Grippeimpfstoffe

Apotheken bestellen Phantom-Impfstoff

, Uhr
Berlin -

Gerade erst hat die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) den quadrivalenten Grippeimpfstoff empfohlen, schon schaffen Krankenkassen und Apotheker Fakten. Die AOK Nordost und der Berliner Apotheker-Verein (BAV) haben eine Vereinbarung geschlossen, nach der Patienten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in der kommenden Saison mit der neuen Vakzine versorgt werden. Besonders delikat: Dem Vernehmen nach ist ein Hersteller zum Zuge gekommen, der mit seinem Produkt noch gar nicht auf dem Markt ist.

Die Impfstoffvereinbarung in Berlin existiert bereits seit 2011 und funktioniert wie folgt: Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) fordert die Mediziner auf, Grippeimpfstoffe generisch zu verordnen und die Bestellungen möglichst früh in einer Apotheke ihrer Wahl abzugeben. Überlässt die Praxis ihrem Lieferanten die Auswahl des Impfstoffs, gilt ein zwischen den Vertragspartnern vereinbarter Festpreis pro Impfdosis.

Der BAV wiederum schließt über seine Tochterfirma D.S.C. Verträge mit den Herstellern. Der frühzeitige Auftragseingang ermöglicht es den Firmen, ihre Produktion entsprechend dem Bedarf zu planen; in den vergangenen Jahren lief das Procedere sogar schon im Januar. Die Apotheken profitieren wiederum von günstigen Konditionen.

Für den quadrivalenten Impfstoff ist ein Betrag von 10,95 Euro plus Mehrwertsteuer vorgesehen. Entschließt sich eine Apotheke, sich in Eigenregie um die Beschaffung eines Grippeimpfstoffs zu kümmern, muss sie selbst zusehen, dass sie kostendeckend arbeiten kann. Die beiden verfügbaren quadrivalenten Impfstoffe Vaxigrip tetra (Sanofi) und Influsplit tetra (GSK) haben einen Listenpreis von 131,09 Euro je 10er-Packung – also deutlich mehr, als mit der AOK Nordost vereinbart wurde.

Dem Vernehmen nach hat Mylan bei D.S.C. den Zuschlag erhalten; der Generikakonzern hat sich nicht nur über Rabattverträge weite Teile des Marktes gesichert, sondern war auch in Berlin bereits in den vergangenen Jahren als einer von zwei Partnern mit dabei. Dass er in der kommenden Saison Influvac tetra liefern soll, wäre schon deshalb bemerkenswert, weil der quadrivalente Impfstoff noch gar nicht auf dem Markt ist. Bereits jetzt hat sich der Hersteller aber laut Vertrag zur Einhaltung der Liefertermine und -mengen verpflichtet. Fällt er aus, steht den Apotheken ein Schadenersatz insbesondere mit Blick auf eine angemessene Ersatzbeschaffung zu.

Bis zum 12. März sollen die Ärzte die Bestellungen in den Apotheken einreichen; die Kollegen sollen die Praxen daher möglichst frühzeitig ansprechen. Allerdings weist der BAV darauf hin, dass die Impfstoffe unterschiedliche Zulassungen für unter 18-Jährige haben. Mindestens 10, maximal 250 Impfdosen dürfen auf einem Rezept über Sprechstundenbedarf stehen, bei höherem Bedarf sind mehrere Rezepte auszustellen. Bis zum 31. Mai 2019 müssen alle Rezepte bei der AOK Nordost zur Abrechnung eingereicht sein. Verordnet der Arzt einen bestimmten Impfstoff oder eine bestimmte Applikationsart, etwa nasal (Fluenz tetra), muss die Apotheke sich dies ausdrücklich bestätigen lassen und einen Kostenvoranschlag bei der AOK Nordost einholen.

Bei welchen Impfungen die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, ist in der Schutzimpfungsrichtlinie geregelt. Zuständig ist der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA). Zwar endet die Frist für eine Entscheidung bezüglich des quadrivalten Grippeimpfstoffs erst im April. Doch bereits kurz nach Veröffentlichung der neuen STIKO-Empfehlung im Epidemiologischen Bulletin hatte der Vorsitzende Josef Hecken Medienberichte zurückgewiesen, in denen über eine Nichtumsetzung und damit verbunden eine schlechtere Behandlung von Kassenpatienten gemutmaßt wurde.

Auch der BAV weist darauf hin, dass der G-BA in der Vergangenheit den STIKO-Empfehlungen „in der Regel ohne Abstriche“ gefolgt sei. Vor diesem Hintergrund habe man sich entschieden, bereits jetzt Verträge mit den Kassen zu schließen. Für den Fall, dass der G-BA doch zu einer anderen Entscheidung kommt, verliert der Vertrag von D.S.C. seine Gültigkeit.

Das Modell war nach einem Angriff durch Novartis 2011 vom Bundeskartellamt für rechtmäßig erklärt worden. In der ersten Runde 2011/12 konnten 11 Euro für Impfstoffe ohne Adjuvans und 14 Euro für Impfstoffe mit Adjuvans abgerechnet werden. Seitdem sind die Preise deutlich gesunken: In der Saison 2012/2013 gab es 8,99 Euro, 2013/2014 noch 7,75 Euro und 2014/15 noch 7,20 Euro. Immerhin konnten durch das Modell Ausschreibungen wie in fast allen anderen Bundesländern verhindert werden.

Nicht überall waren die Rabattverträge zum Nachteil der Apotheker. In Baden-Württemberg etwa gab es für den Wechsel auf den Rabattpartner einen kleinen Bonus – immerhin gibt es im Sprechstundenbedarf keine gesetzliche Austauschpflicht. Die spannende Frage ist, wie die Kassen in diesen Ländern nach der Abschaffung der Ausschreibungen und dem Wechsel vom tri- zum tetravalenten Impfstoff reagieren.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr aus Ressort
Apotheken als schnelle und leistungsstarke Akteure
Katastrophenschutz: SPD-Landrat für Apotheke vor Ort
Kliniksterben in westdeutschen Großstädten
Klinikreform: Was ändert sich jetzt?

APOTHEKE ADHOC Debatte