen in und aus der Ukraine im Einsatz. AoG organisieren zusammen mit der polnischen Hilfsorganisation Polish Medical Mission (PMM) Lieferungen von medizinischem Bedarf für ukrainische Krankenhäuser, die bis an die Grenze gebracht und dort von ukrainischen Partnern übernommen werden.

Apotheker Helfen ermittelt in Zusammenarbeit mit dem Partner LandsAid, wie Geflüchtete mit gesundheitlichen Problemen an der polnisch-ukrainischen Grenze am besten medizinisch versorgt werden können. Auch ein Krankenhaus in Lwiw (Lemberg) wird mit Arznei- und Verbandmitteln versorgt. Das Hilfswerk der Baden-Württembergischen Apothekerinnen und Apotheker hat mit dem Partner action medeor bereits eine Soforthilfe auf den Weg gebracht. Mit dem Geld aus einem Spendenaufruf sollen in der Ukraine nun vor allem Verbandsmaterial, aber auch Arzneimittel und medizinisches Gerät für die dortigen Krankenhäuser beschafft werden.

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