Personalnot macht erfinderisch

Apotheken kürzen Öffnungszeiten – gemeinsam

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Berlin -

Mit dem Zitat „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ leiten die drei Büdinger Apotheken einen Flyer an ihre Kundinnen und Kunden ein. Was das bedeutet: In der hessischen Stadt gelten im Stadtgebiet nun für alle Apotheken die gleichen verkürzten Öffnungszeiten. Ein ähnliches Modell fahren auch drei Apotheken in der rheinland-pfälzischen Stadt Hermeskeil: Hier wird nun im Wechsel samstags zugemacht.

Apotheken mangelt es an Personal, es wird immer schwerer, Leute zu finden, der Wunsch nach mehr Flexibilität wächst, ebenso die Bedürfnisse und Rechte der Mitarbeitenden. Und das Verständnis der Inhaber:innen, dass die Belastungsgrenze irgendwann erreicht ist. Um ihren Teams und sich selbst nicht immer noch mehr zuzumuten, haben sich in den beiden Gemeinden die jeweils drei Apotheken zusammengetan, um für ihre Teams Entlastung zu schaffen.

Drei Apotheken versorgen das 20.000-Einwohner-Städtchen Büdingen. Zum Jahreswechsel haben sie umgestellt. Die Hof-Apotheke von Dr. Bahman Jahandar, die Hubertus Apotheke von Lucie Petri und die Stadt-Apotheke von Jörg Schneider sind nun montags bis samstags von 8.30 bis 13 Uhr und zusätzlich viermal in der Woche von 14.30 bis 18.30 für ihre Kunden da. Neu sind somit der freie Mittwochnachmittag sowie die anderthalbstündige Mittagspause montags, dienstags, donnerstags und freitags.

In erster Linie hat der Personalmangel die beiden Inhaber und die Inhaberin in diese Not gebracht. „Ich denke, das ist die allgemeine Lage“, so Schneider. „Man geht immer mit einem schlechten Gewissen nach Hause, weil man nicht alles geschafft hat. Die Mitarbeiter sind überlastet. Man schafft nicht mehr, aufzuarbeiten.“ Regelmäßige Nacharbeit nach „Ladenschluss“ ist keine Ausnahme mehr. Zudem wolle kaum jemand in die Kleinstadt ziehen, da gibt es in der Region andere, attraktivere Ziele.

Anders nicht mehr machbar

Drei Mitarbeiterinnen hat Schneider, die entweder in Rente gehen oder Stunden verkürzen wollen. „Das ging nur noch mit anderen Öffnungszeiten.“ Der Fairness halber habe er das auch den anderen beiden Konkurrenten gegenüber kommuniziert – „wir sind hier sehr kollegial“. Da es Jahandar und Petri nicht anders gegangen sei, war hier schnell eine Einigung gefunden.

Der Inhaber arbeitet am Limit: Um 6.30 Uhr geht’s los und dann bis spät in den Abend. „Familienfreundlich ist das nicht und Wochenenden gibt es auch nicht.“ Hier müsse einfach perspektivisch umgedacht werden. Vor allem weil einfach die Zeit fehle, im Backoffice aufzuarbeiten, dafür geht dann auch noch der Sonntag beim Inhaber drauf. Da will er zumindest sein Personal schützen: „Das war ein notwendiger Schritt. Das soll den Druck rausnehmen und die psychische Belastung verringern. Ich möchte ja auch, das mein Team in zehn bis 15 Jahren immer noch da ist.“

In der ersten Januarwoche gab es für alle die Premiere mit einem freien Mittwochnachmittag. Die Kunden sind hierbei zum Glück sehr verständnisvoll, auch die Kammer hat nichts gegen die Anpassung, die voll im erlaubten Rahmen liegt. Die lange Mittagspause kann nun für die Arbeit genutzt werden, die oft abends liegengeblieben ist. „Meine Mitarbeiterinnen sind auch abends oft mit einem schlechten Gewissen nach Hause gegangen.“ Das will er nicht mehr. Eine gesicherte Mittagspause und mehr Zeit für hintergründige Arbeiten liefert nun das neue Modell.

Samstags im Wechsel zu

Zu dritt verständigen konnten sich auch die drei Apotheken im etwas kleineren Stadtgebiet von Hermeskeil. Torsten John, Inhaber der Donatus-Apotheke, Dr. Michael Bur von der Hirsch-Apotheke und Michael Knüttel mit seiner Adler-Apotheke haben ebenfalls aus personellen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ihre Öffnungszeiten angepasst.

John, der die Samstage eigentlich immer am entspanntesten fand, da die Kund:innen weniger gestresst sind, ließ sich von einer seiner PKA zum Schritt überreden. Sie konnte die Samstagsdienste immer schwerer stemmen, John wollte sie nicht verlieren. Personell entspannt das neue Modell jetzt die Wochenenddienste: Seine PKA sind jetzt im Wechsel dran, alle sechs Wochen, für jede ist nun im Schnitt samstags Dienst, von 8.30 bis 13 Uhr – auch hierauf haben sich die Inhaber gemeinsam geeinigt.

Der Turnus ist nicht rhythmisch, da auch die Notdienstplanung berücksichtigt werden muss. Ansonsten hätten sich die drei Inhaber einfach für das Jahr abgestimmt und ihre eigenen jeweils freien Samstage bei der Kammer beantragt. Das sei auch ohne Beanstandung durchgegangen. Alle drei Apotheken liegen recht nah beieinander, sodass die jeweiligen Kunden, sollten sie samstags vor verschlossenen Türen stehen, einfach maximal 200 Meter zur Diensthabenden gehen können.

„Wir sitzen alle in einem Boot“

„Das fällt uns auch gar nicht schwer, unsere Stammkunden zum ‚Konkurrenten‘ zu schicken“, berichtet John. „Aufgrund der Lieferfähigkeit sind wir das schon gewohnt.“ Und über kurz oder lang sei der politische Druck sowieso so groß, dass sie sich einig sind, das mindestens einer von ihnen dreien sowieso für immer schließen müsse.

Die Vorteile liegen für alle Beteiligten auf der Hand: Das Personal wird am Wochenende geschont, ein Tag mit weniger Kundenandrang verläuft ohne Heizen und Strom. Auch bezüglich einer eventuellen Übernahme sei das Modell für einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin sicher attraktiv. „Man hat ja sonst gar nicht mehr frei, Urlaub ist fast unmöglich.“

Auch für John gab es Anfang 2024 eine Premiere: das erste Mal samstags frei. Durch Notdienst ist er sonst auch schon mal 20 Tage am Stück in der Apotheke gewesen. „Das packst du heute nicht mehr.“ Er selbst hofft auf eine junge Studentin, die bereits hin und wieder bei ihm arbeitet. Vielleicht übernimmt sie die Donatus-Apotheke ja.

Auch Knüttel sieht den Samstag aufgrund des schwächeren Umsatzes als perfekt geeignet für angepasste Öffnungszeiten: „Da ist nicht der rasende Betrieb, weil die Arztpraxen geschlossen haben. Da lebt man nur vom Handverkauf. Das ist oftmals schwer kostendeckend.“ So sei die Arzneimittelversorgung trotzdem weiter gewährleistet – „und wir sparen Kosten ein“. So sei die Mitarbeitergewinnung auch einfacher.

„Wir sitzen alle in einem Boot“, sagt Knüttel. „Wir sind zwar Konkurrenten, aber wir haben ein recht gutes Verhältnis. Insofern war das naheliegend, dass wir uns da abstimmen.“ Der Festzuschlag reiche einfach nicht mehr aus, um eine Apotheke zu halten. „Da muss man kreativ werden. Das ist jetzt unser Ansatz.“ Er geht davon aus, dass in Orten wie Hermeskeil irgendwann nur noch eine Apotheke geben wird.

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