ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick

Wie das E-Rezept nach Venlo kam Alexander Müller, 06.11.2021 08:01 Uhr

Montage: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Das E-Rezept ist ein geheimnisvolles Wesen. Es wird verordnet, es wird angenommen, eingelesen, es wird sogar „bedient“. Es wird aus dem System gelöscht und dennoch abgerechnet – und trotzdem ward es nie gesehen. Unerschütterlich steht die Prophezeiung: Wenn das Jahr stirbt, erstrahlt das E-Rezept und wird alle Welt mit Arzneimittel versorgen. Bis es so weit ist, kommen die Medikamente aus Holland.

Zufälle gibt es: Gerade als die Shop Apotheke ihren Aktionären mitteilen muss, dass die ersten neun Monate des Jahres nicht gerade goldig waren, kam die Erlösung. Der Versender konnte die langersehnte Botschaft in die Börsenlandschaft rufen und verkünden: Das erste E-Rezept ist da! Land in Sicht! Wahrlich, wahrlich, uns ist heute ein QR-Code erschienen!

Selbst geografisch Unbeleckte fragen sich, wie das niederländische Venlo der Fokusregion Berlin-Brandenburg zuzuordnen ist, auf die sich die Testphase des E-Rezept länger als geplant beschränkt. Fokussiert, könnte man sagen. Dass die Interessen der Versender bei der Digitalisierung von den politisch Verantwortlichen nicht vollkommen hintenangestellt wurden, überrascht dabei nicht unbedingt. Faszinierender ist eher, dass die Shop Apotheke nicht ein, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, sondern bereits fünf E-Rezepte aus BER erhalten haben will.

Wir stellen uns das so vor: In Venlo blickt man auf die eigenen Zahlen, dann in das Hochregallager mit den Rx-Packungen, dann auf den Börsenkurs, dann in den gähnend leeren E-Rezept-Posteingang und wieder auf die eigenen Zahlen. Weil offenbar irgendwas hakt, wird ein eigener Mitarbeiter in die Berliner Test-Praxis geschickt und bittet um ein Rezept. Dem Arzt ist es egal, er verordnet.

Der Test-Patient will jetzt shoppen gehen, aber die Übermittlung des E-Rezepts klappt nicht. Er druckt es aus, will den QR-Code abfotografieren, traut sich dann aber nicht, ihn über WhatsApp nach Venlo zu schicken. Also reitet er los, tauscht alle 100 Kilometer das Pferd und erreicht den Hof mit Müh und Not, in seinen Händen hält er den Code. An der Pforte reicht er das E-Rezept mit letzter Kraft dem diensthabenden Apotheker. Der rennt mit flatterndem Kittel durchs Lager, scannt, kommissioniert und drückt den Buzzer!

Im Paralleluniversum beim Konnektathon der Gematik zeigt sich derweil, dass der Begriff „ready“ ein dehnbarer ist. Ready kann „fertig“ sein, auch mit den Nerven, ready kann „bereit“ sein, vielleicht im Sinne von „gewillt“. Und auch wenn jetzt tatsächlich in Berlin und Brandenburg „echte Patienten“ versorgt werden, fragten wir uns doch gegenseitig im Podcast, warum nur so intransparent kommuniziert wird?

Die Ärzte bauen jedenfalls vor und bestimmen für sich, dass bis in den Sommer hinein das rosa Rezept in Ordnung ist. Das stand zwar auch schon vorher so im Gesetz, aber sicher ist sicher. Beim Ärztetag haben die Kolleg:innen dagegen reichlich danebengelangt, als sie ihr Dispensierecht im Notdienst mit der Flutkatastrophe erstreiten wollten. Nur weil jetzt immer mehr Menschen finden, dass eine Beteiligung der Apotheken bei der Impfkampagne helfen könnte.

Denn dass die Corona-Zahlen durch die Decke gehen, bemerkt auch ein geschäftsführender Minister. Also Impfzentren wieder auf, Bürgertests wieder kostenlos und Booster für alle. Eine gewisse Sprunghaftigkeit kennen wir ja schon von einem Mann, dessen Ressort 80 Prozent der privat an Ministerien gespendeten Gelder eingestrichen hat.

Aber Spahn hat noch einen guten Ratschlag für seinen Nachfolger: Mit der Digitalisierung klappt es nicht, wenn ein anderes Thema dazwischenkommt. C_R_NA. Ich kaufe ein O. Schönes Wochenende!