Apotheke nicht barrierefrei: So gelingt der Verkauf trotzdem Carolin Ciulli, 19.05.2022 10:41 Uhr
Apotheken sollen für jedermann erreichbar sein – so will es der Gesetzgeber. Eine Stufe, die von der Straße in den Verkaufsraum führt, steht zunächst im Konflikt mit der Vorgabe der Barrierefreiheit und wird oft nur geduldet, wenn Bestandsschutz besteht. Doch was passiert bei einem Verkauf? „Die Verwaltungsbehörden überprüfen, ob es im Einzelfall gewichtige Argumente geben kann, von dieser Vorgabe auch bei Übernahme der Apotheke weiterhin Ausnahmen zu machen. Es gibt einen allerdings gegenüber zuvor eingeschränkteren Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörden“, sagt Klaus Laskowski, Justiziar und stellvertretender Geschäftsführer der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK).
Vor zehn Jahren wurde in die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) eingefügt: Die Offizin solle barrierefrei erreichbar sein, heißt es bezogen auf Beschaffenheit, Größe und Einrichtung der Apothekenbetriebsräume. Apotheken mit einer Stufe zum Verkaufsraum mussten meist umrüsten. Doch gerade in historischen Häusern und verwinkelten Orten war für manche Inhaber:innen der Anbau einer Rampe nicht möglich. Eine Klingel musste eingebaut werden, um die Kundschaft unter Umständen auch draußen versorgen zu können. Die betroffenen Betriebe konnten sich auf den Bestandsschutz berufen, weil ihnen zuvor für diese Räumlichkeiten eine Apothekenbetriebserlaubnis erteilt worden war.
Wer jetzt jedoch seine Apotheke verkaufen möchte, kann vor neuen Problemen stehen. „Bei einer Veräußerung einer solchen Apotheke muss eine Güterabwägung von der verantwortlichen Behörde vorgenommen werden“, sagt Laskowski. Dabei könnten auch berechtigte Interessen der Inhaber:in weiterhin Berücksichtigung finden, etwa wenn eine Rampe baulich nicht möglich sei oder aus Denkmalschutzgründen nicht nachgerüstet werden könne, aber überzeugende alternative Verfahren zur Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen zum Tragen kommen. „Denn jemand, der die Apotheke neu übernimmt, kann sich grundsätzlich nicht mehr auf den Bestandsschutz des Vorgängers beziehen.“
Alternative Lösungen
Betroffenen Inhaber:innen sollten sich, sobald das Thema Verkauf im Raum stehe, mit den Behörden in Verbindung setzen. „Am besten, man erörtert zuerst in einem persönlichen Gespräch, was für Schritte sinnvoll und möglich wären“, rät er. Wenn gute Argumente auf den Tisch gelegt würden, gebe es für die Behörden manchmal noch einen Spielraum, auch den Weiterbetrieb mit alternativen Verfahren zur Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen zu gestatten. Denkbar sei, dass wenn ein barrierefreier Zugang per fest montierter Rampe nicht möglich sei, aber mit einer Klingel und mobilen Rampe gearbeitet werden könne. Auch könne man prüfen, ob zum Beispiel durch Verlegung des Eingangs oder Schaffung eines weiteren, nur bei Bedarf zu öffnenden Zugangs das Problem gelöst werden kann. Bei Bedarf könne dabei im Anschluss an das Gespräch etwa mit einem Gutachten durch einen Sachverständigen der eigene Vortrag untermauert und die Entscheidung der Behörde erleichtert werden.
Der OHG-Trick
Eine zu prüfende Option sei auch die Gründung einer OHG mit dem oder der späteren Nachfolger:in. Dadurch erhalte die neue Geschäftspartner:in die Betriebserlaubnis und erwerbe gleichzeitig eigenen Bestandsschutz. Scheidet eine Gesellschafter:in später aus, könne die verbleibende die Apotheke dann meist zu den bisherigen Konditionen weiter führen. „Das ist keine 100-prozentige Sicherheit, wenn man aber verständnisvolle Aufsichtsbehörden hat, ist das ein auch juristisch gut vertretbares Argument“, sagt Laskowski. Generell hätten Inhaber:innen dadurch eine bessere Rechtsposition bei der vorzunehmenden Güterabwägung, da es dann um die potenzielle Beschneidung einer bereits bestehenden Rechtsposition gehe.
Arzt-Debatte zählt vor Gericht wenig
Denn tatsächlich gebe es bei einer „Soll-Vorschrift“ zunächst „überwiegende Interessen“, die Barrierefreiheit bei neu zu erteilenden Betriebserlaubnissen einzufordern, die es individuell zu entkräften gelte. Denn die Belange von Menschen mit Behinderung seien ein wichtiges Gut. Der Verweis auf eine fehlende Regelung zur Barrierefreiheit bei Arztpraxen ist dabei kein stichhaltiges Argument: „Natürlich geht es um Gerechtigkeit und ein barrierefreier Zugang ist bei Ärzten genauso wichtig“, stellt Laskowski klar, aber der Gesetzgeber habe dort bislang keine vergleichbaren Vorgaben gemacht. Dies könne bei der Argumentation mit der entscheidenden Behörde vorgebracht werden. „Aber vor Gericht hilft das nur bedingt. Es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung bei ungleichen Sachverhalten.“
„Brechstange“ zu Hause lassen
Inhaber:innen, die das Argument ihrer Altersvorsorge vorbringen, wenn sie eine Apotheke mit Bestandsschutz verkaufen wollen, müssten sich bewusst sein, dass sie unter Umständen ihre gesamte Vermögenssituation offen legen müssten. „Es gibt kaum mehr Inhaber:innen, die keine Altersvorsorge über die Apothekerversorgung haben.“ Generell rät der Jurist bei dem Thema: „Je mehr ich anfangs mit der Brechstange komme, desto schwieriger wird es – gerade wenn meine Rechtsposition auf eher wackeligen Füßen steht.“ Seiner Erfahrung nach gibt es jedoch oft auch eine individuelle, die Belange behinderter Menschen berücksichtigende und zugleich für die Inhaber:innen positive Lösung.