„Wir sind die Regel-Apotheker!“ Alexander Müller, 07.12.2019 07:45 Uhr
Sie stehen zu Zehntausenden vor dem Bundestag. Eine weiße Masse, ein stiller Protest. Sie schweigen und doch ist ihre Botschaft laut und unmissverständlich: Wir sind die Regel-Apotheker. Macht euch nur lustig, wir versorgen solange die Patienten. Und weil sie das tun, sieht sie niemand vor dem Reichstag stehen.
Worte können verletzen, auch wenn sie nicht böse gemeint sind. Wenn zum Beispiel Michael Hennrich, der den Apothekern eigentlich immer wohlgesonnen war und in der CDU für Arzneimittel zuständig ist, also Ansprechpartner in der Partei, die den Apothekern auch nicht grundsätzlich feindlich gegenübersteht, wenn also dieser Michael Hennrich einen Satz sagt wie: „Der Regel-Apotheker lebt in der alten Welt.“
Die Alte Welt. Das war einmal Europa. Aber das kann hier nicht gemeint sein, denn auch Apotheken, die nach solcher Anschauung wohl schon in der neuen Welt leben, sind auf dem Kontinent zu finden – wenn auch knapp außerhalb aufsichtsrechtlicher Hörweite. Alt meint heute meist analog, haptisch, unbeplattformt. Hennrich meinte aber wohl die Fixierung auf die Packung, die Logistik. Stattdessen sollten die Apotheker sich auf ihre Empathie konzentrieren, denn die habe der Versand nicht. Eigentlich ein schönes Kompliment, aber leider kein besonders hilfreicher Vorschlag in der derzeitigen Gemengelage.
Und „Regel-Apotheker“? Was soll diese windschiefe Formulierung eigentlich bedeuten? Ist das nach typischer und Durchschnitts-Apotheke jetzt der neue Mittelwert? Oder sind Apotheker gemeint, die sich an Regeln halten? An die Arzneimittelverordnung zum Beispiel (Ausnahmen ausgenommen, aber die backen eher kleine Brötchen). Oder an den Kontrahierungszwang.
Wenn man sehr regelmäßig alle zehn Nächte durchwacht und mit halbkranken Menschen über 2,50 Euro diskutiert, ist man dann schon Regel-Apotheker? Und reicht wenigstens die ausufernde Beratung zur Abgabe der Pille danach um Mitternacht aus, damit man wenigstens ein bisschen zur Neuen Welt zählen darf, in der Frauen zwar selbstbestimmt Notfallkontrazeptiva kaufen dürfen, aber davor bewahrt werden, diese #wiesmarties einzuwerfen?
Wie gesagt, Herr Hennrich meint es bestimmt nicht böse. Aber den Apothekern empathisches Grippeimpfen zu empfehlen, um sich selbst vor den Folgen eines von der Politik noch immer nicht geregelten Versandhandels zu schützen, das ist schon etwas zynisch. Ein Regel-Politiker oder Regel-Minister hätte nämlich nach dem EuGH-Urteil im Jahr 2016 die Sache mit der Ungleichbehandlung regeln können. Und wem ein Rx-Versandverbot dabei zu sehr nach alter Welt riecht (wobei Umsetzen des Koalitionsvertrags streng genommen auch eine ziemlich einfache Regel ist), der hätte ja eine innovative Lösung anbieten können. Das Thema Gleichpreisigkeit nochmal ganz neu denken, oder so. Von mir aus auch digital.
Stattdessen müssen Apotheker demnächst jedem Kunden einen Bon mitgeben – und zwar, kein Scherz, auch bei 0 Euro Zuzahlung. Die Innovationskraft der Branche entlädt sich also nebenher in Papiermülleimern für die Bons. Entwarnung: Die Zettel dürfen ins Altpapier. Yppie! Zweite Entwarnung (mit Haken): Es werden weniger Bons, weil die E-Rezepte demnächst direkt von Kry zu DocMorris gehen. Empathielos, aber voll vergütet. Auf der Website des Versenders sind die Tele-Ärzte schon zu finden. Und wenn der Bundesgerichtshof (BGH) dann noch die „Grundsatzfrage“ (!) klärt, ob die Versandapotheke und ihre Kunden gemeinschaftlich die Krankenversicherung bescheißen dürfen, ist wieder ein Stück alte Welt mit zu vielen Regeln abgetragen.
Schauen wir auf die pharmazeutische Seite des Berufsalltags, sieht es leider nicht viel besser aus: NDMA jetzt auch in Metformin und eine Ginkgo-Klage wegen Tebonin. Außerdem drohen wegen der Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel jetzt wieder Lieferengpässe bei Cannabis.
Hierzu hat vdek-Chefin Ulrike Elsner eine wirklich pfiffige Lösung vorgeschlagen: Die Kunden sollen nach Erhalt des E-Rezepts online abfragen können, welche Apotheke das Arzneimittel vorrätig hat. Schnell gecheckt: keine. Problem gelöst. Weg gespart und die Zuzahlung auch. Mit der DSGVO brauchen die Apotheker den Kassen an der Stelle übrigens nicht zu kommen: Arzneimittel, die einem nur gehören, die man aber nicht einnimmt, sind keine Träger sensibler Gesundheitsdaten.
Nein, Apotheker können sich nicht schützen. Nur andere. Vor einer Grippe. Was die Krankenkassen wohl bereit sind, dafür zu bezahlen? Ob sich das lohnt, selbst wenn man den Wegfall der Begleitmedikation einer veritablen Grippewelle altruistisch hinnimmt? Die Apotheker werden hart verhandeln müssen, um in der neuen Welt atmen zu können. Nur tun Sie sich einen Gefallen: Diskutieren Sie nicht mit Impfgegnern! Alu-Hut auf und ab ins Wochenende!