Mit 77 Jahren verabschiedet sich Inhaber Günter Nagel aus seiner Apotheke. Am 25. Oktober öffnete er die Amts-Apotheke im hessischen Aarbergen ein letztes Mal, denn einen Nachfolger konnte er nicht finden. Die Offizin wurde fast 190 Jahre alt.
Inhaber Günter Nagel führte die Amts-Apotheke seit 1968. Vier Jahre lang hatte er versucht, einen Nachfolger zu finden. „Ich habe mich wohlgefühlt“ – daher habe er erst mit 73 an den Ruhestand gedacht. Interessenten für die Amts-Apotheke gab es mehrere. Doch letztlich sind alle abgesprungen: „Wenn der Apothekerin die Apotheke gefiel, wollte beispielsweise ihr Mann nicht aufs Land ziehen“, sagt Nagel. Dabei sei der Standort gar nicht so abgeschieden. Die Fahrt nach Wiesbaden dauere etwa 20 Minuten.
Für eine Filialapotheke in einem Verbund wiederum sei sein Betrieb zu klein gewesen, sagt Nagel. Ein Filialleiter hätte zu viel gekostet. Hinzu kam die unsichere Ärzte-Situation. Noch gibt es im Einzugsbereich der Apotheke laut Nagel drei Ärzte. Doch wie sich die Lage entwickle, könne er nicht abschätzen.
Im kommenden Jahr wäre die Amts-Apotheke 190 Jahre alt geworden. Zum 150. Apothekenjubiläum im Jahr 1977 hat sich Nagel mit der Geschichte der Apotheke beschäftigt. Zwei Bände aus dem Staatsarchiv hatte er dafür gewälzt. Nach einigem Hin und Her – die Apotheken der umliegenden Ortschaften wollten die Konkurrenz verhindern – wurde 1826 eine Konzession für eine Apotheke in Michelbach erteilt. Im Folgejahr eröffnete Nicolaus Kayhser die Offizin.
Nagel hat die letzten Tage der Apotheke genutzt, um sich von Stammkunden zu verabschieden. Eine weitere Apotheke im Ortsteil Kettenbach wird den Kunden bleiben. Die sieben Apothekenmitarbeiter – eine Apothekerin, drei PTA, eine PKA, Botenfahrer und Putzfrau – haben bereits neue Stellen gefunden. Nach dem 25. Oktober bleibt dem Apotheker noch Aufräumarbeit. Eilig sei das aber nicht, denn das Gebäude gehört Nagel. Allerdings will der Inhaber es verkaufen. Denn so könne er es nicht halten.
Ob er die Apotheke vermissen werde? „Ich bin da zwiegespalten“, gibt Nagel zu. Zum einen werde er Kunden und Mitarbeiter vermissen. Zum anderen sei nun der Druck weg: Die Frage, was der Pharmazierat bei der nächsten Revision noch verlangen könnte, stellt sich nicht mehr. „Die Bürokratie erdrückt die Apotheke“, sagt Nagel.
Er kritisiert, dass jede Apotheke ein teures Labor einrichten und Rezepturen für eine extrem geringe Vergütung herstellen müsse. Nun solle der Medikationsplan aktualisiert werden – ohne zusätzliche Vergütung. „Ich habe 60 bis 80 Stunden pro Woche in der Apotheke gearbeitet; ich kann verstehen, dass die jungen Leute das nicht wollen“, sagt Nagel. Er geht davon aus, dass noch weitere Apotheken in Deutschland schließen müssen. 4000 bis 5000 werden das sein, schätzt er aufgrund der Umsatzverteilung.
In seiner Freizeit malt Nagel Aquarelle und brennt Schnäpse und Liköre. Nach der Schließung der Apotheke wird er die Hobbys allerdings nicht stärker vorantreiben: „Dafür bin ich zu alt. Ein bisschen werde ich mich aber schon darum kümmern.“
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