Apotheker deckt Doping auf Deniz Cicek-Görkem, 03.04.2017 14:24 Uhr
Die Anwendung leistungssteigernder Substanzen im Sport ist ein Dauerthema, viele Fälle werden nicht oder erst viel später publik. Ein junger Apotheker einer Krefelder Apotheke hat in seiner Doktorarbeit herausgefunden, dass sich 31 Athleten in der Vergangenheit mit Anabolika aufgeputscht haben.
Dr. Simon Krivec hat Pharmazie in Frankfurt studiert und ist Inhaber zweier Apotheken in Krefeld, der Mühlen- und der Brunnen-Apotheke. Im Rahmen seiner Dissertation an der Universität Hamburg hat er die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden bei Leichtathleten in den Jahren 1960 bis 1988 untersucht. Das Interesse an Problemstellungen des Sports kommt nicht von ungefähr: Sein Vater, ebenfalls Apotheker, ist ein ehemaliger Dreispringer und Olympiateilnehmer 1964 in Tokio für die Bundesrepublik.
Dopingskandale und der Missbrauch von Arzneimitteln zur Leistungssteigerung standen häufig in der Familie Krivec zur Diskussion. Krivec kontaktierte 121 ehemalige männliche Leichtathleten, davon haben sich etwa ein Drittel zum Sachverhalt geäußert. 31 Ex-Sportler haben zugegeben, sich im genannten Zeitraum mit Anabolika gedopt zu haben. Sechs davon werden sogar namentlich genannt, darunter die Kaderathleten Klaus-Peter Hennig, Alwin Wagner und Gerd Steines.
Nicht nur Ärzten war die Anwendung von Dopingmitteln unter den Leistungssportlern bekannt, sondern auch Apothekern, erläutert der Pharmazeut. Zwar gebe es Mediziner, die sich bewusst gegen eine Verschreibung der Anabolika entschieden hätten. Viele Mediziner hätten die entsprechenden Rezepte aber leichtfertig ausgestellt. Die Studie zeigt, dass auch Apotheker verantwortungslos gehandelt haben: „Manche Apotheker haben die Arzneimittel auch ohne Rezept abgegeben“, so Krivec. Zudem seien Fälle bekannt, in denen Rezepte gegen andere Produkte des Apothekensortiments eingetauscht worden seien.
Die verwendeten anabolen Steroide leiten sich strukturell vom männlichen Hormon Testosteron ab und führen unter anderem zu beschleunigten Wachstumsprozessen sowie zu einer Stimulation der Erythropoese. In Kombination mit körperlichem Training kann der Sportler zusätzliche Muskeln aufbauen und somit seine Leistungsfähigkeit steigern. Krivec fand heraus, dass Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Substanzen unter den Athleten nur teilweise bekannt waren und sowohl Ärzte als auch Apotheker ihrer Aufklärungspflicht nicht nachkamen. Manche Athleten hätten sich zwar anhand des Beipackzettels informiert, für einen Laien sei dieser jedoch nicht immer verständlich, so Krivec.
Manche Mediziner hätten die Anabolika in Patientengesprächen mit Verweis auf die vermeintlich geringe Dosierung auch verharmlost. „Tatsächlich wurden viele dieser Substanzen massiv überdosiert“, stellt Apotheker Krivec bei seinen Untersuchungen fest. Denn ihm zufolge überstiegen die eingesetzten Dosierungen die Empfehlungen der Roten Liste und der Gebrauchsinformation weit.
Der Konsum führte bei einigen Sportlern zu akuten Nebenwirkungen wie Akne, Bartwuchs und Alopezie, berichtet der Apotheker. Allerdings seien Folgeschäden für Herz- und Krebserkrankungen heute nicht eindeutig zu beurteilen, weil erstens ein langer Zeitraum zurückliege und zweitens die Anzahl der Probanden für die pharmakologische Fragestellung nicht ausreiche, um eine repräsentative Aussage zu treffen.
Die Doktorarbeit resultierte aber nicht nur in naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern machte auch die ethische Haltung der Athleten zugänglich, denn viele hätten laut Krivec bei der Einnahme der Anabolika ein geringes Unrechtsbewusstsein gehabt. Viele Sportler gingen davon aus, dass die Kameraden auch Anabolika konsumiert haben, um die eigenen Ziele zu erreichen.
Im untersuchten Zeitraum wurden hauptsächlich Anabolika wie Stromba (Stanozolol), Dianabol (Metandienon), Primobolan (Methenolon) und Deca Durabolin (Nandrolondecanoat) appliziert – entweder nahmen die Sportler Tabletten ein oder machten von einer Langzeitwirkung in Form einer Depotinjektion Gebrauch. Krivec stellt in seiner Studie fest, dass die Ursache des Arzneimittelmissbrauchs auch am hohen Leistungsdruck gelegen habe.
Diese Fälle seien auch aus dem Apothekenalltag bekannt: Neben den Anfragen von Freizeitsportlern nach anabolen Substanzen gebe es auch Kunden, die zum Beispiel Nasensprays und Schmerzmitteln missbrauchen – beides sei auch eine Art Doping im pharmazeutischen Sinne und erfordere daher konsequente pharmazeutische Beratung.