Präsenzpflicht

Apothekerin kriecht durch Kellerfenster – Betriebserlaubnis weg

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Berlin -

In jeder Apotheke muss ein Apotheker anwesend sein. Immer. Ohne Ausnahme. In Schleswig-Holstein hatte eine Inhaberin ihre PTA trotzdem alleine gelassen. Als die Aufsicht plötzlich in der Tür stand, kroch sie durch das Kellerfenster schnell zurück in die Betriebsräume. Dabei wurde sie erwischt, nun ist sie ihre Betriebserlaubnis los.

Zuerst gab es anonyme Hinweise. Bei der Apothekerkammer und beim Landesamt für soziale Dienste in Kiel. Hinweise, dass in einer bestimmten Apotheke in Lübeck kein Approbierter anwesend sein sollte. Die Aufsichtsbehörde ging der Sache nach und stellte bei einer Kontrolle am 3. August 2017 fest, dass in der genannten Apotheke tatsächlich keine approbierte Leitung anwesend war. Auf Nachfrage erklärte die Inhaberin, dass sie als alleinerziehende Mutter kurzfristig habe nach Hause fahren müssen, da eines der Kinder geblutet habe und sie mit diesem ins Krankenhaus habe fahren wollen.

Wieder gab es anonyme Hinweise, diesmal ging es um die zweite Apotheke derselben Inhaberin. Auch hier, so die Anschuldigung, seien die Mitarbeiter auf sich alleine gestellt. Exakt einen Monat nach dem ersten Termin suchten die Kontrolleure auch diese Apotheke auf. Mit zittriger Stimme erklärte die vor Ort angetroffene PTA, dass ihre Chefin in einem Hinterzimmer sehr tief schlafe.

40 Minuten dauerte es, bis die Apothekerin in den Verkaufsräumen der Apotheke erschien. Sie erklärte, im Keller sehr fest geschlafen zu haben, und bestätigte dies sogar schriftlich. Sie sei die ganze Zeit vor Ort gewesen, es gebe ja auch nur einen Eingang zur Apotheke. Und durch den sei sie, wie die Kontrolleure ja selbst gesehen hätten, nicht gekommen.

Zweieinhalb Monate später gestand die PTA plötzlich, dass sie aus Angst um ihren Job im Affekt gehandelt habe. In Wahrheit habe ihre Chefin nicht im Keller geschlafen, sondern sei zu Hause gewesen. Sie selbst habe sie dann über die Kontrolle informiert und das Kellerfenster geöffnet, durch welches die Apothekerin in die Betriebsräume geklettert sei.

Das Landesamt verhängte nicht nur Bußgelder wegen der beiden Vorfälle, sondern führte Mitte Dezember in der ersten Apotheke eine Revision durch. Dabei wurden mehrere Mängel festgestellt: So waren zahlreiche Ausgangsstoffe verfallen, als solche aber weder gekennzeichnet noch gesondert gelagert. Außerdem wurden Ausgangsstoffe ungeprüft verwendet, Prüfgeräte zur Identitätsprüfung gab es nicht. Stattdessen wurden Fehlbestände bei Betäubungsmitteln (BtM) festgestellt, die zum Teil auch nicht in dem dafür vorgesehenen Tresor gelagert, sondern zufällig in einer Sammelbox gefunden wurden. Außerdem wurden offensichtlich BtM auf der Grundlage fehlerhaft ausgefüllter Rezepte an eine Arztpraxis abgegeben.

Einige Wochen später erklärte die Inhaberin, die Mängel beseitigt zu haben. Ende Januar tauchte das Landesamt erneut zur Revision auf, diesmal in beiden Apotheken gleichzeitig. Doch die Zustände hatten sich keineswegs verbessert: Immer noch wurden Ausgangsstoffe ungeprüft verwendet, immer noch fehlten Geräte zur Identitätsprüfung wie Schmelzpunktgerät, Refraktometer oder Mikro-DC-Ausrüstung.

Auch im Notfalldepot waren Arzneimittel verfallen. In der Freiwahl wurden diverse apothekenunübliche Waren angeboten. Und auch bei der Abrechnung wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt: Kassenrezepte wurden mit Rabattarzneimitteln bedruckt, obwohl Präparate anderer Hersteller abgegeben worden waren. Ein Arzneimittel war, obwohl der Großhandel es zurückgenommen hatte, über das Rechenzentrum abgerechnet worden.

Wieder erklärte die Apothekerin daraufhin schriftlich, dass sie alle Mängel behoben und sich sogar externe Hilfe für die Verbesserung der Personalsituation geholt habe. Außerdem habe sie eine der beiden Apotheken geschlossen.

Nun begann der Schlussakt. Bei der Nach-Revision in der verbliebenen Apotheke wurde Ende März unter anderem festgestellt, dass Impfstoffe ohne gültige Verordnung an eine Arztpraxis abgegeben wurden. Bei der vorgeschriebenen Dokumentation für Tierarzneimittel fehlten die Chargen, bei den Unterlagen zu Blutzubereitungen gab es keine Kunden- und Lieferantendokumentation. Außerdem wurden nach wie vor Produkte wie Rettungswesten, Lesebrillen und Duftkerzen verkauft.

Mitte April wurde die Apothekerin vom Landesamt darüber informiert, dass ihr die Betriebserlaubnis entzogen werden sollte, und aufgefordert, zu den aufgeführten Punkten Stellung zu nehmen. Am 27. Juli wurde die Betriebserlaubnis endgültig widerrufen. Der Apothekerin fehle die erforderliche Zuverlässigkeit für den Betrieb einer Apotheke. Sie habe mehrfach gegen die Grundpflichten eines Apothekers verstoßen und durch ihr Verhalten sowohl das Vertrauen der Bevölkerung missbraucht als auch die Gesundheit der Patienten gefährdet. Zudem habe sie – auch wenn das Ermittlungsverfahren dazu noch nicht abgeschlossen sei – bei der Abrechnung gegenüber Krankenkassen unlauter gehandelt und dadurch das Ansehen des Apothekerberufes in der Öffentlichkeit geschädigt.

Die Apothekerin legte Widerspruch ein, doch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht folgte im Eilverfahren ihren Ausführungen nicht. Da sie mehrfach und wiederholt gegen Grundpflichten eines Apothekers verstoßen und diese Verstöße trotz mehrfacher Beanstandung nicht behoben habe, seien die Erfolgsaussichten ihres Widerspruchs wohl eher gering. Die Summe der Verstöße innerhalb des kurzen Zeitraums sowie der Umgang mit den Mitarbeitern ließen auf eine „charakterliche und fachliche Ungeeignetheit“ der Apothekerin zur Leitung einer Apotheke schließen.

Besonders schwer wog für die Richter der Vorfall, bei dem die Apothekerin durch das Kellerfenster eingestiegen sei. Durch eigene Lügen sowie Anstiftung der Mitarbeiterin habe sie versucht, ihr Fehlverhalten zu vertuschen. „Der Gesamteindruck des bisherigen Verhaltens deutet darauf hin, dass sich die Antragstellerin ihren Pflichten als Apothekenleitung sowohl gegenüber ihren Mitarbeitern als auch gegenüber den Patienten, die ihr vertrauen, nicht bewusst ist. Die zahlreichen Beanstandungen und auch der Umstand, dass Bußgeldverfahren bisher nicht zu einem rechtskonformen Verhalten beitragen konnten, lässt den Schluss zu, dass die Antragstellerin von sich aus nicht den Anspruch an das rechtmäßige Führen einer Apotheke hat und diese auch in Zukunft nicht ordnungsgemäß betreiben wird.“

Übel nahmen die Richter ihr auch, dass sie teilweise ihre Mitarbeiter für die Missstände verantwortlich gemacht hatte: „Es liegt eben gerade im Verantwortungsbereich der Antragstellerin als Apothekenleitung und es ist ihre Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass der Ablauf in der Apotheke ordnungsgemäß durchgeführt wird.“

Dass sie vor Gericht beteuert habe, dass die beanstandeten Mängel beseitigt seien und zukünftig nicht mehr vorkommen würden, scheine in Anbetracht des bisherigen Verhaltens „eher als Schutzbehauptung vor dem Hintergrund der drohenden Maßnahme“. Ein milderes Mittel sahen die Richter nicht: Die bereits abgeschlossenen und noch laufenden Bußgeldverfahren hätten gezeigt, dass sie nicht gewillt sei, die Verfehlungen endgültig abzustellen und sich in Zukunft gesetzestreu und berufskonform zu verhalten. „Der Antragstellerin ist es trotz der Vorkommnisse möglich, zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes als angestellte Apothekerin zu arbeiten und nach Ablauf einer Frist erneut einen Antrag auf Erteilung einer Betriebserlaubnis zu stellen“, heißt es im Beschluss.

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