Wo getestet wurde, wird bald geimpft

Apotheker engagiert Ärzt:innen: Schittenhelm baut eigene Impfzentren

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Berlin -

Zum Monatsende schließen bundesweit die meisten Impfzentren, die weitere Immunisierung der Bevölkerung soll dann teils über die Hausärzte, teils über Impfteams erfolgen. Wie genau das aussehen wird – darüber herrscht vielerorts noch Rätselraten. In Baden-Württemberg steht schon fest, dass die Impfteams nur noch Rumpfaufgaben übernehmen werden. In einem Landkreis steht vor dem Ende der Impfzentren fest, dass es flächendeckend und niedrigschwellig weitergeht: Dahinter steht erneut Apotheker Dr. Björn Schittenhelm.

Die Impfzentren schließen, Ärzte und Impfteams sollen übernehmen und dabei von Apotheken beliefert werden. Doch was genau auf sie zukommt und in welchem Umfang, ist vielerorts noch völlig offen. In Hessen beispielsweise wird die Impfkampagne ab Oktober von der Ärzteschaft und dem öffentlichen Gesundheitsdienst getragen. „Dies gilt natürlich auch für die wichtigen Auffrischungsimpfungen“, erklärte das Gesundheitsministerium am Mittwoch. Ob einzelne Impfzentren dazu weiterbetrieben werden oder umziehen müssen, entscheide dabei jede Kommune selbstständig. Es wird ein Flickenteppich.

Ähnlich sieht es in Sachsen-Anhalt aus – wie genau, steht aber noch nicht fest. „Nach meinem Kenntnisstand wissen die Impfzentren selbst noch nicht genau, wann, wie und in welchem Umfang Impfaktionen künftig stattfinden werden“, sagt Boris Osmann, der mit seiner Stern-Apotheke für die Impfstofflogistik sämtlicher Impfzentren im Bundesland zuständig ist. „Kinderimpfungen, Auffrischungsimpfungen in Alten- und Pflegeheimen – das sind alles Fragestellungen, die erst jüngst in den Raum geworfen wurden.“ Dass die Belieferung der Impfteams gleich zu Monatsbeginn neues Chaos in die Apotheken bringen wird, befürchtet er nicht. Denn die Impfkampagne lief bekanntermaßen in den vergangenen Wochen sehr schleppend. Die Folge: Die meisten Impfzentren hätten relativ volle Lager.

„Bis Mitte August ging bei uns alles immer gleich raus, aber seit sich das Impfgeschehen verlangsamt hat, füllt sich auch unser Lager“, sagt Osmann. Er werde am Mittwoch und Donnerstag noch einmal die Impfzentren beliefern. „Dann gibt es da einen guten Vorrat und die Impfzentren können noch eine Weile autark arbeiten.“ Zusammen mit der Tatsache, dass noch gar nicht ausgemacht sei, wie viele Impfteams wo und wie zum Einsatz kommen, sei deshalb nicht davon auszugehen, dass in den kommenden Wochen allzu großer Druck entstehen dürfte. „Ich kann da natürlich nur für Sachsen-Anhalt sprechen, aber die Verteilungsschlüssel sind ja überall sehr ähnlich“, sagt Osmann. „Ich denke nicht, dass da in der ersten Oktoberwoche gleich wahnsinnig viel passiert. Das wird sich alles erst mal auf niedrigem Niveau abspielen.“

In Baden-Württemberg ist das nur im Detail anders. Die Planungen sind schon etwas weiter, dafür sieht es danach aus, dass die Impfteams künftig keine allzu große Rolle mehr spielen werden. Alle Impfzentren werden geschlossen, an ihre Stelle treten 50 mobile Impfteams an 50 Standorten. Hauptträger der Impfkampagne sollen die Hausärzte werden. Nur ein Landkreis geht – mal wieder – einen Sonderweg: Böblingen. Im dortigen Kreisimpfzentrum in der Sindelfinger Messehalle wird am Donnerstag die letzte Spritze gesetzt, danach sollten nach dem Willen der Landesregierung die Hausärzte weitermachen. Doch die sind alles andere als begeistert von der Idee. „Das Impfzentrum hat in den vergangenen Wochen allein 1500 Erstimpfungen durchgeführt. Die Hausärzte hier haben gar nicht die Kapazitäten, das zu stemmen“, erklärt Schittenhelm. „Und was mit den Impfteams geplant ist, ist lächerlich. Es wurde ganz klar kommuniziert, dass die nicht für Sonderimpfaktionen zur Verfügung stehen, sondern maximal als Back-up für vulnerbale Gruppen.“

Es müssen also andere, bessere Strukturen her. Und die gibt es im Landkreis glücklicherweise, wie sich schon längst herumgesprochen hat: Die ärztliche Leiterin des Impfzentrums, Dr. Martina Burchert-Graeve, wusste, an wen sie sich zu wenden hatte. Sie rief Schittenhelm an und bat um Unterstützung. „Sie sagte, sie hätte motivierte Ärzte und Mitarbeiter im Zentrum, denen sie nun kündigen musste, und fragte, ob wir nicht unsere fünf Schnelltestzentren umfunktionieren könnten“, erzählt der Apotheker. Eigentlich habe er nach dem Stress der vergangenen anderthalb Jahre nun ein klein wenig kürzertreten wollen, aber kneifen konnte er auch nicht. Also sagte er zu und setzte innerhalb einer Woche ein Konzept auf, wie sich das einrichten lässt.

Der physische Aufbau der Impfzentren sei glücklicherweise trivial. „Der Umbau ist überhaupt kein Problem, weil wir ja dieselben Räumlichkeiten nutzen können. Die Kabinen, in denen wir testen, eignen sich auch ideal für Impfungen.“ Genau genommen sei die Umwidmung sogar ein Vorteil, schließlich sei mit dem Wegfall der kostenlosen Bürgertests auch eine spürbare Verringerung der Testzahlen zu erwarten. „So gehen wir nicht von 100 auf 0 zurück, sondern können die Strukturen weiter nutzen“, sagt Schittenhelm. Auch die Terminvergabe ist kein Problem: Die frischgebackenen Impfzentrumsbetreiber nutzen einfach die digitale Infrastruktur der Testzentren. Die hat sich ohnehin etabliert und kam schon beim Holzgerlinger Impfmarathon erfolgreich zum Einsatz.

Das Wichtigste sind allerdings die Ärztinnen und Ärzte aus dem Impfzentrum. Keiner von ihnen ist niedergelassen, es handele sich fast ausschließlich um Mediziner, die relativ frisch in den Ruhestand gegangen sind, erklärt Schittenhelm: „Die sagen, sie haben nicht nur Lust und Zeit für die Arbeit, sondern finden es auch unmöglich, dass die Landesregierung ihr Potenzial ungenutzt lassen will.“ Allerdings waren sie im Impfzentrum bisher beim Land angestellt und wurden von ihm bezahlt. Also hat sich Schittenhelm einen eleganten Workaround ausgedacht: Die Ärzte haben sich bei der Privatärztlichen Verrechnungsstelle (PVS) registriert und sind damit nun als Privatärzte gemeldet. Pro Impfung erhalten sie 20 Euro Honorar.

Schittenhelm hat daraufhin einen Deal mit ihnen gemacht: Von den 20 Euro kriegt er die Hälfte ab, um weiteres Personal einzustellen, die Bürokratie abzubilden und die sonstigen Kosten zu decken. „Die Ärzte kommen einfach zu den Impfzeiten zu uns, machen Aufklärungsgespräche und Impfungen und erhalten dann am Monatsende von uns die Rechnung für die Dienstleistungen. Ich denke, damit lässt sich wirtschaftlich arbeiten.“ Denn hinzu kommen noch die sechs Euro für die Ausstellung des digitalen Impfzertifikats sowie die Vergütung für den Impfstoff. Er gehe davon aus, dass sich diese Vorgehensweise bewährt, und hoffe erneut darauf, dass die transparente Vorgehensweise Kollegen ermutigt, ähnlich Modelle aufzusetzen. „Vorerst ist nur geplant, mit den fünf Impfzentren in den bisherigen Testzentren anzufangen. Wenn sich das etabliert, können wir uns aber auch vorstellen, das weiter auszurollen.“

Auch damit es am Anfang nicht zu Überlastungen bei gleichzeitigen Testungen kommt, strecken Schittenhelm und seine Mitarbeiter das Angebot. Am Samstag ist der Startschuss: Von 13 bis 16 Uhr wird dann geimpft, Vorfahrt sollen erst einmal diejenigen haben, die zu den 1500 Erstgeimpften der vergangenen Wochen gehören. Doch er hoffe, mit dem niedrigschwelligen Angebot künftig auch vermehrt Menschen zu erreichen, die sich noch gar nicht gegen Covid-19 haben impfen lassen. Unter der Woche wechseln sich die Impfzentren dann ab: Von Montag bis Freitag wird jeweils zwischen 16.30 und 18 Uhr in einem der fünf Zentren geimpft. Am Wochenende sollen parallel vier Termine an vier Standorten angeboten werden. „Die Idee ist, dass wir an jedem Tag in der Woche die Möglichkeit bieten, sich hier im Landkreis impfen zu lassen.“

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