Apotheken sollen Selbstmord-Medikamente abgeben APOTHEKE ADHOC, 25.10.2021 14:28 Uhr
Die österreichische Regierung will die Sterbehilfe erlauben. Sie hat sich dazu auf einen Entwurf für ein „Sterbeverfügungsgesetz“ geeinigt, das assistierten Suizid erlaubt, aktive Sterbehilfe jedoch weiterhin verbietet. Ab Januar 2022 sollen unheilbar Kranke eine sogenannte Sterbeverfügung verfassen können. Das notwendige Selbstmordmedikament sollen die Apotheken abgeben.
Auf einige österreichische Apotheken könnte bald eine extrem schwere Entscheidung zukommen: Wollen sie sterbenskranken Patienten die Arzneimittel zur Selbsttötung abgeben? Das sieht der Entwurf für ein „Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen (Sterbeverfügungsgesetz, StVfG) vor, den die österreichische Regierung am Samstag vorgelegt hat. Der Gesetzentwurf sieht als Mittel der Wahl das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital, das auch in anderen Ländern bei der Sterbehilfe zum Einsatz kommt. Darüber hinaus soll der Gesundheitsminister per Verordnung auch andere Präparate bestimmen dürfen, „wenn solche Präparate nach dem Stand der Medizin belastende Begleiterscheinungen für den Patienten minimieren oder wenn die Verfügbarkeit von Natrium-Pentobarbital eingeschränkt oder nicht mehr gegeben ist“, so der Gesetzentwurf.
Allerdings gilt demnach kein Kontrahierungszwang: Apotheken dürfen nicht zur Abgabe der tödlichen Substanz verpflichtet werden. Die Österreichische Apothekerkammer soll per Gesetz verpflichtet werden, eine Liste jener Apotheken zu erstellen und aktuell zu halten, die sich zur Abgabe des Präparats bereit erklären. Diese Liste soll sie dann der Österreichischen Notariatskammer und den Patientenanwaltschaften zur Weitergabe an jene Personen zu überlassen, die Sterbeverfügungen dokumentieren.
Das Präparat zur Selbsttötung darf dabei nicht nur an den sterbewilligen Patienten selbst abgegeben werden, sondern auch an eine Vertretung, die in der Sterbeverfügung genannt wird. Dabei ist nicht nur eine Abgabe vor Ort erlaubt, sondern auch eine Lieferung durch „apothekeneigene Zustelleinrichtungen“, also den Botendienst. Missbrauch soll durch ein sogenanntes Sterbeverfügungsregister unterbunden werden, in dem die Verfügungen hinterlegt werden. Bei einer Abgabe müssen Apotheken dort Meldung machen. Vor der Abgabe müssen sie prüfen, ob das Präparat zur Selbsttötung bereits abgegeben wurde. Falls ja, dürfen sie es nicht beliefern. Die Österreichische Apothekerkammer arbeitet derzeit an ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf, arbeitet aber gemeinsam mit Experten bereits an der Ausgestaltung der Details der Umsetzung wie Dosierungsfragen oder der galenischen Zusammensetzung. „Nach den Ergebnissen der aktuellen Besprechungen mit der Bundesregierung werden die Apothekerinnen und Apotheker ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend die Versorgung auch in diesem Bereich übernehmen“, so eine Kammersprecherin auf Anfrage.
Die österreichische Regierung unter dem neuen Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) reagiert mit dem Gesetzentwurf auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshof (VfGH), der das Verbot des assistierten Suizids zu Ende des Jahres 2021 aufgehoben hatte. Ohne ein neues Gesetz wäre der Beihilfe zum Selbstmord damit ab Januar erlaubt gewesen, wie die österreichische Nachrichtenseite Die Presse berichtet. Nach dem neuen Gesetzentwurf, sollen dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Menschen, die volljährig und entscheidungsfähig sind, das Recht erhalten, eine sogenannte Sterbeverfügung zu verfassen. Dies muss höchstpersönlich geschehen und kann nicht an einen gesetzlichen Vormund delegiert werden.
Bevor eine Sterbeverfügung verfasst werden kann, muss der Patient die Aufklärung durch zwei verschiedene Ärzte in Anspruch nehmen, von denen einer eine palliative Qualifikation hat. Auch die Entscheidungsfähigkeit des Patienten muss von den Ärzten bestätigt werden. Zweifelt sie ein Arzt an, muss ein Psychiater oder Psychologe zurate gezogen werden. Um eine Todesentscheidung in akuten Krisenphasen zu verhindern, muss zwischen dem Verfassen der Verfügung und der Abgabe des tödlichen Mittels eine Frist von mindestens zwölf Wochen eingehalten werden. Nur wenn ein Arzt bestätigt, dass die sterbewillige Person bereits in der terminalen Phase ihrer Erkrankung ist und weniger Lebenszeit als die Frist verbleibt, darf sie auf zwei Wochen verkürzt werden. Außerdem ist eine Sterbeverfügung maximal ein Jahr gültig: Hat der Patient das Präparat bis dahin nicht ausgehändigt bekommen, muss er eine neue Verfügung verfassen.
Entscheidend beim assistierten Suizid ist – im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe – dass der Patient die Selbsttötung selbst vornimmt, also das Präparat schluckt oder, falls das nicht möglich ist, eine Injektion selbst auslöst. Aktive Sterbehilfe soll nach Willen der Regierung weiterhin verboten bleiben, ebenso die Werbung für Sterbehilfe mit Ausnahme der Aufklärung über die gesetzlich regulierten Möglichkeiten. Parallel zum Sterbeverfügungsgesetz will die Regierung die Hospiz- und Palliativversorgung aufbauen. Dazu soll ein Fonds gegründet und bis 2024 insgesamt 153 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Im Dezember soll das österreichische Parlament dem Gesetzentwurf mit Regierungsmehrheit zustimmen.