Die betriebswirtschaftliche Lage der Apotheken ist alarmierend, Dr. Sebastian Schwintek von der Treuhand Hannover spricht von einem „rapiden Verfall der Ergebnisse“. Mehr als jeder dritte Betrieb ist akut in seiner Existenz bedroht, 11 Prozent schreiben sogar schon reale Verluste, wie er anhand aktueller Zahlen bei der Zukunftskonferenz VISION.A präsentierte. Seine Botschaft ist klar: Die gesetzlich vorgesehene Vergütung ist nicht mehr kostendeckend – und der Verlust pro abgegebener Packung wird immer größer. Eine Erhöhung ist daher aus seiner Sicht alternativlos.
Schwintek präsentierte betriebswirtschaftliche Kennzahlen zum ersten Halbjahr 2023. Demnach hat knapp jede dritte Apotheke in den ersten sechs Monaten an Umsatz verloren – so viel zu der gerne von Politik und Kassen vorgetragen Behauptung, Apotheken verdienten automatisch an den stetig steigenden Arzneimittelausgaben der Kassen mit.
Um die Spreizung im Apothekenmarkt zu veranschaulichen, betrachtete er nicht mehr die Durchschnittsapotheke, die in diesem Jahr voraussichtlich 3,32 Millionen Euro an Erlösen machen wird. Vielmehr teilte Schwintek die Apotheken in drei gleich große Gruppen:
Das durchschnittliche Betriebsergebnis liegt bei 141.000 Euro; betrachtet man jedoch die Erträge je Gruppe, zeigt sich die ganze Dramatik:
Die Wahrheit hinter diesen Durchschnittswerten: Eine erhebliche Zahl an Apotheken befindet sich in wirtschaftlicher Schieflage. Über alle Umsatzklassen hinweg sind 11,1 Prozent aller Apotheken defizitär – und damit akut von der Schließung bedroht. Bis Ende 2021 hatte dieser Wert regelmäßig nur bei 3 bis 5 Prozent gelegen, bevor er im vergangenen Jahr erstmals auf 10 Prozent hochgeschnellt war.
Doch laut Schwintek kommt es noch schlimmer: 36,6 Prozent aller Apotheken erwirtschaften ein Betriebsergebnis von weniger als 75.000 Euro und sind damit laut dem designierten Generalbevollmächtigten der Treuhand dauerhaft nicht überlebensfähig. Zum Vergleich: 2018 hatte dieser Anteil noch bei 25,5 Prozent gelegen.
Rechnet man zu den Handelsumsätzen noch die Honorare für Nacht- und Notdienst, pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) und Botendienst hinzu, liegen die „Topverdiener“ des unteren Drittels bei maximal 84.000 Euro – und damit immer noch auf dem Niveau der Vollkosten eines Filialleiters.
Laut Schwintek liegt die Ursache in der viel zu geringen Vergütung im GKV-Bereich: 46 Cent zahlten Apotheken laut Treuhand-Analyse im ersten Halbjahr im Durchschnitt pro Packung drauf – erst Rabatte, Skonti und die Quersubventionierung aus anderen Bereichen führten noch zu positivem Stückgewinn.
Diese Unterdeckung existiert bereits seit drei Jahren, sie ist seitdem aber immer größer geworden: Lag das Defizit 2020 noch bei 7 Cent pro Packung, waren es 2021 schon 15 Cent und 2022 dann 27 Cent. Zum Vergleich: 2013 hatte jede Packung noch einen Stücknutzen von 91 Cent, 2015 waren es 81 Cent. Seitdem ist der Betrag stetig gesunken.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Der rechnerische Durchschnittswert für das Betriebsergebnis über alle Apotheken hinweg liegt in diesem Jahr bei 141.000 Euro; für das kommende Jahr rechnet die Treuhand mit 136.000 Euro. Doch die aktuellen und noch ausstehenden Kostensteigerungen könnten die ohnehin schon schmalen Erträge weiter belasten:
Doch schon ohne diese zu erwartenden belastenden Effekte bietet der Ausblick für die kommenden vier Jahre wenig Positives:
Für Schwintek zeigen die Zahlen eindeutig: Die Vergütung im GKV-Bereich muss dringend erhöht werden. Denn die Kostensteigerungen der Apoteken von 2004 bis 2012 seien nur zu 10 Prozent berücksichtigt worden; seit 2013 habe es überhaupt keine Anpassung an die Entwicklung mehr gegeben. Zum Vergleich: Der Orientierungswert für die vertragsärztliche Vergütung sei im selben Zeitraum um 19,3 Prozent erhöht worden, zuzüglich weiterer Komponenten.
Eine jährliche Anpassung des Fixums anhand der Kostenentwicklung inklusive Unternehmerlohn ist laut Schwintek nicht nur geboten, sondern angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Apotheken auch zwingend erforderlich.
Als Alternative schlägt er eine „Teil-Entpolitisierung“ vor: Anstelle von Wirtschatfs- und Gesundheitsministerium solle die Selbstverwaltung für das Honorar zuständig sein. Kommen GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband (DAV) dabei zu keiner Einigung, müsste eine Schiedsstelle entscheiden.
Ohne Änderungen werde man eine zunehmende Dynamik in eine fatale Richtung sehen. Die für dieses Jahr prognostizierten 600 Schließungen sind laut Schwintek nur die Spitze des Eisbergs. Denn 1800 Apotheken seien defizitär und damit in ihrer Lebenserwartung beschränkt. Dass aktuell nicht noch mehr Apotheken schließen, hat aus seiner Sicht ausschließlich mit Marktaustrittsbarrieren zu tun – etwa weil Inhaberinnen und Inhaber auf den Renteneintritt warteten oder eine Übergabe innerhalb der Familie in Aussicht stehe.
Die Filialisierung, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sie im Blick hat, wird das Problem nicht lösen. Denn bei den Filialen liege der Anteil der defizitären Betriebe deutlich über dem Durchschnitt – nämlich bei einem Viertel, in Hotspots mit hoher Apothekendichte wie Berlin sogar bei 50 Prozent. Light-Filialen aber bedeuteten nicht nur eine Entprofessionalisierung, sondern auch eine Wettbewerbsverzerrung. „Wenn der Arzt wegfällt, werden Sie auch mit niedrigeren Betriebskosten die Versorgung nicht sichern können. Ich bezweifle daher, dass es ein wirtschaftliches Interesse für dieses Konzept gibt.“
Auch eine Umverteilung oder weitere Quersubventionierung, wie von der Politik gefordert, ist aus seiner Sicht nicht zielführend: „So hohe Honorare können Sie gar nicht ausschütten, dass sich das ohne eine angemessen Packungspauschale lohnt.“
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