„Ohne uns geht im Moment gar nichts“

Apotheker als pharmazeutischer Leiter im Impfzentrum

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Berlin -

Nordrhein-Westfalen setzt in seinen Impfzentren auf Apotheker: Die Aufbereitung der Impfstoffe ist eine pharmazeutische Tätigkeit, deshalb führt kein Weg an ihnen vorbei. Doch damit, einfach die Nadel in die Flasche zu stecken und 0,3 Milliliter aufzuziehen, ist es natürlich längst nicht getan. Apotheker Ulf Ullenboom ist pharmazeutischer Leiter des Impfzentrums im Kreis Olpe und berichtet von den zahlreichen großen und kleinen Herausforderungen, die er im Impfzentrum zu bewältigen hat.

Wirklich auf seine neue Aufgabe vorbereiten konnte sich Ullenboom, Inhaber der Apotheke am Markt in Olpe, nicht. „Ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau Maria zum Kinde“, sagt er. „Am Anfang hieß es, die Ärzte würden das machen, dann gab es aber die Problematik mit der Aufbereitung des Biontech-Impfstoffs. Also hat das Land NRW entschieden, dass das eine klassisch pharmazeutische Aufgabe ist.“ Bei einer Videoschalte der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) mit den örtlichen Vertrauensapothekern sei er dann gefragt worden, ob er sich vorstellen könnte, die Aufgabe zu übernehmen. „Da habe ich gesagt, das mache ich.“

Er habe anfangs gedacht, dass er eher „seinen Namen gibt“, wie er es ausdrückt – also im Wesentlichen die Einhaltung der hohen Standards zu überwachen. „Dann hieß es, das pharmazeutische Personal muss auch rekonstituieren und schließlich wurde der Vertrag im Nachhinein geändert, dass wir auch die Spritzen aufziehen müssen.“ Also rechnete Ullmann durch, wie viel Personal dafür wie viel Zeit benötigt. Das schien recht einfach: Eine Schicht rekonstituiert und der fertige Impfstoff wird dann über den Tag verabreicht. „Und dann kam auf einmal die Information, dass die aufgezogenen Spritzen nur noch zwei Stunden nach dem Aufziehen haltbar sind.“ Dabei war doch laut Hersteller die Rede davon, dass der Impfstoff nach der Aufbereitung fünf Stunden verwendbar sei. „Biontech spricht aber von chemisch-physikalischer Stabilität, nicht von der mikrobiellen. Normalerweise wäre es sogar nur eine Stunde, aber das Land ist mit seinen Vorgaben den praktischen Bedürfnissen entgegengekommen und hat die Frist auf zwei Stunden verlängert.“

Doch auch die Zwei-Stunden-Frist bedeutet zusätzliche Komplexität. „Ab dem Anstich tickt die Uhr, mit einer Stunde würde das zu knapp werden. Aber auch so war die Schicht auf einmal von zwei bis drei Stunden auf sechs Stunden länger geworden. Also musste auch organisiert werden, dass die Fachkräfte vor Ort länger bleiben können, weil die Spritzen ja nicht so lange gelagert werden können“, erklärt er. „Das hört sich immer so leicht an, aber da steckt sehr viel Organisationsarbeit dahinter.“

Und das sei nur der Beginn seiner Arbeit gewesen. Mit der Rekonstitution habe er jetzt eigentlich gar nichts mehr zu tun. „Das habe ich nur am ersten Tag mitgemacht, aber ansonsten reichen meine Aufgaben von der Koordination organisatorischer Abläufe über die Nachbestellung von Einmalartikeln bis hin zur Erstellung von Herstellungsprotokollen, Verfahrenshinweisen und Beschriftungen.“ Allein die Planung der eingesetzten Kräfte binde schon eine Menge Energie: Er erhalte zwar eine grobe Vorplanung von der Kammer, muss dann aber noch takten, wer wann mit wem arbeitet. „Ich muss dann beispielsweise schauen, ob Leute kommen, die noch nicht eingewiesen wurden, und es dann so organisieren, dass pro Team immer mindestens einer dabei ist, der schon einmal da war. Neue Einsatzkräfte brauchen immer jemanden, dem sie über die Schulter schauen können.“ Rund 70 Apotheker*innen und PTA habe er zur Verfügung, deren Einsätze er planen und abstimmen muss. Pro Schicht seien zwei Personen eingeteilt, ab dem 1. März könnte noch eine dritte hinzukommen.

Ein bis zwei Stunden zusätzliche Arbeit bedeute das für ihn täglich – und da habe er noch Glück, dass das Impfzentrum Olpe ein vergleichsweise kleines sei. „Für die Kollegen in größeren Zentren ist das ein Vollzeitjob“, sagt er. Hinzu komme einmal pro Woche die Krisenstabsitzung, an der vom Technischen Hilfswerk bis zum Roten Kreuz alle teilnehmen, die am Betrieb des Zentrums beteiligt sind. „Da müssen dann zahlreiche organisatorische Fragen geklärt werden, vom Zugang für Menschen mit Rollator über die Gegebenheiten im Ruheraum bis hin zur Vergabe des Zweittermins.“

Die Terminvergabe sei eine Dauerbaustelle – nicht nur wegen der viel berichteten Schwierigkeiten, sondern auch, weil das System weiter an Komplexität zunimmt. „Durch die Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs ist das nochmal komplizierter geworden“, erklärt er. Denn der soll schließlich nur an Personen bis 64 Jahre verimpft werden, hauptsächlich also an medizinisches und pflegerisches Personal sowie an andere Funktionsträger beispielsweise in Polizei und Feuerwehr. „Die müssen ihre Termine aber außerhalb des Systems buchen, in dem die Risikogruppen ihre Termine erhalten.“ Hinzu kämen neue Ansprüche bei der Handhabung: „Wir haben gestern erfahren, dass die AstraZeneca-Spritzen nicht im Kühlschrank gelagert werden dürfen. Jetzt müssen wir auch organisieren, dass die Spritzen außerhalb gelagert werden, aber nicht durcheinandergeraten, denn die sehen ja auch alle gleich aus.“

Und die nächsten Herausforderungen bei der Terminvergabe und -koordinierung stehen bereits vor der Tür: „Wir haben bis jetzt nur nachmittags geimpft, ab dem 1. März kommen aber noch die Menschen hinzu, die ihre Zweitimpfung erhalten.“ Ebenfalls zum 1. März werde eine Erhöhung der verfügbaren Impfstoffmeneg um rund 50 Prozent erwartet – also ohnehin mehr Termine. Und wieder ein paar Wochen später werde dementsprechend die Zahl der Zweitimpfungstermine um dieselbe Größe noch zunehmen. „Und so steigert sich das dann Schritt für Schritt.“

Gleichzeitig gebe es das Problem, Termine anhand von verfügbaren Kapazitäten zu planen – in den letzten Wochen hat sich schließlich gezeigt, wie wenig Planungssicherheit bei den Impfstofflieferungen herrscht. „Das hat beispielsweise dazu geführt, dass Leute, die sich früh gemeldet haben, spät einen Termin bekommen und solche, die sich nach der Erhöhung der Kontingente gemeldet haben, dann einen früheren Termin erhalten, als die, die vor ihnen da waren.“ Und das sei nur die eine Seite der Planung. Schwierigkeiten bereite nämlich auch die Seite der Impflinge. „Es gibt Menschen, die lassen sich einen Termin geben, obwohl sie noch gar nicht alt genug sind. Und dann gibt es welche, die haben fünf Termine gemacht und suchen sich dann den besten aus“, sagt er. Das komme nicht immer durch egoistisches Handeln zustande, sondern oft auch durch das Gegenteil davon: „Von den Über-80-Jährigen haben die wenigsten ihre Termine selbst gemacht, sondern da sind es oft die Kinder oder Enkelkinder. Weil man gerade am Anfang oft nur schwer durchkam, haben es dann manchmal zwei oder drei von denen parallel versucht und deshalb oft auch parallel mehrere Termine vereinbart.“

Doch auch umgekehrt könne etwas schiefgehen: „Manchmal stehen hier Menschen mit der offiziellen Bestätigung in der Hand und stehen dann aber nicht auf der Liste. Die schicken wir ja nicht wieder nach Hause.“ Genauso solle es eigentlich denjenigen ergehen, die – aus welchem Grund auch immer – nicht zu ihrem Termin erscheinen können. „Da sagt die Politik, die können dann am nächsten Tag kommen und werden trotzdem geimpft. In manchen Ecken sind aber schon mal 30 Prozent nicht gekommen, das muss man dann erst mal einplanen. Das sind immer so Sprüche von Politikern, die sich nicht mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandergesetzt haben.“

Hinzu komme wie vielerorts das Problem übriger Impfdosen aufgrund nicht wahrgenommener Termine. „Wir sind ein kleines Impfzentrum und haben oft nur Einzeldosen übrig, das versuchen wir dann auf dem kurzen Dienstweg zu klären und fragen erst einmal, wer sich im Team vor Ort impfen lassen möchte. Dann stellt sich aber wieder direkt die Frage nach der Zweitimpfung. Das ist schwierig, aber wir haben es bisher immer gut hingekriegt.“ Auch er selbst habe auf diesem Weg bereits die beiden Impfungen erhalten. Mittlerweile habe der Kreis Olpe angefragt, Nachrückerlisten anzufertigen, um übriggebliebenen Impfstoff kurzfristig verabreichen zu können.

Er selbst habe nur nach der Erstimpfung mit etwas Müdigkeit zu kämpfen gehabt, nach der zweiten sei er beschwerdefrei geblieben. Das geht jedoch längst nicht allen so. Insbesondere beim AstraZeneca-Impfstoff zeige sich mittlerweile, dass Nebenwirkungen wohl häufiger und schwerer sind als angenommen. So sei erst kürzlich eine lokale Feuerwehr geimpft worden – und am Folgetag 30 Prozent der geimpften nicht arbeitsfähig gewesen. Auch so etwas müsse man nun bei der Terminvergabe verstärkt einplanen. „Wenn man Einrichtungen impft, geht man deshalb mittlerweile dazu über, nicht mehr am selben Tag alle Einsatzkräfte zu impfen.“

Einer der Gründe, warum vor allem bei den Terminen oft solche Probleme herrschen: In den Impfzentren läuft kaum etwas digital. Die Helfer vor Ort arbeiten mit ausgedruckten Listen, die sie dann abhaken müssen. Geht etwas schief, ist ein Termin falsch verbucht oder es gibt andere Probleme, muss alles händische weitergemeldet und korrigiert werden. In Echtzeit erfährt niemand, was auf der Liste der anderen los ist. „Das sind Strukturen, die man lange vorher hätte aufbauen müssen, aber das haben wir hierzulande nicht“, sagt Ullenboom. „Das sind oft ganz banale Dinge wie fehlendes WLAN. Man kann ja nicht immer überall ein Kabel hinziehen.“

All das erklärt er gänzlich ohne Frust, vielmehr betont er, dass es trotz aller Schwierigkeiten eine gute Zusammenarbeit gebe. „Das Gute ist, dass hier alle an einem Strang ziehen, um das zu schaffen. Das ist schon Wahnsinns-Räderwerk, das hier ausgebaut wird“, sagt er. „Das ist sehr viel Learning by Doing, es hat ja vorher noch nie jemand gemacht.“ Auch für die beteiligten Apotheker sei das eine große Herausforderung, „aber es stellt unseren Berufsstand endlich mal wieder richtig dar und verschafft ihm Anerkennung. Ohne uns geht im Moment gar nichts, würde hier nichts laufen – auch wenn das die anderen Berufsgruppen hier natürlich auch von sich sagen können.“

Die Zusammenarbeit in den Impfzentren werden wohl auch noch eine Weile erhalten bleiben – denn auch wenn die Bundesregierung weiterhin betont, bis Ende des Sommers allen Bürger*innen ein Impfangebot machen zu wollen, heiße das noch lange nicht, dass die Impfkampagne kurz vor dem Ende stehe. „Man muss genau auf die Wortwahl achten, das kann die Politik ja besonders gut. Zu Beginn hieß es, dass jeder ein Impfangebot im Sommer erhält, mittlerweile heißt es bis Herbst. Und selbst wenn jeder Normalsterbliche bis dahin ein Angebot haben sollte, wird sich das noch hinziehen. Wenn wir bis Ende des Jahres die Mehrheit der Bevölkerung geimpft haben, dann ist das schon eine große Leistung.“

Eigentlich sollte die Kampagne allerdings mit der Verfügbarkeit weiterer Impfstoffe auch dadurch beschleunigt werden, dass sie bald aus den Impfzentren heraus in die Breite – also in die Arztpraxen – getragen wird. Doch hier zeigt sich Ullenboom nur äußerst vorsichtig, denn vor allem die logistischen Probleme solle man nicht unterschätzen: „So lange nicht genug Impfstoff vorhanden ist, werden die Arztpraxen da nicht im Spiel sein, außerdem würden sich dann wieder ganz andere Fragen nach Verteilung und Priorisierung stellen. Der Biontech-Impfstoff zum Beispiel wird täglich an 53 Standorte in NRW verteilt, es gibt hier aber rund 20.000 Hausarztpraxen. Wer könnte da die Verteilung übernehmen? Prinzipiell wäre der pharmazeutische Großhandel in der Lage dazu, aber hat der die Kapazitäten für so viele Praxen?“ Immerhin seien bereits Praxen angeschrieben worden, ob sie sich prinzipiell an ambulanten Impfungen beteiligen würden. So könnten sie zumindest in einigen Wochen die Zweitimpfungen übernehmen, um die Impfzentren zu entlasten. Wie und wann der breitere Zugang der Impfungen organisiert wird, kann natürlich auch Ullenboom noch nicht sagen. Aber da werden sich schon Lösungen finden, bisher war es ja auch nicht anders: „Wie das läuft, das wird die Zeit zeigen.“

 

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