Ihr schickt Päckchen, wir sind immer da Eugenie Ankowitsch und Torsten Bless, 10.08.2017 09:55 Uhr
Wie können die Vor-Ort-Apotheken gegen die preiswerten Mitbewerber aus dem Versandhandel punkten? Nur durch verlängerte Öffnungszeiten und verstärkten Service, glauben Apotheker aus Hamburg und der Kleinstadt Rinteln. Doch ihre wirtschaftliche Bilanz fällt durchaus unterschiedlich aus.
Schon Ende des vergangenen Jahrzehnts zeichnete sich die Konkurrenz aus dem Versandhandel ab. Holger Gnekow, Besitzer der Privilegierten Adler-Apotheke im Hamburger Stadtteil Wandsbek, reagierte 2007 als erster auf die neuen Herausforderungen. Er hält seine Privilegierte Adler-Apotheke im Hamburger Stadtteil Wandsbek das ganze Jahr über an täglich 16 Stunden geöffnet. Auch an hohen Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern macht Gnekow keine Ausnahme.
Mit langen Öffnungszeiten bis Mitternacht habe man sich sich vor allem gegen die Konkurrenz aus dem Internet behaupten wollen, sagt der Apotheker. Zusätzlich sei es wichtig gewesen, sich gegen die Mitbewerber vor Ort zu positionieren. Gerade nach der Aufhebung der Preisbindung für OTC-Arzneimittel hätten viele Kollegen versucht, sich über „Dumping-Preise“ von den Konkurrenten – sowohl aus dem Internet als auch vor Ort – abzuheben.
Kollegin Julia Scheel von der Vita-Apotheke im Stadtteil Eimsbüttel erfuhr von den neuen Öffnungszeiten aus der Zeitungswerbung und sprach ihren Kollegen an. Sein Konzept leuchtete ihr ein. „Apotheken werden häufig mit dem Einzelhandel verglichen. Mittlerweile gehen viele Menschen zum Einkauf ins Internet, da mussten wir reagieren. Ich habe meinen damaligen Angestellten gesagt, dass wir dem Versandhandel etwas entgegensetzen müssen“, erinnert sich Julia Scheel. „Wenn wir nicht über den Preis gehen können, dann über verlängerte Öffnungszeiten und verstärkten Service. Ich hab meine Mitarbeiter gefragt, ob sie sich das vorstellen können. ‚Ja, das machen wir‘, war ihre Antwort.“
Gerade der Service-Gedanke war für Scheel bestechend: „Wir wollen den Menschen helfen und pharmazeutisch das abdecken, was die Menschen brauchen. Wenn man am Wochenende krank ist, ist man krank. Dann ist es gut, auf eine Apotheke zurückzugreifen, die das dafür nötige große Sortiment vorrätig hat.“
Bald folgte auch die Arkadenapotheke im Hamburg-Harburg mit ihren Betreibern Eva-Maria und Lühr Weber. Die drei Apotheken im Westen, Osten und Süden der Stadt kooperieren miteinander. Auf dem gemeinsamen Internetportal www.medikamente-bis-mitternacht.de können Patienten schon von Zuhause oder unterwegs aus prüfen, ob ihr Präparat verfügbar ist – und es dann reservieren, vorbestellen und bei einer der drei Apotheken abholen.
Doch die Umsetzung in den Apothekenalltag sei auch heute noch nicht immer leicht. „Das hat mein Berufsleben schon sehr verändert, mitunter ist es anstrengend“, sagt Julia Scheel. „Ich habe einen großen logistischen Aufwand. Man muss Personal vorhalten, und dafür braucht es die richtigen Menschen, die flexibel arbeiten wollen.“
Zum Glück sei Eimsbüttel dafür gerade der richtige Stadtteil. „Viele wissen es zu schätzen, dass sie am Wochenende arbeiten und dafür unter der Woche den Yoga- oder Nähkurs besuchen können. Wir haben Doktoranden, die dann mal an die Uni gehen. Und Mütter, die ihre Kinder vom Ehemann oder Lebensgefährten betreuen lassen und dafür auch mal abends arbeiten.“
Auch wirtschaftlich sei der 365-Tage-Betrieb interessant. „Wenn es sich nicht rechnen würde, dann würde ich es nicht machen“, sagt Julia Scheel und räumt sogleich ein: „Lange Jahre war das nicht so. Inzwischen werden die Abende und der Sonntag viel nachgefragt, das hat sich sehr verändert.“ Die Vita-Apotheke sei in der Wahrnehmung der (potenziellen) Kunden präsenter geworden. „Wer einmal am Abend gut beraten worden ist, kommt auch zu normalen Öffnungszeiten wieder.“
Auch Holger Gnekow von der Adler-Apotheke zieht nach zehn Jahren ein positives Fazit. Das Konzept sei nicht nur aus Service-Gesichtspunkten wichtig, auch wirtschaftlich lohne sich das Ganze. Doch das Konzept funktioniere nur in einem Einzugsgebiet mit mindestens 500.000 Einwohnern, meint er.
Klaus Bellwinkel versucht es im niedersächsischen 27.000-Einwohner-Städtchen Rinteln. Eine gute Erreichbarkeit, ein großes Warenlager und ausgedehnte Öffnungszeiten müssten die Apotheken der Zukunft mindestens bieten, da ist auch er sich sicher. Nur so könnten sie Kunden an sich zu binden und damit konkurrenzfähig bleiben. Seit November öffnet er eine seiner vier Apotheken deshalb auch sonntags.
Ein halbes Jahr nach der Einführung der neuen Öffnungszeiten in der B33-Apotheke im Marktkauf fällt seine Bilanz durchwachsen aus. Er betont zwar, dass die Resonanz bisher sehr positiv gewesen sei und seine Erwartungen erfüllt worden seien. Doch das Kundenaufkommen sei überschaubar, räumt der Apotheker ein. Die genaue Kundenzahl will Bellwinkel zwar nicht nennen, verrät aber, dass es sich dabei „um eine klassische Notdienstfrequenz“ handelt.
Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht lohne es sich nicht, die Apotheke sonntags zu öffnen. Dennoch will er an seinem Angebot der Sonntagsöffnung weiter festhalten. Es sei eben ein Service für seine Kunden. Man analysiere zwar im Team regelmäßig die angebotenen Leistungen. Bisher sehe man aber keinen Anlass, die einmal getroffene Entscheidung rückgängig zu machen.
Auch an den ausgedehnten Öffnungszeiten von 9 bis 18 Uhr will Bellwinkel nicht rütteln. „Obwohl die meisten Patienten am Sonntag zwischen 10 und 15 Uhr kommen, wollen wir bei unserem Service konsequent sein“, verteidigt der Apotheker seine Strategie. „Entweder macht man es richtig oder gar nicht.“
Nach wie vor sieht Bellwinkel die Öffnung am Sonntag als einen Schritt Richtung stärkere Kundenorientierung. Apotheker müssten sich den Anforderungen an einen modernen Dienstleister anpassen. Medikamentenlieferung nach Hause, die Möglichkeit der Vorbestellung per Whatsapp und erweiterte Öffnungszeiten gehörten dazu. Die Kunden wollten ihre Medikamente oder Medizinprodukte sofort und nicht erst in Stunden haben. „Eine starke Kundenbindung wird in Zukunft entscheidend sein“, ist der Pharmazeut überzeugt.
Bellwinkel hatte bereits vor Jahren die Apothekerszene im beschaulichen Rinteln ordentlich aufgemischt. Im Jahr 2008 habe er im Alleingang die vorher „jahrelang geeinte Front der Apotheker gegen erweiterte Öffnungszeiten durchbrochen“. Als Erster habe er seine damalige Hauptapotheke in der Bahnhofstraße an Mittwochnachmittagen geöffnet. Er verzichtete außerdem auf die Mittagspause und öffnete werktags bis 20 Uhr und samstags bis 16 Uhr. Die Maßnahmen hätten ihm nicht nur Freunde eingebracht. Dennoch hätten die anderen Apotheken schrittweise nachgezogen und ihre Öffnungszeiten auch auf den Mittwochnachmittag ausgedehnt und teilweise auf die Mittagspause verzichtet.