Apotheken-Architekt: Eine homöopathische Dosis Ironie Tobias Lau, 14.04.2019 18:57 Uhr
Jörn Bathke baut seit mehr als 20 Jahren Apotheken, mehr als 400 sind es bereits im gesamten Bundesgebiet. Im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC erklärt er die Rolle der Ironie bei der Inneneinrichtung und wie Inhaber das richtige Thema für ihre Apotheke finden.
ADHOC: Wie viel Kunst steckt in Apothekenarchitektur?
BATHKE: Eine Menge, wir bauen ein Bühnenbild, das eine Geschichte erzählen muss, ohne der Lüge überführt zu werden. Denn
ich gehe davon aus, dass das, woran ich heute glaube, morgen als Lüge entlarvt werden kann.
ADHOC: Und wie umschifft man diese Klippe?
BATHKE: Indem man Distanz und kritischen Abstand bis hin zur Ironie bewahrt und über sich selber lachen kann.
ADHOC: Kann man das architektonisch umsetzen?
BATHKE: Das muss man sogar.
ADHOC: Und wie?
BATHKE: Mit einer ironischen Brechung, das geht immer. Wir leben in einer Zeit, in der man sich immer eine Hintertür offen halten muss. Beispiel: Ich habe in Leipzig eine Apotheke in einem Plattenbauviertel gebaut. Für mich ist der Plattenbau die Geschichte einer Beton-Orgie – und dann habe ich da einen Wald hereingebaut aus lauter Birkenstämmen, dazu eine Waldhütte, an der ein Hirschgeweih ist, alles in grün, mit Blättern und Borke und so weiter. Aber das Hirschgeweih ist aus Plüsch und an der Wand hängt ein Gewehr, ebenfalls aus Plüsch. Das ist erstens eine ironische Brechung, es hat zweitens eine übergeordnete Geschichte und die ist, drittens, keine Verkaufsgeschichte, sie ist nicht kommerziell. Damit wird es spielerisch, man freut sich, wenn man rein kommt. Der Kunde hat einen kleinen Glücksmoment beim Betreten, weil er nicht mit irgendeinem Verkäufermist konfrontiert wird. Und das ist die große Chance: Die Geschichte herauszufinden, diese zehn Prozent Glauben zu finden, daraus ein Rezept zu entwickeln und das dann mit einem Hauch Ironie umzusetzen.
ADHOC: Wie läuft dieser Prozess ab? Kommt der Apotheker mit einer Idee für ein Konzept zu Ihnen oder müssen Sie erst herausfinden, was passen könnte?
BATHKE: Kontext, immer der Kontext. Das kann der Ort sein, das kann der Name sein, das kann ein persönlicher Spleen des Apothekers sein, das kann sein Hund sein. Es gibt immer einen Kontext, und zwar jenseits des Kommerzes. Oder der Apotheker sagt direkt: „Mein Thema ist der Kommerz. Kaufhaus-Soundso-Apotheke, ich will: verkaufen, verkaufen, verkaufen.“ Da spielt der Name überhaupt keine Rolle mehr, da heißt das Ding eben Mega-Apotheke oder so…
ADHOC: … bei der hat das ja nicht so gut geklappt…
BATHKE: … was aber an vielen anderen Faktoren lag. Aber wie gesagt, für mich ist es die Geschichte. Wenn man die rauskriegt, kann man dazu ein Bühnenbild bauen. Und das bitte mit einer homöopathischen Dosis Ironie, aber ohne Pathos. Pathos ist Mist.
ADHOC: Welche Möglichkeiten gibt es, diese ironische Brechung innenarchitektonisch zu erzeugen?
BATHKE: Man kann die mit Bildern erzeugen, mit austauschbaren Gegenständen. Man stellt zum Beispiel ein Möbelstück in eine bestimmte Ecke und schon wirkt der ganze Raum anders. Ich glaube, wenn die Geschichte zu eindimensional ist, dann ist man nach einer bestimmten Zeit satt. Und dann gibt es ja noch eine ökologische Verantwortung. Das ganze Gerümpel, das da für mehrere hunderttausende Euro rein gebaut werden wird, ist aus Kunststoff, PVC. Zeug, das in 30.000 Jahren erst verrottet, sollte vielleicht mehr als zehn Jahre halten und aktuell bleiben. Das ist die ethische Komponente, die ist auch Teil des Kontextes.
ADHOC: Also langlebig?
BATHKE: Wenn ich dir einen Raum verkaufe, in dem du dich wohl fühlst, in dem der Kunde sich wohl fühlt und in dem sich auch die Produkte, also der Großhandel, wohl fühlt, dann muss das auch Jahrzehnte halten. Und ich glaube, das schafft man mit einer gewissen Lässigkeit, Beweglichkeit und mit Humor, nur nicht zu steif, sonst wird es peinlich. Ich hab auch schon Läden gebaut, bei denen ich nach zehn Jahren die Straßenseite gewechselt habe, wenn ich daran vorbeigelaufen bin.
ADHOC: Wenn ein Apotheker kommt und sagt, er hat eine kleine Kiezapotheke, da wurde das Interieur vor 50 Jahren das letzte Mal modernisiert…
BATHKE: … dann nehmen wir das raus und gucken bei Ebay, ob jemand eine Kneipe daraus machen will. 50 Jahre ist noch nicht wirklich alt. Aber den Begriff der Moderne kann man trotzdem infrage stellen. Im Verkauf geht es eher um Kompetenz, Glaubwürdigkeit, Authentizität, denn ich weiß, ich kriege ein gutes Produkt in der alten, muffigen Apotheke genauso wie im Online-Versand.