Ein Loch in ein Ohr zu stechen, ist der Gesundheit nicht förderlich. Mit dieser einfachen Begründung hatte das Landgericht Wuppertal einer Apotheke verboten, diesen Service in Zusammenarbeit mit der Firma Studex anzubieten. Das Unternehmen hat den Apothekenmarkt aber keineswegs abgeschrieben. Im Gegenteil: Studex stellt auf der Exopharm aus und hat sich eine neue Strategie überlegt, damit Apotheken doch Ohrlöcher stechen können.
Das Stechen von Ohrlöchern ist in Apotheken gar nicht so selten. Neben Studex – nach eigenen Angaben weltweit Marktführer im Ohrlochstechen – ist die Firma Inverness nach eigenen Angaben in 1000 Apotheken aktiv. Weil es immer weniger Juweliere gibt, sind Apotheken offenbar eine gefragte Anlaufstelle für den Service. Und gerade Mütter gehen den Herstellern zufolge mit ihren Töchtern lieber in die Apotheke als ins Piercingstudio.
Doch nur weil eine Dienstleistung in Apotheken üblich ist, ist sie noch nicht apothekenüblich. Das ist aber das entscheidende Kriterium nach der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Maßgeblich für jede Leistung der Apotheke außerhalb der originären Arzneimittelversorgung ist ein begründbarer Gesundheitsbezug. Den hat das Landgericht Wuppertal im Stechen von Ohrlöchern nicht erkennen können und den Service verboten. Weil die Apotheke nicht in Berufung ging, ist das Urteil rechtskräftig.
Studex hatte eigens ein Gutachten bei der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer in Auftrag gegeben, um den Gesundheitsbezug zu belegen. Jetzt hat der Hersteller sein Vertriebsmodell leicht umgestellt und fühlt sich damit auf der sicheren Seite. Die Idee: Die Apotheken bieten eine professionelle Beratung zum Thema Ohrlochstechen an. Dabei werden die gesundheitlichen Risiken erklärt, Allergien abgefragt und mögliche Wechselwirkungen zu Arzneimitteln abgeklärt. Im Rahmen dieser Beratung findet dann – quasi nebenbei – das Stechen der Ohrlöcher statt.
Studex hat sogar ein „Beratungsprotokoll Ohrlochstechen“ entwickelt, das die Apotheker mit dem Kunden ausfüllen sollen. Das Beratungsgespräch umfasst 18 Unterpunkte, von der Allergieanamnese bis zur Checkliste. Am Ende unterschreibt der Kunde, „dass ich über das Ohrlochstechen vollumfänglich beraten und mir der ‘Ratgeber Ohrlochstechen’ übergeben wurde, dass ich keine Fragen mehr habe und alle Inhalte und Informationen verstanden habe“.
Dass es die Firma aus dem bayerischen Eckental ernst meint mit den Apotheken, zeigt auch der „Ratgeber Ohrlochstechen“, einer 14-seitigen Broschüre mit dem Hinweis „Die Beratung in Ihrer Apotheke ist kompetent und seriös“. Das Motto lautet: „Schönheit und Gesundheit sollten Hand in Hand gehen, auch beim Ohrlochstechen.“
Im Ratgeber wird auch vor Wechselwirkungen gewarnt, falls sich das Ohrloch doch entzündet und antibiotisch behandelt werden muss. Um Kreuzunverträglichkeiten zu vermeiden, soll das Stechen der Ohrlöcher selbst zudem nicht während einer laufenden Antibiotikatherapie vorgenommen werden.
Auf mögliche rechtliche Fallstricke oder den Prozess zum Thema Ohrlochstechen geht Studex nicht ein. Neben dem Verfahren in Wuppertal gab es zumindest in Bayern einen Fall, in dem die Aufsicht gegen einen „Ohrloch-Apotheker“ vorgegangen war.
Das Urteil aus Wuppertal gilt formal nur zwischen der Solinger Apotheke und der Wettbewerbszentrale. Mehr Gewicht hätte die Entscheidung allenfalls entfalten können, wenn sie letztinstanzlich vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt worden wäre. Aber darauf hatte die verklagte Apotheke keine Lust – so viel Kundenbindung bringt das Ohrlochstechen dann doch nicht ein, dass es horrende Verfahrenskosten rechtfertigen würde.
Im Fall der Solinger Apotheke hatte die Apothekerkammer Nordrhein die Wettbewerbszentrale beauftragt, gegen das Angebot vorzugehen. Ob ein unterschriebenes Beratungsprotokoll aus deren Sicht ein entscheidender Unterschied ist, bleibt abzuwarten.
Fest steht, dass rechtliche Schritte unmittelbar nur gegen Apotheken möglich sind: Studex kann als Firma nicht gegen die ApBetrO verstoßen und das Angebot an sich ist nicht unzulässig. Das hat der BGH in einem Verfahren zu Wartezimmer-TV eindeutig festgestellt. Apotheker sollte sich also lieber absichern, bevor sie ihren Kunden Löcher in die Ohren stechen.
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