Schwerpunkt des Sars-CoV-2-Ausbruchs

Apotheker in Heinsberg: „Daran merkt man den Krisenmodus“

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Berlin -

Das nordrhein-westfälische Städtchen Heinsberg ist der deutsche Ground Zero der Sars-CoV2-Pandemie: Auf knapp 40.000 Einwohner kommen dort weit über 400 Infizierte. Auch die ersten drei Todesopfer kamen aus dem Kreis Heinsberg. Schulen und Kitas sind dort geschlossen, öffentliche Veranstaltungen allesamt abgesagt. Mittendrin steht die St. Gangolfs-Apotheke von Heinz Niessen, erste Anlaufstation für zahlreiche Bürger. Er kann bereits ein erstes Fazit des Ausbruchs ziehen und sorgt sich um die Kreise und Städte, die als nächstes betroffen sein werden.

Die allermeisten Menschen in Heinsberg stehen derzeit vor großen und kleinen Herausforderungen des Alltags: Seit drei Wochen bereits sind Schulen und Kindertagesstätten geschlossen, erst am Donnerstag wurde bekanntgegeben, dass das wohl noch bis nach Ostern so bleiben soll. „Das haben wir uns wirklich – das können Sie mir glauben – nicht leicht gemacht, weil wir natürlich alle auch sehr heftig diskutiert haben: Ist das vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf Familien, auf Betreuung, auf das Arbeitsleben der Einzelnen – Stichwort beispielsweise die alleinerziehende Mutter – ist das überhaupt vertretbar?“, erklärte Landrat Stephan Pusch am Donnerstag.

Doch nicht nur Schließungen und Absagen beeinträchtigen den Alltag, sondern auch vernünftiges Handeln: „Die Menschen achten auch verstärkt auf die Risikogruppen“, erklärt Niessen. „Es gehört jetzt hier zum guten Ton, dass man keine Besuche mehr in Alten- oder Pflegeheimen abstattet.“ Auch Sportveranstaltungen, Kirchenchöre und allerlei anderer sozialer Ereignisse seien vorerst gestrichen. „Daran merkt man den Krisenmodus.“

Das soll jedoch nicht heißen, Heinsberg versinke in Panik – ganz im Gegenteil. Obwohl hunderte Einwohner der Stadt in Quarantäne sind, sei die Stimmung sei „sehr besonnen“, erzählt Niessen. Schwer hätten es vor allem diejenigen Betriebe, die auf Kunden von außerhalb angewiesen sind. Insbesondere Hotels und Pensionen hätten mit teils dramatischen Einbußen zu leiden, aber auch Einzelhändler, Cafés und Restaurants in der Innenstadt durchleben gerade eine schwere Zeit. In seiner Apotheke merkt Niessen es nur bedingt: „Wir haben nicht weniger Kunden als zuvor, auch wenn man merkt, dass in der Stadt sehr viel weniger Menschen unterwegs sind.“ Die meisten würden wie anderswo auch nach Desinfektionsmitteln und Atemmasken fragen. „Die Menschen sind sehr besonnen, das muss ich ihnen hoch anrechnen.“

Unter dem mittlerweile überregional bekanntgewordenen Hashtag #hsbestrong (HS ist das Autokennzeichen von Heinsberg) sprechen sich die Einwohner eher gegenseitig Mut zu als sich verrückt zu machen. „Größere Sorgen mache ich mir eher um Orte, an denen weniger sozialer Zusammenhalt herrscht“, so Niessen. „In Aachen beispielsweise, wo es Schlägereien gab, als Aldi Desinfektionsmittel verkauft hat.“ Aber nicht nur der soziale Zusammenhalt in der Kleinstadt habe bisher schlimmeres verhindert, sondern vor allem gutes Krisenmanagement.

In seiner eigenen Apotheke war das gar nicht so nötig, bisher habe sich sein Arbeitsalltag von ein paar Vorsichtsmaßnahmen abgesehen nicht großartig verändert. Vor allem auf das Thema Desinfektion habe er ohnehin schon immer Wert gelegt. „Ich habe schon immer sechs Desinfektionsstationen in der Apotheke“, erklärt er. „Deshalb ist es nun mein Glück, dass ich deshalb gut bestückt bin.“ Wo Krisenmanagement allerdings sehr wohl nötig war: auf der Ebene der Lokalpolitik. Und die hat sich aus Niessens Sicht vorbildlich geschlagen. Insbesondere auf Landrat Stephan Pusch ist er gut zu sprechen: „Er hat die Krise wirklich hervorragend gemanagt. Er hat sofort die Schulen geschlossen, immer klare Ansagen gemacht, es gab da kein Hin und Her.“ Es gäbe nach wie vor tägliche Sitzungen des Krisenstabs, auch sonntags. Die Verwaltungen sind zwar für den Publikumsverkehr geschlossen, arbeiten aber trotzdem weiter.

Probleme sieht Niessen eher auf den Ebenen darüber. „Die anfängliche Vorgabe des Robert-Koch-Instituts, dass ein Arzt ebenfalls in Isolation muss, wenn er einen Patienten positiv getestet hat, hat uns hier Probleme bereitet“, sagt er. Das habe dazu geführt, dass ausgerechnet zu Beginn der Pandemie Arztpraxen geschlossen werden mussten. Auch hier habe sich aber Pusch positiv hervorgetan. „Er hat schnell reagiert und gesagt, dass das so nicht geht.“ Mittlerweile würden Verdachtsfälle in eigens dafür vorgesehene Zentren geschickt.

Gerade als Arztpraxen der ersten Coronafälle wegen geschlossen werden mussten, habe sich auch die Kassenärztliche Vereinigung nicht mit Ruhm bekleckert. Patienten hätten bei ihm in der Apotheke gestanden und Hilfe gebraucht: „Wir haben dann versucht, über die 116117 eine Alternative zu organisieren – und mussten eine Stunde lang warten“, erinnert er sich. „Am Ende wurden wir darauf verwiesen, dass der Patient doch bis 18 Uhr warten und dann in die Notfallpraxis gehen soll. Die KV könnte da wirklich etwas organisierter arbeiten!“

Ein Ärgernis – wenn auch de facto keine Behinderung – sei die späte Erlaubnis gewesen, Desinfektionsmittel selbst herzustellen. Die Allgemeinverfügung hatte die Bundesstelle für Chemikalien am 3. März veröffentlicht. „Es hätte sofort erlaubt werden müssen, Desinfektionsmittel selbst zu mischen. Ich habe drei Tage im luftleeren Raum gearbeitet.“

Dennoch, trotz solcher kleineren Probleme verläuft die Krise aus Niessens Sicht bisher glimpflich: „Auch wenn es hie und da mal hakt, zeigt sich gerade, dass unser System auch im Vergleich zu anderen Ländern schon sehr gut ausgestattet ist. Die bisher niedrigen Todeszahlen sprechen auch dafür.“ Den Blick müsse man jetzt weniger auf Heinsberg richten als auf den Rest der Republik. „Um andere Kreise mache ich mir mehr Sorgen als um Heinsberg“, sagt er. „Wir waren der erste Einschlag, aber wir haben die größte Welle jetzt hinter uns.“ Hoffnungen mache ihm dabei, dass noch nicht restlos geklärt ist, ob Sars-CoV-2 wie andere Viren schlecht auf hohe Temperaturen reagiert: „Lassen Sie erstmal einen Monat schönes Wetter sein, dann sehen wir weiter.“

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