Apotheker: Salbenrührer ohne Kompetenz? Silvia Meixner, 05.05.2018 08:43 Uhr
Jenny Hsieh-Ehrhardt, Apothekerin und Mutter, entwickelte zwei Cremes für Kinder und verkaufte sie in ihrer Apotheke „Am Waltersbühl“ in Wangen. Die „Pi-Pa-Po-Creme“ und die „Creme für Superkids“ wurden schnell erfolgreich. Trotzdem zog Hsieh-Ehrhardt die Notbremse – sie hatte Angst vor Strafen.
Der Grund: Die Apothekerin hat die Cremes nicht nach der EU-Kosmetikverordnung hergestellt und in der Folge keine Zertifizierung. Sie fiel aus allen Wolken: „Eine Mitarbeiterin fragte mich, ob ich wüsste, dass man dafür die EU-Kosmetikverordnung einhalten muss. Sie ist PTA und hat jahrelang in der Industrie gearbeitet. Mir war nicht bewusst, dass man Analysen und Zertifikate anfertigen muss, und ich glaube, dass die meisten meiner Kollegen das auch nicht wissen.“
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, sicherheitshalber nahm sie ihre Produkte aus dem Verkauf. Die gesetzlichen Bestimmungen verärgern sie: „Es kann nicht sein, dass auf jedem Weihnachtsmarkt irgendwelche selbst gerührten Bienenwachscremes verkauft werden, während es Apotheken untersagt ist.“
Sie sagt: „Mich regt es tierisch auf, dass der Gesetzgeber dem Apotheker die Kompetenz abspricht, eine auf Erfahrung und Know-how beruhende Kosmetik herzustellen und zu verkaufen, nur weil sie nicht der EU-Kosmetikverordnung entspricht. Mit eigener Kosmetik meine ich nicht die rezeptur- oder defekturmäßige Herstellung auf Rezept.“ Sie sagt: „Die Zulassung für eine Creme mit Analysen und Zertifikaten würden rund 8000 Euro kosten.“
Monatelang tüftelte Hsieh-Ehrhardt an der perfekten Kindercreme: „Ich habe zwei kleine Kinder und kenne das Problem, dass viele Mütter nicht wissen, was sie ihren Kleinen geben sollen. Viele Kinder reagieren allergisch auf Mandelöl, andere auf Paraffine oder Silikone. Viele Mütter wollen diese Inhaltsstoffe auch einfach nicht mehr.”
Ihre Lösung: „Ich habe eine Creme entwickelt, die praktisch nichts enthält.” Nichts außer drei Haupt-Inhaltsstoffen: Sonnenblumenöl, Nachtkerzenöl und Jojobaöl. Dazu Emulgator, in der Variante für den Windelbereich ist Zink enthalten. „Sonnenblumenöl hat einen hohen Vitamin E-Anteil, die Creme ist super verträglich, wir haben auch tolle Erfolge bei Kindern mit Neurodermitis verzeichnet.”
Ihre Produkte nennt sie fröhlich „Pi-Pa-Po-Creme”, und „Creme für Superkids”. Weil schließlich auch die großen Käufer ein eigenes Produkt von ihr wünschten, erfand sie kurzerhand Creme Nr.3, die „Supercreme für Erwachsene”, ein Pflegeprodukt für „superempfindliche Haut“. Auch ihre Handcreme „Fluffy hands to go“ fand schnell Fans.
Nach der Entwicklung ging die kleine Produktlinie sofort in den Verkauf, die Apothekerin freute sich über positive Reaktionen ihrer Kunden. „Ich bin damit aufgewachsen, dass man selbst Cremes herstellen kann. Mein Vater war auch Apotheker, er hat seine eigene Avocadoöl-Creme ohne Paraffine erfunden und auf den Markt gebracht. Es gab nie Probleme. Nun müsste ich durch ein unabhängiges Labor nachweisen lassen, dass einem Kind, falls es irrtümlich von der Creme isst, nichts passieren würde.”
Mittlerweile hat sie sich in den Gesetzestext eingelesen und herausgefunden: „Die in nationales Recht umgesetzte Kosmetik-Verordnung 1223/2009 vom 30. November 2009 stellt die Apotheke allen anderen Herstellern kosmetischer Mittel gleich, sodass es – auch für rezepturmäßig herzustellende Einzelanfertigungen – keine Ausnahme von den formalen Herstellerpflichten gibt wie im Rezepturbetrieb bei der Arzneimittelherstellung.
Zuständig ist das BVL, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.“ Außerdem schreibt das Gesetz vor: „Wer im Inland kosmetische Mittel herstellt, hat der für die Überwachung zuständigen Behörde vor dem Inverkehrbringen den Ort der Herstellung anzuzeigen.“
Ihre Cremes wurden von Hand in der Apotheke hergestellt. „Bisher hat jede Apotheke, in der ich gearbeitet habe, ähnliche Cremes hergestellt. Es kann doch nicht sein, dass die Apotheker es nicht wissen. Ich habe mit vielen Kollegen darüber gesprochen, sie wussten von dieser Verordnung nichts. Viele stellen sowieso keine Cremes mehr her, weil es sich nicht lohnt.“
Mit ihren Eigenprodukten wollte sie ihrer Apotheke zum einen ein kleines Alleinstellungsmerkmal verschaffen und zum anderen den Wünschen der Kunden nachkommen. Die Apothekerin sagt: „Natürlich ist Verbraucherschutz wichtig. Man soll selbstverständlich auf die Verpackung einer Creme schreiben, was darin enthalten ist.“
Der einzige Weg, an die Pi-Pa-Po-Creme zu kommen, ist derzeit ein Rezept vom Kinderarzt. „Darin müssen alle Inhaltsstoffe stehen, damit ich mich jederzeit darauf berufen kann“, sagt Hsieh-Ehrhardt.