Massenklage gegen Kassenabschlag Alexander Müller, 13.12.2013 11:42 Uhr
Obwohl der Kassenabschlag bis einschließlich 2015 geregelt ist, stehen neue juristische Auseinandersetzungen an. Es geht um die Abwicklung des Abschlags für das Jahr 2009. Weil einige Kassen nach einem Gerichtsentscheid zum Schiedsspruch offenbar zu spät reagierten, will der Steuerberater und Rechtsanwalt Dr. Bernhard Bellinger jetzt für Apotheker auf Rückzahlung klagen. Nicht weniger als 560 Klagen gegen Krankenkassen wird Bellinger ab heute für seine Mandaten einreichen. Für diese 105 klagenden Apotheken geht es insgesamt um rund drei Millionen Euro.
Die Vorgeschichte: Ende 2009 senkte die Schiedsstelle den Kassenabschlag auf 1,75 Euro. Die Kassen akzeptierten dies nicht, zogen vor Gericht und veranschlagten zunächst weiter den alten Wert von 2,30 Euro. Im Mai 2010 ordnete das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) die sofortige Vollziehung des Schiedsspruchs an.
Laut Sozialgesetzbuch müssen die Kassen ihre Rechnungen binnen zehn Tagen bezahlen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwischenzeitlich bestätigt, dass sie sonst keinen Anspruch auf den Kassenabschlag haben. Deshalb müssen die Kassen aus Bellingers Sicht den kompletten Abschlag von 1,75 Euro zurückzahlen – und nicht nur die Differenz von 55 Cent. Fraglich ist, ob sich das BSG-Urteil auf den Sonderfall der Rückabwicklung übertragen lässt.
Die Krankenkassen hätten damals die Zahlungen gezielt verschleppt, um Zinsgewinne zu erzielen, vermutet Bellinger. Pro Packung hätten die Kassen 55 Cent zurückgehalten und damit bezogen auf die Gesamtsumme von 300 Millionen Euro jeden Tag Zinsersparnisse in Höhe von 50.000 Euro erzielt. „Mit diesen Beträgen haben damals die großen Krankenkassen zu Lasten der Apotheker gezockt“, so Bellinger. Aus seiner Sicht dürfte es den Kassen bei den akut prall gefüllten Konten daher nicht schwer fallen, die jetzt von seinen Mandanten geforderten Beträge wieder herauszurücken.
Ohnehin wäre eine Rückabwicklung aus Sicht des Steuerberaters gerecht. Die Apotheker müssten ein Urteil nach dem anderen zu Null-Retaxationen hinnehmen. „Dann muss man umgekehrt von den Krankenkassen erwarten dürfen, dass sie ihre Zahlungspflichten genauso gewissenhaft erfüllen“, so Bellinger.
Die Schwierigkeit besteht darin, die Ansprüche im Einzelfall zu konkretisieren: Die Kassen hatten zur Rückabwicklung von den Rechenzentren erneut alle Einzeldaten gefordert. Notwendig war dies aus Bellingers Sicht zwar nicht – schließlich hätten die Kassen aus der ersten Abrechnung schon über alle Daten verfügt. Trotzdem geht er bei der 10-Tages-Frist von dem späteren Zeitpunkt aus. Der Stichtag kann also je nach Rechenzentrum und Krankenkasse variieren.
Da der Aufwand enorm ist, hat Bellinger eine Linie gezogen: Verklagt werden säumige Kassen, bei denen es für die Apotheke um wenigstens 1000 Euro geht. Jeweils etwa sechs Kassen seien davon betroffen – zum Teil auch regional starke Betriebskrankenkassen wie etwa die Novitas BKK.
Bellinger ist der Kopf der Steuerberatergemeinschaft Apo-Audit. Die angeschlossenen Kanzleien Gaida und Ecovis aus Berlin, ab ovo aus Dresden und Ulrich & Grimm aus Schönebeck hätten ebenfalls die Ansprüche ihrer Mandanten ermittelt. Bellinger wird für sie die Klagen übernehmen. Mit der Kanzlei Vesting Gerhardy aus Göttingen habe man sich ebenfalls logistisch ausgetauscht, diese werde die Klageschriften aber selbst einreichen. Den Kassen drohen demnach massenhafte Klagen von Apothekern.
Bellinger macht sicherheitshalber darauf aufmerksam, dass seine Kanzlei keine Klagen für andere Apotheker einreichen wird: „Wir machen das exklusiv nur für unsere Mandanten.“ Die Musterklageschrift will er in den nächsten Tagen aber auf seiner Facebook-Seite veröffentlichen. Ob das Großprojekt erfolgreich sei, werde man erst nach einer letztinstanzlichen Entscheidung des Bundessozialgerichtes wissen – also frühestens in drei Jahren.
In einem ähnlichen Verfahren hatte ein Apotheker bislang keinen Erfolg: Im September 2012 entschied das Sozialgericht Berlin, dass die Kassen trotz verspäteter Zahlung nicht den gesamten Kassenabschlag für 2009 zurückzahlen müssen. Die Rückabwicklung der Abschläge sei eine Ausnahmesituation gewesen, so die Richter. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Rechtsanwalt des Apothekers, Dr. Johannes Kevekordes aus Hannover, glaubt an einen Erfolg im Berufungsverfahren. Schließlich hätten die Kassen seinerzeit schon keinen Anspruch auf weitere Daten gehabt.