Manchmal hilft nur die Flucht nach vorn: Apotheker Matthias Hoffmeister hat ein Schreiben der AOK Bayern auf Facebook veröffentlicht, weil er den Umgang der GKV mit seiner Apotheke nicht mehr hinnehmen will. „Ich habe keine Lust mehr darauf und will den Patienten zeigen, welche Spielchen die Kassen hier mit uns spielen“, so der Inhaber der Dreisessel-Apotheke in Neureichenau. Die AOK hatte ihn und vielen anderen Kollegen über die Verwendung der Sonderkennzeichen informiert und Retaxationen angedroht, falls die Sonder-PZN künftig ohne gute Begründung aufgedruckt wird.
Nicht lieferbar, nicht verfügbar, gerade nicht da, wir wissen nicht, wann es wieder reinkommt. Die sich zuspitzende Situation der Lieferengpässe macht den Apothekern bundesweit das Leben schwer. Und dann müssen noch alle Rabattverträge beachtet werden und der Patient irgendwie versorgt werden – was für alle Beteiligten das Wichtigste sein sollte. Wenn die Kassen dann überstreng mit der Umsetzung ihrer Verträge werden, kann auf Apothekerseite der Kragen schon mal zu eng werden.
So erging es Matthias Hoffmeister mit der AOK Bayern. Die schrieb ihm: „Im Abrechnungszeitraum 2018 wurden von Ihnen 250 Arzneimittel im Wert von 7311 Euro als nicht-lieferfähig abgegeben, ohne dass eine Meldung über die Nichtverfügbarkeit durch den Hersteller vorlag.“ Die Kasse behalte sich künftig auch die retrospektive Prüfung der Arzneimittelverordnungen vor und weise darauf hin, dass sie nach den aktuellen vertraglichen Regularien zur vollständigen Absetzung berechtigt sei, wenn die Nichtverfügbarkeit dann nicht nachgewiesen werden kann. Hoffmeister solle beachten, dass eine abweichende Belieferung aufgrund von Nichtverfügbarkeit des rabattbegünstigten Arzneimittels nur bei tatsächlichen Lieferausfällen und ausschließlich nach Anfrage durch die Apotheke beim Großhandel beziehungsweise Hersteller zu erfolgen habe.
Hoffmeister hat das komplette Schreiben bei Facebook veröffentlicht. Für ihn kommt der Vorwurf, er habe die Verfügbarkeit nicht geprüft, blankem Hohn gleich. „Unsere EDV ist mittlerweile in der Lage, die Lieferfähigkeit von 150.000 Artikeln in ein bis zwei Sekunden bei unseren Großhändlern abzufragen“, schreibt er in seinem Facebook-Post unter der Eröffnungsformel „liebe Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherungen“. Noch während des Beratungsgespräches mit dem Kunden könne er fehlende Arzneimittel bestellen, welche innerhalb weniger Stunden „aus Landshut oder München oder sonst einer deutschen Stadt geliefert werden“.
Seine Erklärung für die Vorgänge: Aufgrund der Engpässe der letzten Jahre komme es oft vor, dass Arzneimittel nicht einen ganzen Tag lang nicht lieferbar sind, sondern nur über bestimmte Zeiträume bei einem oder mehreren Großhändlern der Region nicht verfügbar sind. Im Moment der Abfrage werde ihm das dann so angezeigt – dass das Mittel eine Stunde später wieder verfügbar ist, nütze ihm dann auch nichts mehr, so Hoffmeister. „Ich habe bei der Abgabe im Schnitt drei Minuten. In der Zeit muss ich alles abgewickelt haben und dabei mache ich auch die Verfügbarkeitsabfrage“, erklärt er auf Anfrage. „Es kann natürlich auch sein, dass irgendein einzelner Großhandel in Deutschland das dann abgeben kann, aber das bringt mir ja nichts! Das kann ich dem Patienten doch nicht zumuten!“ Er bezweifle, dass die AOK die Verfügbarkeit zu allen Zeitpunkten bei allen Großhändlern abfragt.
Im Vorgehen der Kasse sieht er nur Schikane und den Versuch, auf Kosten der Apotheker noch mehr Geld herauszuschlagen. Die AOK meine offensichtlich, „dass wir Apotheker unfähig oder unwillig wären“, schreibt er dazu in seinem Post. „Vielmehr sind wir aber – genau wie Ihr Patienten – ohnmächtig und stinksauer!“ Er hat der AOK Bayern einen Brief geschrieben und fragt nach einer Begründung für die Beispielrechnung. „Denn ich sehe nicht, wo ich einen Fehler gemacht haben soll“, erzählt er. In dem Schreiben an ihn werde nicht einmal darauf eingegangen, um welche Arzneimittel es sich gehandelt haben soll – er weiß nur, dass es sich um das Jahr 2018 gehandelt hat.
Deshalb sieht er nun die AOK in der Bringschuld. Die Kasse teile ihm mit, „ dass Sie Rabattverträge geschlossen haben und dass nicht Sie selbst, sondern wir dazu verpflichtet sind, Ihre Verträge umzusetzen“, eröffnet er sein Schreiben. Er wisse das und setze die Rabattverträge „mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft und allen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln um. Schließlich ist uns auch klar, dass unser Gesundheitssystem nur durch das Geld, das wir Apotheker einsparen, tragfähig bleibt.“
Dass die Kasse bis zu drei Rabattvertragspartner verpflichten konnte, „mag richtig sein, heißt aber nicht, dass drei Vertragspartner zur Verfügung stehen, wie Sie schreiben“. Vielmehr stehe ihm zur Auswahl sehr oft gar kein oder nur ein Vertragspartner zur Verfügung. „Wir müssen die Patienten aber laut Gesetz schnellstmöglich versorgen und so gehen wir täglich das Risiko ein, zum Wohle unserer Patienten, nicht rabattierte Arzneimittel abzugeben.“ Deshalb fordert er die Kasse auf, zu beachten, dass die abweichende Belieferung aufgrund Nichtverfügbarkeit des rabattbegünstigten Arzneimittels nur bei tatsächlichen Lieferausfällen durch den Großhandel vollzogen wird.
Die Anfrage beim Großhandel erfolge in Bruchteilen von Sekunden und gebe die Lieferfähigkeit genau zum Abfragezeitpunkt wieder. „Ob irgendein Hersteller an diesem Tag seine Verfügbarkeitsmeldung gemacht hat oder ob der Großhandel eine Minute später die gelieferte Ware verbucht und damit wieder zur Verfügung stellt, hilft uns zum Zeitpunkt der Entscheidung wenig“, so Hoffmeister. „Wir könnten höchstens jeden Patienten bei der AOK nachfragen lassen, ob sein Medikament gerade in der Sekunde lieferfähig ist, in der er Anspruch auf eine Versorgung hat. Wir können uns auch gerne direkt beim Hersteller mit Arzneimitteln versorgen, wenn es am Großhandel liegen sollte. Dann müssten Sie von der AOK aber Ihre Rabattpartner verpflichten, zweimal täglich jede deutsche Apotheke zu beliefern. Entsprechende EDV-Schnittstellen setzen wir als Standard natürlich voraus.“
Und dann dreht er den Spieß um: Er behalte sich künftig vor, schreibt er, „für die Prüfung der Lieferfähigkeit von Ihnen Beweise einzufordern. Diese sollten belegen, dass ein Artikel bei den beiden uns beliefernden Großhandlungen zum Zeitpunkt der Abgabe tatsächlich verfügbar war.“ Ebenso behalte er sich vor, der Kasse den zusätzlichen finanziellen Aufwand, der durch die schlechte Lieferfähigkeit der Vertragspartner entsteht, in Rechnung zu stellen. Eine Antwort von der AOK hat Hoffmeister noch nicht. Er weist aber darauf hin, dass er nicht nur den Bayerischen Apothekerverband informiert hat, sondern das Schreiben auch seinen Kunden bekannt gemacht hat: „Der mündige Versicherte soll wissen, warum er künftig noch länger auf seine Arzneimittelversorgung warten darf. Zumal auch jeder Patient informiert sein soll, warum Rabattverträge zu so schlechter Lieferfähigkeit und ständig wechselnder Versorgung führen.“
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