Apothekerfehler vor Gericht APOTHEKE ADHOC, 14.07.2017 10:23 Uhr
Die meisten Fälle, in denen ein falsches Arzneimittel abgegeben wurde, fallen in den Apotheken glücklicherweise noch rechtzeitig auf, bei der Rezeptkontrolle etwa. Im besten Fall wird der Patient erreicht, bevor er die erste Tablette eingenommen hat. Doch hin und wieder kommt es vor, dass sich Pharmazeuten und PTA vor Gericht verantworten müssen.
Tödliche Methadon-Dosis: 2008 wurde ein Apotheker im schleswig-holsteinischen Pinneberg wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 9000 Euro verurteilt. Er hatte einer 26-jährigen Patienten versehentlich eine Überdosis des Substitutionsmittels Methadon verabreicht, woraufhin die Frau ins Koma fiel und zwei Tage später starb.
Der 55-jährige Apotheker hatte seinen Fehler vor Gericht eingeräumt und sich bei der Familie der Betroffenen entschuldigt. Er hatte nur einen flüchtigen Blick auf das Rezept geworfen: Lediglich 38 Milligramm der Ersatzdroge hätte die Patientin erhalten sollen. Versehentlich hatte der Apotheker etwa 550 Milligramm – die 15-fache Menge – eingewogen und der Patientin in Orangensaft angerührt zu trinken gegeben. Der Apotheker räumte auf Nachfrage ein, dass bei seinen bisherigen Methadon-Patienten eine Tageshöchstmenge von 50 Milligramm nie überschritten wurde.
Fataler Irrtum nach Ladenschluss: Im westfälischen Petershagen unterlief einem Apotheker im Samstagsdienst ein fataler Irrtum. Er musste Renvela (Sevelamer) bestellten und zur Dialysepatientin nach Hause liefern. Als der Großhandel nach Ladenschluss lieferte, griff er in die oberste Kiste und gab statt des überlebenswichtigen Phosphatbinders versehentlich Veramex (Verapamil) ab. Die 78-jährige Patientin verstarb, der Apotheker wurde vom Schöffengericht Minden zunächst zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. Im Dezember 2016 kassierte das Landgericht Bielefeld die erstinstanzliche Entscheidung und setzte stattdessen eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 60 Euro fest.
Verätzungen durch KMnO4: 2011 sprach das Landgericht Bochum den Eltern eines Babys ein Schmerzensgeld von 7500 Euro zu, weil eine Mitarbeiterin einer Apotheke in Datteln sie nicht ausreichend über die korrekte Anwendung von Kaliumpermanganat aufgeklärt hatte. Die Eltern hatten das Pulver direkt auf den Windelausschlag aufgetragen, es kam zu schweren Verätzungen, die stationär behandelt werden mussten.
Die Angestellte bestritt, die Eltern nicht ausreichend beraten zu haben. Sie habe die notwendige Verdünnung in allen Schritten erklärt. Allerdings räumte sie vor Gericht ein, nicht explizit darauf hingewiesen zu haben, dass die kristalline Substanz nicht in Pulverform eingesetzt werden dürfe. Das habe sie für selbstverständlich gehalten.
Damit war aus Sicht des Gerichts die Beratung unzureichend. Vor allem aber fehlten die in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) vorgeschriebenen Hinweise auf dem Gefäß. Diese sei essentiell, da immer die Gefahr bestehe, dass Kunden sich nicht an die Inhalte des Beratungsgesprächs erinnerten. Die Eltern hatten die Behandlung erst sechs Wochen später begonnen. Sie hatten ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro gefordert.
Gramm statt Milligramm: Zwei Klinikapothekerinnen aus Nordrhein-Westfalen mussten 2014 jeweils 6000 Euro Strafe zahlen – weil sie falsche Dosierungsangaben für eine Rezeptur nicht bemerkt hatten. Eine Augenärztin hatte Ende Januar 2012 ein handschriftliches Rezept für Augentropfen mit dem Konservierungsmittel Benzalkoniumchlorid ausgestellt und die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben. Ein weiterer Arzt der Wuppertaler St. Anna-Klinik hatte die Augentropfen per E-Mail in der Zentralapotheke des Franziskus Hospitals Köln bestellt – und dabei die Wirkstoffmenge in Gramm angegeben.
Der Apothekerin, die den Auftrag gab, die fehlenden Substanzen zu bestellen und das Herstellungsprotokoll anzufertigen, war der Fehler nicht aufgefallen. Auch ihre Kollegin, die die Augentropfen am nächsten Tag prüfte und freigab, übersah die falsche Wirkstoffmenge. Bei drei Säuglingen kam es in Folge zu massiven Sehbehinderungen, zwei sind auf jeweils einem Auge erblindet.
Aus Sicht der Richter haben die drei Verurteilten ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Die Apothekerinnen hätten die Plausibilitätskontrolle nicht durchgeführt, obwohl angesichts der „zu erwartenden pharmazeutischen Kenntnisse“ die schädigende Wirkung der Augentropfen vorhersehbar gewesen sei. Der Oberarzt, der statt Milligramm Gramm angab, musste 7200 Euro zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn verdächtigt, im Nachhinein den Buchstaben „m“ bei der Mengenangabe nachträglich entfernt und das gefälschte Fax als Original abgelegt zu haben.
Apotheker büßt für Arztfehler: Auch der Irrtum eines Arztes kann einen Apotheker teuer zu stehen kommen: Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hatte 2013 einen Pharmazeuten zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt, dessen Mitarbeiterin ein schwerwiegender Fehler auf der Verordnung nicht aufgefallen war.
Der Arzt hatte einem Kind Lanitop (Metildigoxin) aus Versehen als Tabletten statt als Tropfen verordnet. In der Apotheke wurde der Mutter das Präparat ausgehändigt, obwohl es nicht nur deutlich höher dosiert, sondern auch für Kinder nicht zugelassen und auch nicht in der verordneten Packungsgröße erhältlich war. Die Mitarbeiterin empfahl der Mutter, die Tabletten aufzulösen und dem Säugling einzuflößen.
„Der Arzt hat die falschen Tabletten verschrieben, der Apotheker hat sie pflichtwidrig abgegeben“, hieß es in dem Urteil. Die Richter betonten: „Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes darf es nicht geben.“
Strafe für PTA: Eine PTA aus Remscheid musste Anfang vergangenen Jahres 500 Euro Strafe zahlen, weil sie zwei Medikamente verwechselt hatte: Eine Patientin erhielt Clozapin statt Clopidogrel und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die PTA hatte das Arzneimittel falsch bestellt. Vor Gericht argumentierte sie, dass die Kontrollmechanismen innerhalb der Apotheke versagt hätten. Tatsächlich musste auch die verantwortliche Apothekerin eine Strafe zahlen.
Falsch verblistert: Glimpflich davon gekommen ist eine Apothekerin aus Bad Tölz, die angeblich ein falsches Arzneimittel verblistertet hatte. Sie hatte sich vor dem Amtsgericht Wolfratshausen gegen den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung wehren müssen, weil sie Clonazepam und Clozapin verwechselt haben soll.
Die Apothekerin hatte die Vorwürfe bestritten, Verwechslungen seien technisch gar nicht möglich. Dafür sorgten der Kontrollmechanismus des Blisterautomaten, ein fotografischer Abgleich und eine händische Kontrolle der fertigen Blister durch ihre Mitarbeiter.
Ein Gutachter hatte aus den Wirk- und Nebenwirkungsprofilen einen logischen Zusammenhang abgeleitet. Eine Heimmitarbeiterin sagte aus, sie habe erst später bemerkt, dass die Tabletten nicht gelb, sondern orange gewesen seien. Das Verfahren wurde gegen Zahlung von 1000 Euro eingestellt.
„Blöder Etikettenfehler“: Nicht vor Gericht landete im vergangenen Jahr ein Fall aus Heilbronn; stattdessen sorgte der Fehler in der Rezeptur für Schlagzeilen: Statt 1 mg/ml Propranolol befanden sich im hergestelltem Saft 5 mg/ml. Der Fehler hätte im Extremfall zum Tod des sechs Monate alten Kindes führen können, das wegen eines Blutschwämmchens am Arm behandelt wurde.
Weil in der Flasche 450 statt wie bislang 150 ml enthalten waren, hatte der Vater das Etikett geprüft und Rücksprache mit der behandelnden Ärztin gehalten.
Unzufrieden mit der Reaktion der Apotheke – „blöder Etikettenfehler“ – schrieb der Vater einen Beitrag auf echo24.de und gab noch einen Tipp: „Also lieber Apotheker! Nehmen Sie den finalen Rettungsblick in ihr Programm auf! Was bei Buchstabendrehern hilft, wirkt garantiert auch bei fehlerhaften Medikamenten. Hier geht es schließlich um Menschenleben.“
Den Namen der Apotheke nannte der Vater nicht, um deren Existenz nicht zu gefährden. Von einer Anzeige sah die Familie auch ab; ihr ging es darum, die Apotheken zu sensibilisieren. Bessere Selbstkontrollen sollten die Arzneimittelsicherheit verbessern und sicherstellen.
Achtung Rutschgefahr: Im Februar 2015 rutschte in einer bayerischen Apotheke eine Kundin aus, verletzte sich am rechten Arm und musste chirurgisch behandelt werden. Grund war der feuchte Boden durch Schnee, der wetterbedingt durch sie und andere Kundin in die Apotheke getragen wurde. Die Kundin verklagte den Apotheker wegen verletzter Versicherungspflicht und forderte Schadensersatz sowie Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 3600 Euro, sowie Begleichung der Anwaltskosten von etwa 500 Euro.
Der Apotheker sagte zu seiner Verteidigung, dass er seiner Verkehrssicherungsspflicht nachgekommen sei. Er begründete dies mit dem Vorhandensein zweier Türmatten, seiner Putzkraft und rutschhemmenden Steinplatten. Das Amtsgericht München entschied, dass der Apotheker seine Aufgaben erfüllt habe, und gab den Hinweis, dass sich Feuchtigkeit im Winter auch bei häufigem Wischen nicht vollständig vermeiden lasse. Der Apotheker musste kein Schadensersatz leisten oder ein Schmerzensgeld zahlen. Allgemein müssten bei der Verkehrsicherungspflicht „die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen werden, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern“, so die Richter.
Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht noch weitere Dinge beachtet werden. Als Einzelhändler ist der Apotheker dazu verpflichtet, für die Kindersicherheit in der Freiwahl zu sorgen. Beispielsweise können Aufsteller in der Offizin zu Verletzungen bei Kindern führen.