Das Durchstechen von Ohrlöchern hat keine positiven Auswirkungen auf die Gesundheit. Weil das kaum zu bestreiten ist, dürfen Apotheker aus Sicht des Landgerichts Wuppertal diese Dienstleitung auch nicht anbieten. Aus den nunmehr vorliegenden Urteilsgründen der Entscheidung vom 13. Februar geht hervor, warum die Richter eine Beschränkung von Sortiment und Services für richtig halten.
Beklagt waren die beiden Apothekerinnen Karoline Horstkotte und Almut Kipfmüller, die in Solingen gemeinsam die Löwen-Apotheke betreiben. Sie hatten ihren Kunden angeboten, Ohrlöcher zu stechen und Stecker einzusetzen. Die Ohrlochstecker wurden nicht separat verkauft, sondern nur in Kombination mit dem Ohrlochstechen.
Die Wettbewerbszentrale war im Auftrag der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) gegen das Angebot vorgegangen. Es handele sich dabei nicht um eine apothekentypische Dienstleistung. So der Vorwurf. Der Service sei damit ein Verstoß gegen die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO).
Das Landgericht gab der Klage statt: Das Stechen von Ohrlöchern und das Einsetzen eines in der Apotheke erworbenen Ohrsteckers seien nicht apothekenüblich und dürften deshalb von Apotheken nicht angeboten werden, heißt es im Urteil. Der unmittelbare Gesundheitsbezug fehlt aus Sicht der Richter eindeutig.
Dass es der Gesundheit förderlich sein könnte, ein Ohrloch zu stechen, sei abwegig und werde von den Apothekerinnen auch nicht behauptet, heißt es im Urteil. Sollte dies in der Apotheke aufgrund des eingesetzten Gerätes oder besonders sorgfältiger Arbeitsweise seltener zu Entzündungen führen, sei es möglicherweise „weniger gesundheitsgefährdend als das Tun anderer Ohrlochstecher“. Gesundheitlich profitieren würden die Kunden aber weder bei sehr schonend durchstochenen Ohren noch von besonders geeigneten Steckern.
Das Angebot müsse in seiner Gesamtheit – also Stechen und Einsetzen der Stecker – gesehen werden. Es werde „mit dem Einverständnis der Betroffenen in deren körperliche Unversehrtheit eingegriffen, ohne dass sich dies auf ihre Gesundheit positiv auswirkt“, heißt es im Urteil.
In der ApBetrO seien Leistungen aufgeführt, die Apotheken anbieten dürften. Darunter fielen etwa die Beratung in Ernährungsfragen, einfache Gesundheitstests oder das Anpassen von Medizinprodukten. „Das Stechen von Ohrlöchern ist etwas völlig anderes“, so das Gericht. Dieser Service falle ersichtlich nicht unter die genannten Dienstleistungen.
Aus Sicht der Apothekerinnen ist die Apotheke dagegen der geeignete Ort: „Wir wollen unseren Kunden eine Möglichkeit geben, das sauber und steril machen zu lassen“, so Karoline Horstkotte, nachdem sie von der Wettbewerbszentrale abgemahnt worden war.
Das Landgericht sah das anders: Es sei nicht ersichtlich, warum Apotheker oder PTA in der Lage sein sollten, das Gerät besser zu handhaben als entsprechend geschulte andere Personen, etwa Mitarbeiter von Juwelieren.
Ein Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit sei das Verkaufsverbot ebenfalls nicht: „Die Beschränkung des Warensortiments entspricht vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls und wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Kernaufgabe der Apotheker sei die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Bezogen darauf sei es „ein legitimes Ziel, eine Entwicklung der Apotheken zum 'drugstore' zu verhindern“, so die Richter. Es werde zudem das Vertrauen der Kunden geschützt, in der Apotheke nur Erzeugnisse angeboten zu bekommen, denen eine nachvollziehbarer gesundheitlicher Nutzen zugeschrieben werde.
Ob die Apothekerinnen weiter vor Gericht streiten werden, steht noch nicht fest. Der Ausgang des Verfahrens wird von vielen Apotheken aufmerksam verfolgt. Denn der Service ist in Apotheken nichts ungewöhnliches mehr: Die Firma Inverness arbeitet nach eigenen Angaben bundesweit mit knapp 1000 Apotheken zusammen. Das „System 2000“ wurde laut Geschäftsführer Thomas Maltritz sogar von Apothekern entwickelt. Inverness ist seit fünf Jahren in Apotheken unterwegs, Konkurrent Studex seit etwa einem Jahr.
Nach dem Urteil aus Wuppertal geht jetzt auch die Bayerische Landesapothekerkammer gegen einen Apotheker vor, der das System von Inverness anbietet. Maltritz bedauert das: „Wir hören von Müttern, die mit ihren Töchtern mehr als 100 Kilometer fahren, um die Ohrlöcher in einer Apotheke stechen zu lassen.“ Für die Verbraucher wäre ein entsprechendes Verbot bedauerlich. In der Praxis würden viele Pharmazieräte den Service daher auch stillschweigend dulden.
Die Apotheken werden von Inverness drei Stunden lang geschult: Werkstoffkunde, Verschlusstechnik und der wichtige Unterschied zwischen Stechen und Schießen. Aufgrund ihrer Sachkenntnis sind Apotheken Maltritz zufolge der bessere Ort als beispielsweise Juweliere oder Frisöre. In Italien werde etwa die Hälfte der Ohrlöcher in Apotheken gestochen.
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