Retax und Importquote

Apotheker vor Durchbruch beim Rahmenvertrag

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Berlin -

Stückel-Irrsinn, Defekt-Chaos, Aut-idem-Wirrwarr: Die Bürokratie verdirbt vielen Apothekern den Spaß an der Arbeit. Seit Jahren fragen sich Kollegen, warum jemals solche Verträge mit den Krankenkassen geschlossen wurden. Aus den Verbänden heißt es dann oft schulterzuckend, dass die Vereinbarungen aus einer Zeit stammen, in der die Kassen noch nicht vom Retax-Virus infiziert waren. Doch damit soll jetzt Schluss sein: Ein neuer Rahmenvertrag ist auf der Zielgeraden.

Fünf Jahre lang haben Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband sich nicht auf einen neuen Rahmenvertrag nach § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) einigen können. Nun wird über die letzten Details einer neuen Vereinbarung verhandelt. Noch werden offiziell keine Informationen bekannt gemacht; bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL) gab Verbandschef Dr. Klaus Michels als Verhandlungsführer des DAV erste Einblicke, mit welchen Erleichterungen die Apotheker rechnen können.

Laut Michels hat alleine die Einführung der Packungsgrößenverordnung dazu geführt, dass die bestehenden Regelungen über die Auswahl der abzugebenden Arzneimittel „zum großen Teil obsolet“ geworden sind. Oberstes Ziel des DAV sei es daher gewesen sicherzustellen, dass wir zum Zeitpunkt der Abgabe eindeutig erkennen können, welche Präparate im konkreten Fall zulasten der Kassen abgegeben werden dürfen. „Hier sind wir mit dem vorliegenden Stand sehr weit gekommen, obwohl am übernächsten Donnerstag noch einiges konkretisiert werden muss“, so Michels. „In der Sache besteht aber weitgehend Einigkeit mit dem GKV-Spitzenverband.“

Worauf sich die Apotheker wohl am meisten freuen können: Die Problematik der Stückelung soll gelöst werden, indem jede Verordung zeilenweise betrachtet wird. Andere Probleme im Zusammenhang mit Stückzahl- oder N-Verordung sind laut Michels schon dadurch gelöst, dass den Ärzten verbindlichen Vorgaben für die Praxissoftware gemacht wurden. Als Beispiel nannte der Verbandschef die Angabe der PZN des verordneten Arzneimittels auf dem Rezept und die regelmäßige Aktualisierungspflicht der Daten. „Allein diese Vorgaben führen dazu, dass künftig zumindest jede maschinell erstellte Verordnung eindeutig ist.“ Den Ärzten drohen sogar Sanktionen, wenn sie ihre Software nicht aktualisieren.

Verbindlich gelöst werden soll endlich auch der Nachweis der Nichtverfügbarkeit. Künftig reichen laut Michels zwei Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel aus. Der Großhandelsverband Phagro habe zugesagt, diese zu speichern und den Apotheken zum Nachweis zur Verfügung zu stellen. Die meisten Warenwirtschaftssysteme können diesen Nachweis laut Michels heute schon führen. Bislang fordern die Kassen jedoch eine Erklärung vom Hersteller, die im Alltag nur schwer zu beschaffen ist.

Bei der Importquote soll laut Michels der Begriff des „wirtschaftlichen Imports“ enger definiert werden. Die Pflicht zum Austausch soll demnach nur noch bei Arzneimitteln ohne generischen Wettbewerb gelten. Außerdem soll eine Adhoc-Versorgung eingeführt werden: Sind Präparate nicht verfügbar oder macht der Apotheker pharmazeutische Bedenken geltend, werden entsprechende Rezepte nicht mehr auf die Quote angerechnet. Im Gegenzug gibt es eine deutliche Erhöhung der Abgabeverpflichtung; so müssen Apotheker künftig mit Importen im verbleibenden Bereich der Originalpräparate Einsparungen von 2 Prozent erzielen.

Ein weiterer Kompromiss, den die Apotheker machen müssen: Die Abgabe des namentlich verordneten Arzneimittels soll künftig nur noch dann möglich sein, wenn der Arzt das Aut-idem-Kreuz gesetzt hat. Im Gegenzug wurde der wirtschaftliche Auswahlbereich auf die preisgünstigsten vier Arzneimittel erweitert. Von dieser Regelung sind laut Michels allerdings nur ganz wenige Wirkstoffe überhaupt betroffen, da weit über 90 Prozent des Generikamarktes Rabattverträgen unterliegen. „Bei den restlichen Wirkstoffen gibt es dann oft nicht mehr als vier Anbieter, sodass das Verordnete faktisch doch abgegeben werden kann“, so Michels. Seiner Meinung nach halten sich die Zugeständnisse „im absolut vertretbaren Rahmen“.

Noch ein Erfolg für die Apotheker: Künftig soll es Erleichterungen für Rezeptkorrekturen und -ergänzungen geben. Rezepte sollen demnach künftig nur noch in wenigen Ausnahmefällen zurück in die Praxen gegeben werden müssen, vielmehr sollen die Pharmazeuten selbst Änderungen abzeichnen können. Und: Auf Landesebene sollen Vereinbarungen über die Einführung von Teilretaxationen ermöglicht werden.

In einer Redaktionskonferenz in der kommenden Woche soll eine endgültige Version erarbeitet werden, die dann den Gremien von DAV und dem GKV-Spitzenverband vorlegt werden können. Am 6. Dezember soll der DAV auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung den Entwurf absegnen, damit dieser nach Umsetzung in der EDV im kommenden Jahr unverzüglich in Kraft treten kann.

Die Kassen saßen am längeren Hebel, seit das Bundessozialgericht (BSG) Nullretaxationen im Jahr 2013 wegen Formfehlern für rechtens erklärt hat. Selbst wenn die Unterhändler auf der Gegenseite gewollt hätten: Die großen Kassen ließen die abschlussreife Neufassung des Rahmenvertrags platzen, machten einen Rückzieher und torpedierten in der Folge jede Einigung.

Erst Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) stellte den Parteien mit dem GKV-VSG ein Ultimatum: „In dem Rahmenvertrag ist erstmals bis zum 1. Januar 2016 zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt“, hieß es im Gesetz. Die ABDA hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass an diesen Passus noch ein Halbsatz angefügt wurde: „[...] kommt eine Regelung nicht innerhalb der Frist zustande, entscheidet die Schiedsstelle.“

Und vor der Schiedsstelle landete die Sache schließlich auch. Erst im Mai 2016 einigten sich DAV und Kassen unter der Leitung des Schiedsstellenvorsitzenden Dr. Rainer Hess auf einen Kompromiss. Der Retax-Deal kurde in umfassenden Änderungen des § 3 Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V konkretisiert, die im Juni 2016 in Kraft traten. Jetzt stehen die Apotheker vor dem Durchbruch beim Rahmenvertrag. Die letzten Details sollen jetzt noch geklärt werden, bevor die Apotheker am Nikolaustag dem neuen Vertrag zustimmen können.

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