Lieferdienste rechnen sich nicht Torsten Bless, 01.06.2017 15:37 Uhr
Wie können sich die Vor-Ort-Apotheken gegen die Konkurrenz von Versandapotheken und Lieferdiensten wie Amazon Prime behaupten? Stefan Holdermann vom Großhändler Kehr Holdermann sagt, dass sich eine Same-day delivery für die Offizin vor Ort nicht rechnet. Die letzte Meile müssten die Kunden selbst zurücklegen. Die Zukunft sieht er in „Click & Collect“.
Bei Amazon Prime Now liefert die Bienen-Apotheke in München Medikamente binnen zwei Stunden an die Kunden. Die Apothekenkooperation Linda hält mit dem Vorbestell- und Lieferkonzept Linda 24/7 dagegen, das Anfang kommenden Jahres an den Start gehen soll. Und der Landesapothekerverband Baden-Württemberg testet digitale Rezeptsammelstellen.
„Das Prinzip 24/7 ist für die Vor-Ort-Apotheken nichts Neues, sie decken eine Rund-um-Verfügbarkeit von Medikamenten und Beratung seit vielen Jahren durch ihre Notdienste ab“, sagt Stefan Holdermann, geschäftsführender Gesellschafter des privaten Großhändlers in Dessau. Nur weil Amazon versuche, sich in dem Markt zu etablieren, seien „hektischer Aktionismus und Unkenrufe auf die stationäre Apotheke“ fehl am Platz.
Digitalisierung heiße nicht, neuen Playern das Spielfeld zu überlassen, sagt Holdermann, der beim Großhandelsverbund Pharma Privat für das Thema zuständig ist. Man brauche keinen Versandhandel, sondern clevere Lösungen für die Vor-Ort-Apotheken. „Die Online-Welt steht dafür, dass ich mich rund um die Uhr und dank der Smartphones mittlerweile auch an jedem Ort über die Verfügbarkeit von Waren informieren und sie auch bestellen kann.“
Laut Holdermann kommen zwei Modelle in Frage: „Click & Collect“ und „Same Day Delivery“. Während bei der ersten Variante der Kunde selbst in die Apotheke komme, werde ihm die Ware beim zweiten Konzept zugestellt. „Beides sind sehr anspruchsvolle Themen, die bisher im Markt nicht als relevant gesehen wurden.“ Das könne sich in Zukunft ändern.
Beiden Modellen sei gemein, dass man eine Balance finden müsse zwischen Zeit, Preis und Verfügbarkeit. Damit die Apotheke wirtschaftlich arbeiten kann, muss der Kunde die letzte Meile zur Apotheke aus seiner Sicht selbst zurücklegen.
„Same Day Delivery“, also eine Belieferung am selben Tag nach Hause, werde sich für die Offizin vor Ort nie rechnen. „Nur Amazon hat im Moment die Systeme, um einen günstigen Preis, höchste Verfügbarkeit und eine schnelle Lieferzeit von zwei Stunden zu garantieren“, sagt Holdermann. „An Preis und Verfügbarkeit kann ich als lokale Apotheke in Zusammenwirken mit meinem Großhändler drehen. Aber die Belieferung verursacht so hohe Kosten, dass ich so einen Dienst nur anbieten kann, wenn ich ein hohes Defizit in Kauf nehme.“
„Click & Collect“ hält Holdermann dagegen für eine sinnvolle Ergänzung. „Das ist eine Verlängerung der Frei- und Sichtwahl ins Internet. Der Kunde schaut sich im Netz um, bestellt ein Produkt und holt es sich dann vor Ort ab.“ Wer als Apotheker wirtschaftlich denken müsse, könne nur ein begrenztes Sortiment vorrätig halten. „Doch wenn er den E-Shop von Pharma Privat auf seiner Homepage integriert hat, beliefert ihn ein angeschlossener Großhandel schnell mit der gewünschten Ware. E-Shops von anderen Anbietern bilden mit etwa 1500 Artikeln nur das Kernsortiment einer Apotheke ab. Wir dagegen haben 45.000 Produkte verfügbar. So kann die Vor-Ort-Apotheke mit dem umfassenden Angebot eines Versandhändlers mithalten.“
Verstärkt hinzugekommen sei der schnelle Informationsaustausch über die sozialen Medien: „Wenn ein Freund auf Facebook ein bestimmtes Mittel gegen Mückenstiche empfiehlt, verbreitet sich die Kunde schnell über die Smartphones.“ Da gelte es, die Internetpräsenz auszubauen. „Hier muss ich Informationen über die Apotheke selbst und ihre Angebote erhalten, aber auch sehen, ob die gewünschte Ware verfügbar ist“, sagt Holdermann.
Die Vor-Ort-Apotheke könne gegen dem Versandhandel nur kontern, wenn sie off- wie online gleichermaßen Präsenz zeige. Ein Pluspunkt sei die Beratung, die kein Videochat ersetzen könne. „Dabei ist die persönliche Ansprache auf dem Land noch viel wichtiger als in den Städten, wo es vor allem um Verfügbarkeit der Medikamente geht“, meint Holdermann. Zudem müssten die verschiedensten Informationsbedürfnisse abgedeckt werden. „Die junge Mutter hat andere Anforderungen als ein Typ-1-Diabetiker.“
Nicht überall ist Click & Collect vom großen Erfolg gekrönt: Zum 30. Juni stellt der Österreichische Apothekerverband sein Internetportal Apodirekt nach knapp drei Jahren wegen Erfolglosigkeit ein. Das Modell funktioniere nur regional, meint auch Holdermann. „Es kann nur eine Ergänzung des Angebots einer Vor-Ort-Apotheke sein, so wie die Blutzuckermessung oder der Verleih von Milchpumpen. Das System muss einfach und günstig sein und neben dem normalen Betrieb mitlaufen können. So ein System liefern wir mit dem E-Shop, sie ist auch fester Leistungsbaustein in unserer neuen Apothekenkooperation Wave.“
Click & Collect eigne sich bisher nur für OTC-Produkte. „Bei rezeptpflichtiger Ware gibt es unterschiedliche Rabattverträge, Lieferquoten oder -konditionen zu beachten“, so Holdermann. Es gebe die Möglichkeit, seine Rezepte über ein Foto zu schicken. Viele Apotheken bieten einen entsprechenden Whatsapp-Service bereits an. „Aber da bekommen wir große Probleme mit dem Datenschutz.“
Mit der zunehmenden Digitalisierung werde auch der Anspruch der Kunden an die Vor-Ort-Apotheken weiter zunehmen, sagt Holdermann. „Die Digital Natives werden verstärkt auch Onlineberatung in Anspruch nehmen wollen – ein spannendes Thema.“