Apotheken-Architekt: Muff ist gut! Tobias Lau, 31.01.2019 10:41 Uhr
Jörn Bathke baut seit mehr als 20 Jahren Apotheken, mehr als 400 sind es bereits im gesamten Bundesgebiet. Im Interview erklärt er, wohin sich die Branche bewegt, warum die Apotheker nicht versuchen sollten, dem Versandhandel nachzueifern, und was Apotheke mit Theater zu tun hat. Um alte Werte in der neuen digitalen Welt geht es auch bei VISION.A, der Digitalkonferenz von APOTHEKE ADHOC. Am 20. und 21. März trifft sich in Berlin das Who is who der Branche. Nur noch heute gibt es Tickets zum Frühbucherpreis.
ADHOC: Wie hat sich die Branche Apothekenbau in den letzten 20 Jahren verändert?
BATHKE: Ich denke, es gibt da verschiedene Pfade, zum Beispiel den Hang zur Standardisierung, Stichwort Easy-Apotheke. Gleichzeitig gibt es unglaublich viele neue Sichtweisen, man denke an Beratungsinseln und dergleichen. Und dann gibt es die totale Automatisierung und Virtualisierung. Es gibt also sehr viele Strömungen gleichzeitig und insofern hat sich der Markt extrem aufgespaltet.
Und dann gibt es noch die Versandapotheken. Wir hatten auch schon einen großen Versandhändler als Kunden, Aponeo. Die ticken dann wieder ganz anders, die gehen eher in Richtung Amazon. Das heißt auch für uns, dass unser Markt vielleicht kleiner wird. Wir planen auch für Easy und können auch wie die denken. Wirtschaftlich ist das ein absolut überzeugendes Konzept. Der Kunde geht wegen eines Flohhalsbands rein und kommt mit vollem Einkaufswagen wieder raus. Das musst du erstmal hinkriegen als normaler Apotheker.
Und trotzdem gibt es diese menschliche Komponente: Apotheken sind inhabergeführt – das heißt, da stecken auch Familien dahinter. Es ist ein überschaubarer und, wie ich finde, sehr glaubwürdiger Kreis an Betreibern, die dann nur für sich etwas bauen. Das ist ja in Deutschland mittlerweile fast einmalig. Wo hat man das noch, außer vielleicht bei Friseuren und Schneidern? Wir bauen auch oft in Einkaufscentern. Wenn man da reinschaut, ist alles – wirklich jeder Laden – identisch, alles System. Wenn wir da eine Apotheke rein bauen, ist das oft der einzige Laden in dem ganzen Center, der individuell gestaltet ist. Das sind Apotheker – und deshalb sind wir als Architekten so glücklich mit dieser Branche.
ADHOC: Hat sich bei den Neugründungen etwas verändert?
BATHKE: Ja, es eröffnen immer weniger kleine Apotheken, stattdessen werden es immer größere Betriebe.
ADHOC: Und wie spiegelt sich das in der Architektur wieder?
BATHKE: Automatisierung ist da ein ganz klarer Trend. Ein Automat ist mittlerweile Standard, LEDs werden immer gängiger.
ADHOC: Wie stehen Sie dazu, dass die Apotheken immer größer werden?
BATHKE: Ich erkläre es mal so: Vor 15 Jahren habe ich im Ruhrgebiet eine Apotheke umgebaut. Eine verrümpelte Offizin, die nicht viel größer ist als der Raum hier, gerammelt voll, die Leute standen draußen Schlange. Drin steht der Apotheker, hinterm HV-Tisch eingebaut. Ich hab mich dann dahin gesetzt, dem eine halbe Stunde zugeschaut und ihn dann gefragt: „Was war das denn jetzt?“ Da sagt er, dass er an dem Tag immer seine Homöopathie-Sprechstunde hat. Da kommen die Leute aus halb Deutschland und kaufen das Wasser, das er für einen Euro einkauft und für zig Euro wieder verkauft. Das ist Verkauf und hängt an dem Typen, das ist nicht digital. Also wenn ich die kleine Apotheke retten will, dann muss ich auf Gesicht, Mimik, den Menschen setzen. Nicht auf die austauschbaren Dinge. Wenn du deine ganze Apotheke virtualisierst, dann trägst du dazu bei, dass sie austauschbar wird. Ich gehe lieber in eine Apotheke, wo einer sitzt und mir zuhört. Aber das meine ich damit, dass sich die Trends aufsplitten. Was soll ich in einer komplett virtuellen Apotheke am Band stehen? Da kann ich auch gleich von zuhause aus bestellen, das ist eh bequemer.
ADHOC: Kann man als Innenarchitekt erkennen, wie die Apotheker versuchen, mit der Online-Konkurrenz umzugehen?
BATHKE: Viele Apotheker haben natürlich zurecht Angst. Aber viele von denen versuchen, dieser Konkurrenz mit mehr Virtualisierung im physischen Raum zu begegnen. Das ist meiner Meinung nach der falsche Weg. Ich denke, dass es der richtige Weg ist, den Kunden Glücksräume zu schaffen, in denen sie sich wohl fühlen, in denen Endorphine ausgeschüttet werden, in denen sie zum Lächeln gebracht werden und sich nicht mit Technik beschäftigen müssen. Das ist eine Chance. Sicher muss man große Räume haben, das ist auch ein Trend. Du musst eine Bühne schaffen, auf der sich der Kunde wohl fühlt, die authentisch ist. Das ist auch eine Frage von Materialien. Nimmt man abweisende oder offene Materialien? Man muss den Kunden auch Zeit geben, was natürlich im stressigen Alltag schwierig ist, weil schon die nächsten warten. Du darfst sie aber nicht warten lassen. Das hat wieder etwas mit Raumkurven zu tun. Du brauchst gutes Personal, das lächeln kann – all das, was das Netz nicht bieten kann.
ADHOC: Gibt es da oft Beratungsbedarf bei Apothekern, denen man das erst einmal klarmachen muss?
BATHKE: Dadurch, dass Apotheken inhabergeführt sind, sind die Apotheker sehr gut informiert. Apotheker wissen eigentlich Bescheid, die kennen die Bedrohungen und haben permanent Kontakt mit der Straße. Also wer sieht schon durch, wenn nicht die Apotheker selbst? Wir, die wir schon 400 Apotheker betreut haben, sehen vielleicht besser das größere Bild. Aber die Frage bleibt trotzdem, ob an dem jeweiligen Standort der persönliche Kontext funktioniert. Man muss sich wirklich auf den Kontext vor Ort einstellen.
ADHOC: Und was sind da die entscheidenden Parameter?
BATHKE: Was für Leute kommen dahin? Welche Mischung? Wie alt ist die Apotheke? Welchen Namen hat sie? Es gibt immer irgendeinen Punkt, an dem Identifikation hergestellt werden kann. Es gab schon Dorf-Apotheken, da haben wir nur Bilder von früher reingehängt. „Geh mal ins Heimatmuseum und hol die Bilder, wir rahmen die“, haben wir dem Apotheker gesagt. Dann kamen die Leute rein und waren erstaunt. „Schau mal, das sah ja dort früher ganz anders aus!“ Und zack, hast du sie beim Punkt Identität.
ADHOC: Ist die klassische alte Apotheke mit holzvertäfelten Regalen und Wänden überkommen?
BATHKE: Nein! Die klassische alte Apotheke wird geliebt. Nicht umsonst gibt es in Kreuzberg eine Kneipe, die „Alte Apotheke“ – wunderschön! Da gehen die Leute hin, weil das als ästhetisch empfunden wird. Du gehst da rein und fängst an zu lächeln. Schönheit ist übrigens auch ein Begriff, der sehr kontextabhängig ist. Wenn wir es schaffen, mit der Kategorie Schönheit zu arbeiten, also mit als schön empfundenen Proportionen beispielsweise, dann haben wir schon die halbe Miete. Wir spielen auch mit dem Image der alten, schönen Apotheke. Das kann man auch gut kombinieren. Beispielsweise haben wir die 200 Jahre alte Schiller-Apotheke in Leipzig abgebaut und in Berlin in eine nagelneue Apotheke hineingebaut – das ist wie Disneyland: Holzdecke, Kronleuchter rein. Der kulturelle Kontext, die vertrauten Sehgewohnheiten sind wichtig.
ADHOC: Wenn ich eine alte, kleine Offzin mit 30 Quadratmetern habe, wie kann ich die modernisieren, um den Muff herauszukriegen?
BATHKE: Das ist die falsche Formulierung. Ich mag den Muff. Das Wort ist zwar negativ besetzt, aber es drückt in dem Kontext eigentlich etwas Positives aus – deshalb muss ich es erhöhen. Was mache ich also? Rote Vorhänge, Kronleuchter, Gold, Brokat, ich mache ein Theaterstück daraus und nenne es „Die Alte Apotheke“. Ich fange an, damit zu spielen, baue eine Brauereianlage ins Schaufenster oder mache ein Jules-Verne-Nautilus-Thema daraus. Man muss dieses schöne Alte durch eine Überhöhung zu nutzen wissen. Den Begriff der Moderne stelle ich infrage. Es geht vielmehr um Identifikation und Freude. Gehe ich dahin, weil ich zufrieden bin und weil es mich froh macht? Der alten Apotheke glaube ich mehr als der virtuellen. Denn das Virtuelle finde ich auch im Netz.
Um alte Werte in der neuen digitalen Welt geht es auch bei VISION.A, der Digitalkonferenz von APOTHEKE ADHOC. Florian Kaps, von Hause aus Biologe, ist glühender Fan analoger Fotografie und hat es geschafft, das Überleben dieses vermeintlichen Anachronismus im digitalen Zeitalter zu sichern. Gemeinsam mit Freunden rettete die letzte Fabrik für Polaroid-Filme vor dem Untergang und ihm gelang ein nahezu unmöglicher unternehmerischer Erfolg: Seit 2010 wird das klassische Filmmaterial für Sofortbilder wieder hergestellt und weltweit vertrieben. Bei VISION.A, der Digitalkonferenz von APOTHEKE ADHOC, wird er zeigen, wie man das Analoge für die digitale Welt fit und wertvoll macht. Am 20. und 21. März trifft sich in Berlin das Who is who der Branche. Nur noch heute gibt es Tickets zum Frühbucherpreis.