Mathias Schmid hat die Nase voll von seiner Versicherung – nicht weil der Service schlecht wäre, sondern weil er sich auf den Arm genommen fühlt. Denn die Bayerische Beamtenkrankenkasse, die zur Versicherungskammer Bayern (VKB) gehört, versichere Apotheker und fördere gleichzeitig Versender: für Schmid ein Unding. Er will ein Zeichen setzen und hat alle seine Verträge beim Privatversicherer gekündigt.
Der Casus Belli ereignete sich vergangene Woche in der Offizin eines befreundeten Apothekers. Ein Patient kam in Franz Stuckenbergers Vitalis-Apotheke im bayerischen Taufkirchen und zeigte ihm entrüstet ein Schreiben: Sein Arzt hatte ihm ein teures Arzneimittel verschrieben; die Kasse bestätigt, dass sie die Behandlungskosten tarifgemäß übernimmt. So weit, so normal. Was danach kam, empörte allerdings sowohl Patient als auch Apotheker. „Aufgrund des hohen Preises bieten wir Ihnen an, das Medikament über unseren Partner – die Versandapotheke MyCare – zu beziehen“, schreibt die Versicherung.
„Ihr Vorteil dabei ist, dass Sie die Kosten nicht selbst in der Apotheke auslegen müssen“, heißt es in dem Schreiben. „Sie erhalten die Medikamente nach der Bestellung per Versand.“ MyCare schicke die Rechnung direkt an die Versicherung und die überweise wiederum direkt an den Versender. „Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Möchten Sie dieses Angebot nutzen?“ Anbei befand sich bereits das Bestellformular mit MyCare-Logo für die Direktabrechnung inklusive eines Freiumschlags. Die Botschaft: Wir richten es für Sie ein, bequem und kostenlos beim Versender zu bestellen – oder Sie machen es teuer und umständlich in der Apotheke vor Ort.
„Im ersten Moment dachte ich, das ist ein Aprilscherz – aber der erste April war gerade erst vorbei“, erinnert sich Stuckenberger. Eine besondere Ironie hat für ihn das Argument der Versicherung, dass der Patient das Geld nicht vorstrecken muss, wenn er bei MyCare bestellt – denn das muss er bei Stuckenberger auch nicht. „Ich kenne den Patienten und er kriegt das Medikament bereits seit ein paar Monaten“, so Stuckenberger. Da es sich um einen teuren monoklonalen Antikörper handelt, ermöglichte er ihm den Kauf auf Rechnung. „Das kostet 1150 Euro. Wenn man das vorstrecken muss, ist das nicht lustig“, sagt der Apotheker. „Deshalb hatte ich ihm eine Rechnung geschrieben und sobald er das Geld von der Versicherung erhalten hatte, hat er es mir überwiesen. Das haben wir zwei, drei mal so gemacht.“ Für Stuckenberger ist dieser Service Ehrensache. „Das mache ich oft für meine Kunden, ich spiele quasi die Bank für sie.“
„Das Argument mit der Abrechnung ist totaler Quatsch“, sagt auch Mathias Schmid. „Das kann doch im Prinzip jede Apotheke machen.“ Schmid ist mit Stuckenberger befreundet und Inhaber der Sebastian-Apotheke in Bad Aibling. Als sein Kollege aus Taufkirchen ihm das Schreiben zusandte, war auch er empört – insbesondere, weil er selbst einige Versicherungen bei der VKB hat, unter anderem seine betriebliche Gebäude- und Betriebseinrichtungs- sowie sowie seine private Gebäude- und Haftpflichtversicherung. „Da geht es um mehrere Tausend Euro im Monat“, sagt er.
Doch damit ist jetzt Schluss. Schmid kann nicht akzeptieren, dass die VKB einerseits Geld von den Präsenzapothekern für deren Betriebsversicherungen nimmt und im gleichen Atemzug deren Geschäftsgrundlage untergrabe. „Es gibt bei der VKB Policen, die speziell auf Vor-Ort-Apotheken zugeschnitten sind – das beißt sich doch mit dem, was die da machen“, sagt er. „Wenn die dann eine einseitige Partnerschaft mit einer Versandapotheke schließen, ist das ein Schlag ins Gesicht für mich. Für mich heißt diese Kooperation mit MyCare, die wollen mit dieser Apotheke zusammenarbeiten – und nicht mit meiner.“
Rechtlich ist das Vorgehen der VKB nicht zu beanstanden. Tatsächlich gibt es die Kooperation mit MyCare schon seit 2006, auch die Bundesanstalt für Finanzdiensleistungen (BaFin) hat sie laut Angaben der Versicherung bereits vor Jahren geprüft und als unbedenklich bewertet. Theoretisch könnten private Versicherer sogar die freie Apothekenwahl einschränken, da diese im Sozialgesetzbuch V festgeschrieben ist – das lediglich für gesetzliche Krankenkassen gilt. Früher waren Versicherungskammer Bayern und die Bayerische Versorgungskammer, die für die Altersversorgung der Apotheker zuständig ist, sogar gemeinsam unter dem Dach der Bayerischen Versicherungskammer. Erst 1995 wurde die Versorgungskammer ausgegliedert, ist aber eine Anstalt öffentlichen Rechts geblieben.
Doch Schmid geht es nicht um die rechtliche, sondern um die gesellschaftliche Komponente. „Die geben vor, die Freiberuflichen am Leben zu erhalten und schließen dann Partnerschaften mit denen, die sie zerstören“, kritisiert er. „Deshalb wollte ich ein Zeichen setzen und zeigen, dass auch ein kleiner Apotheker wie ich mit meinen zwei Apotheken etwas tun kann.“ Also wandte er sich an seinen Betreuer bei der VKB und kündigte sämtliche Verträge. „Er hat natürlich sofort darauf reagiert und gefragt, ob er irgendetwas tun kann, um mich bei der VKB zu halten.“ Er habe ihm dann den Sachverhalt erläutert, „aber als kleiner Fisch kann der da natürlich nichts machen“. So schnell geht es aber ohnehin nicht, denn bis die Kündigungen wirksam werden, dauert es noch. „Das sind teilweise Laufzeiten von drei Jahren“, erklärt Schmid. Damit hat er zumindest genug Zeit, sich einen neuen Versicherer zu suchen.
Ein Happy End hat die Geschichte zumindest für Stuckenberger und seinen Patienten. Der hält ihm nämlich die Treue, wie er versichert. Doch nicht nur das: Stuckenberger ist selbst tätig geworden und konnte sich – dank gebührenden Nachdrucks – auf eine einvernehmliche Lösung mit der Versicherung einigen. Der Patient hatte ihn nämlich gefragt, warum nicht auch er und die Versicherung den Zahlungsverkehr direkt abwickeln können. Also rief er an und fragte selbst nach. „Da wurde mir gesagt, dass das nicht ginge, weil ich nicht der Leistungsberechtigte bin“, erklärt er. Doch so leicht gibt der bayerische Apotheker nicht auf.
„Nach mehrmaligem Nachhaken – bei dem ich dann nicht mehr allzu nett war – konnte ich dann eine Lösung erreichen.“ Ausnahmsweise kann Stuckenberger nun das Arzneimittel des betroffenen Patienten direkt mit der Versicherung abrechnen und ist sich sicher, dass die dortigen Sachbearbeiter die Anweisungen haben, bei solchen Anfragen irgendwann nachzugeben. Sein Rat: „Damit das klappt, muss man halt einen gewissen Druck auf die Versicherung aufbauen.“
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