Apotheke gekauft, Arztpraxis verloren Torsten Bless, 10.08.2018 14:56 Uhr
Die Übernahme einer Apotheke im Nachbardorf schien für eine Pharmazeutenfamilie in Rheinland-Pfalz eine große Chance. Doch unverhofft wird bald die einzige Arztpraxis am Ort dicht machen. Niklas Schellenberger und sein Vater Gernot wollen nicht klein beigeben.
Nur durch Zufall habe man erfahren, dass die Nahe-Apotheke in der Nachbargemeinde zum Kauf stand, erzählt Niklas Schellenberger. „Ihr Besitzer hat mit gerade mal 42 Jahren aus persönlichen Gründen Schluss gemacht, mehr wissen wir auch nicht. Seine Entscheidung ist relativ kurzfristig gefallen. Wenn wir nicht eingesprungen wären, hätte die Apotheke ganz schließen müssen.“ Das wäre für den 3000-Einwohner-Ort ein fataler Einschnitt gewesen. „Sie versorgt auch die umliegenden kleineren Gemeinden wie Rümmelsheim und Dorsheim, die nächsten Apotheken gäbe es erst wieder in Büdesheim oder Bingerbrück.“
Schellenberger hatte seine Approbation gerade frisch in der Tasche. Seit dem 1. Januar arbeitete er im Betrieb seines Vaters, der Büdesheimer Apotheke am Römer. „Die Übernahme schien eine große Chance.“ Die Neuerwerbung sollte zur Filiale werden, Sohn Niklas ihre Leitung übernehmen. Doch die Unterschriften unter dem Kaufvertrag waren kaum getrocknet, da erreichte die Schellenbergers eine Hiobsbotschaft.
„Zum 31. August wird der einzige noch verbliebene Allgemeinarzt mit gerade mal 48 Jahren ebenfalls aus persönlichen Gründen aufhören. Die Praxis ist hier eine Institution, vor Dr. Jochen Drees haben schon sein Vater und sein Großvater hier gearbeitet.“ Alle Versuche der Gemeinde, einen Nachfolger zu finden, seien bislang ins Leere gelaufen. Die Büdesheimer Pharmazeuten seien erst versucht gewesen, die Übernahme wieder rückgängig zu machen, räumt der jüngere Schellenberger ein. „Doch dann haben wir uns gesagt, wir versuchen es trotzdem.“
Man liege an der Hauptstraße, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt, es gebe genug Parkplätze direkt hinter dem Haus. „Die Leute sind entsetzt, dass die Arztpraxis schließt, aber froh, dass die Apotheke weiter Bestand hat. Wir hoffen daher, dass die Patienten bei uns weiter ihre Rezepte einlösen, auch wenn sie zu einem auswärtigen Arzt gehen.“ Doch noch gebe man die Hoffnung nicht auf, dass ein neuer Allgemeinarzt gefunden werden könne.
Derweil mache man sich an einige Veränderungen. „In der Warenwirtschaft gibt es dringenden Handlungsbedarf, das konnten wir schon am Wert des Lagers erkennen“, sagt Schellenberger. „Viele Medikamente müssen erst bestellt werden.“ Zudem sei die vom Vorgänger übernommene Personaldecke denkbar dünn gewesen. „Er hatte eine Angestellte, eine PKA, sie haben wir übernommen“, berichtet der neue Apothekenleiter. „Eine PTA oder einen weiteren Pharmazeuten gab es nicht, Herr Jansen stand ganz allein in der Offizin. Das wollen wir ändern, damit die Leute schnell bedient werden können und nicht mehr so lange warten müssen. Wir versuchen, ständig eine zweite Person in der Offizin zu haben.“ Die Hauptapotheke leide mit 15 Teammitgliedern nicht unter Personalsorgen. „Notfalls können wir Mitarbeiter verschieben. Doch das soll keine Dauerlösung werden.“
Einstweilen muss Schellenberger noch ein wenig die Zähne zusammenbeißen. Nicht nur wegen der Präsenzpflicht ist er gefordert, auch die Notdienste muss er übernehmen. „Wir haben hier im Kreis einen Elf-Tage-Zyklus, den wir uns mit den anderen Apotheken teilen. Das heißt, ich bin an jedem fünften bis sechsten Tag dran, genau so wie mein Vater in der Hauptapotheke. Wir unterstützen einander, so gut es geht.“
Große Illusionen mache er sich nicht, sagt die junge Führungskraft. „Die rosigen Zeiten sind vorbei.“ Doch so schnell aufzugeben komme für ihn schon aufgrund seiner Heimatverbundenheit nicht infrage. „Ich bin in Büdesheim geboren und aufgewachsen“, erzählt Schellenberger. „Ich kenne auch die Leute hier, mit Kindern aus Münster-Sarmsheim bin ich gemeinsam in Bingen zur Schule gegangen. Nur im Studium habe ich hier nicht gewohnt, bin aber fast jedes Wochenende heimgefahren.“
Familiäre Verpflichtungen werden ihn auch auf lange Zukunft in der Region halten: „Mein Vater ist gerade 60 geworden, er will auf absehbare Zeit in Rente“, sagt Schellenberger Junior. „Ich werde dann nach Büdesheim gehen. Die Übernahme bereiten wir schon langsam vor.“ Dann werde ein neuer Filialleiter für die Nahe-Apotheke gesucht. Doch erst gelte es, die anstrengende Neuaufbauphase zu meistern. Das Privatleben leide gottlob nicht gar so sehr. „Meine Freundin ist momentan in den USA, deshalb passt das gerade ganz gut“, sagt Schellenberger. „Sie kommt Ende September wieder, bis dahin wollen wir alles geregelt haben.“