Apothekerin singt gegen das Apothekensterben Cynthia Möthrath, 08.03.2020 12:10 Uhr
Um als Landapotheke in der schnelllebigen Zeit sichtbar zu bleiben, müssen oft besondere Ideen her: Apothekerin Sonja Hartmann startete im vergangenen Jahr mit ihrer Deutschorden Apotheke einen Youtube-Kanal, den sie mit kurzen, musikalischen Videos aus dem Apothekenalltag füllt: Egal ob Männerschnupfen, Apothekensterben oder Corona – die besungenen Themen reichen von unterhaltsam bis berufspolitisch.
Angefangen hat alles mit der Großhandelskooperation der Apotheke: „Uns wurde ans Herz gelegt, mehr Internetpräsenz zu zeigen“, erklärt Hartmann. Nach kurzer Recherche stieß sie gemeinsam mit ihrem Mann auf Gianpaolo di Nardo, welcher unter dem Pseudonym „Joe der Apotheker“ kurze, amüsante Videos über apothekenrelevante Themen dreht. „Wir fanden das total witzig und dachten, sowas könnten wir eigentlich auch machen.“ Im November vergangenen Jahres startete Hartmann mit ihrem Mann den Youtube-Kanal. „Mein Mann ist leidenschaftlicher Sänger“, erklärt sie. Deshalb bestand er darauf, die entsprechenden Liedzeilen in den Videos selbst einzusingen.
Und dann nahm alles seinen Lauf: „Das ist schon sehr viel Aufwand“, erklärt Hartmann. Angefangen habe alles im Sonntagsnotdienst: „Wenn nicht viel los war, haben wir die Videos zwischendurch gedreht.“ Mittlerweile werden die Drehs jedoch auf das Wochenende verlegt. „Es hat sich außerdem gezeigt, dass ein Drehbuch sehr hilfreich sein kann“, erklärt Hartmann. Denn ohne Skript mussten einige Situationen sehr häufig wiederholt werden. „Außerdem bin ich nicht so die begnadete Sängerin“, lacht die Apothekerin. Ihre Parts müssten sie daher auch schon mal öfter drehen, bis alles stimmt.
Derzeit kommt etwa alle zwei Wochen ein neues Video. „Das Wichtigste ist, dass es Spaß macht. Daher soll der Umfang nicht den Rahmen sprengen.“ Um Zeit zu sparen, werden mittlerweile an einem Drehtag mehrere Videos aufgenommen und nach und nach veröffentlicht. „Mein Mann schneidet nach dem Dreh alles und stellt sie fertig.“ Die aufgegriffenen Themen sind bunt und vielfältig: Oft bekommt die Apothekerin auch Input aus der Offizin und verschiedenen Beratungssituationen, die sie selbst erlebt hat. Daher findet die Auswahl der Themen meist spontan statt. Manchmal fallen Hartmanns Mann – der selbst als Arzt tätig ist – auch verschiedene Diagnosen oder Beratungsthemen beim Hören von Songs im Radio ein, die entsprechend umgedichtet werden.
Mittlerweile ist ein knappes Dutzend Videos online. „Wir versuchen mit unserem Youtube-Kanal einen sehr breiten Spagat zwischen fundierter Information, über berufspolitische Themen bis hin zu purer Unterhaltung“, erklärt die Apothekerin. Auch aktuelle Themen werden aufgegriffen – im jüngsten Video wird singend und auf amüsante Weise über das aktuelle Coronavirus aufgeklärt. „Die Idee dazu kam ganz spontan während eines Spaziergangs, weil das Thema so aktuell ist.“ Apotheker müssten derzeit zur Deeskalation beitragen, findet Hartmann. „Viele Menschen lassen sich von dieser Panik anstecken, wir versuchen dann zu beraten und zu beruhigen“, erklärt sie.
Obwohl die Apothekerin nicht gezielt auf ihren Kanal aufmerksam gemacht hat, erfreuen sich die Videos mittlerweile großer Bekanntheit: Zunächst haben sie sich wie ein Lauffeuer im ländlichen Einzugsbereich der Apotheke verbreitet. „Es kamen zum Teil fremde Leute in die Apotheke, um zu sehen, ob es uns wirklich gibt“, lacht Hartmann. Mittlerweile werden die Videos auch in den sozialen Medien häufig geteilt und sorgen unter Apothekenmitarbeitern für amüsierte Reaktionen. „Im Vorfeld war gar nicht geplant, mit den Videos etwas zu erreichen. Wir haben einfach Themen behandelt, die uns und auch den Leuten unter den Nägeln brennen.“ So kam es auch zu ernsteren Themen, die von Hartmann und ihrem Mann auf lustige Art und Weise besungen werden: In einem Video gegen das Apothekensterben haben sich die beiden als Vader Abraham und die Schlümpfe verkleidet.
Hartmann selbst arbeitet in einem Familienbetrieb, der seit 40 Jahren existiert: Neben ihrem Vater, dem die Apotheke gehört, wird sie von ihrem Bruder, ihrer Mutter und einer langjährigen PTA unterstützt. „Die ländlichen, inhabergeführten Apotheken haben es schon schwer“, meint die Apothekerin. Denn viele von ihnen seien nicht mehr zu verkaufen, wenn der Inhaber in Rente gehe. Schließlich müssten nach der Übergabe die Bedingungen der neuen Apothekenbetriebsordnung erfüllt sein. „Viele Apotheken sind jedoch so alt, dass der neue Besitzer erst einmal investieren muss“, erklärt sie. „Außerdem werfen kleine Apotheken nicht soviel ab.“ Gerade in Zeiten von Engpässen sei zum Beispiel auch eine andere und kostenintensivere Lagerhaltung notwendig. „Es ist momentan echt nicht einfach für kleinere Apotheken.“ Derzeit übernimmt die Deutschorden Apotheke im baden-württembergischen Illerrieden alle 13 Tage einen Notdienst. „Wenn weitere Apotheken im Umkreis wegfallen, werden es noch mehr werden. Umso schwieriger wird es – dennoch habe ich den schönsten Arbeitsplatz der Welt“, schwärmt die Apothekerin.