Apothekerin Hannelore Winter wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der gefühlt 400. Kunde hat soeben ihre Dorfapotheke verlassen. Und es ist gerade erst 10 Uhr morgens. Ein Ende ist nicht in Sicht: Vor der Apotheke steht eine Menschenmasse, die zweimal ein Fußballstadion füllen könnte. Was ist denn plötzlich los?
Früher war es am Samstagmorgen eher ruhig, Winter übernahm den Dienst meist alleine und sperrte um 12:30 Uhr wieder zu. Daran ist heute nicht mehr zu denken. Sie hat mehrere neue Approbierte und PTA eingestellt und die Öffnungszeiten an allen Werktagen auf 6:30 Uhr bis 22 Uhr verlängert (sehr witzig Adexa!). Sie ist ziemlich müde, hält sich aber nicht nur wegen des Kontrahierungszwangs mit der linken Hand am HV-Tisch fest, während sie geduldig zur Einnahme berät: Fünf Packungen Ozempic auf einmal sind definitiv zu viel.
Aber was ist geschehen? Bei APOTHEKE ADHOC hat Winter gelesen, dass Zur Rose im vergangenen Jahr zwei Millionen Kunden verloren hat. Und, nun ja, sie ist nah an der deutsch-niederländischen Grenze, Heerlen ist nicht weit, offenbar sind die DocMorris-Kunden jetzt einfach ALLE bei mir. Rx-Boni hat sie zwar wie Marihuana in ihrem Leben noch nie probiert, aber offenbar scheint es den Kund:innen zu reichen, dass sie erreichbar und zugewandt ist, zu Nebenwirkungen berät und den Botendienst nicht erst nach ein paar Tagen losschickt.
Zwei Millionen Kunden sind für die Dorfapotheke allerdings eine Herausforderung. Die Noweda (neue Kampagne!) kommt inzwischen fünfmal täglich mit 3,5-Tonnern und liefert Nachschub, zum Glück wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Engpässe demnächst für beendet erklären, auch wenn die Opposition aus bequemer Position mehr Freiräume für Apotheken fordert. Vielleicht hat die Regierung sogar Glück und die Infektionswelle ebbt so pünktlich ab, dass sich die Festbetragskorrelation als Kausalität verkaufen lässt.
Ob das Problem langfristig angegangen wird? Die AOK startet im Juni ihre nächste Rabattvertragsrunde mit Exklusivpartnern und beklagt, dass die Gerichte alle Versuche blocken, nicht nur den Preis über den Zuschlag entscheiden zu lassen. Apothekerin Hannelore „Sunny“ Winter lässt sich überraschen und hat im Zweifel bei ihren zwei Millionen Neukunden pharmazeutische Bedenken.
Aber wieso lässt DocMorris überhaupt so arg Federn? Pünktlich zu den Zur Rose-Horrorzahlen kam doch die frohe Botschaft, dass inzwischen eine Million E-Rezepte eingelöst wurden. Das klingt viel, wenn man die Zeitachse ausblendet. In der schnöden Wirklichkeit wird noch immer eins von tausend Rezepten digital ausgestellt. Und selbst die Enthusiasten rechnen mit einer Pflicht nicht vor 2024.
Apothekerin Winter blickt der Kundin genervt direkt in die Augen. Hat die gerade wirklich versucht, den EC-Betrag in „0,01 Euro“ zu ändern und erwartet, dass Winter den Abbruch-Bon übersieht? Oder ist die Kundin auf dieser neuen „Zombie-Droge“?
Winter hat keine Zeit, darüber nachzudenken, denn die nächste Kundin braucht DRINGEND ihre Dosis Homöopathie. Die leidenschaftliche Pharmazeutin überlegt, ob sie hier einen Tee anbieten kann, will aber erst bei der Aufsicht nachfragen.
Und um die Rezeptabrechnung muss sie sich auch noch kümmern. Ihr Anbieter entlässt nicht nur ein Fünftel der Belegschaft, sondern hat vielleicht auch sein Scanner-Haus beleihen lassen und trotzdem Abfindungen gekürzt, was ich einigermaßen erbärmlich finde, weil es ausgerechnet Menschen mit Schwerbehinderung trifft.
Beim Spaziergang mit dem Hund am Abend wird Winter den Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN hören, um wieder auf dem Laufenden zu sein. Das sollten alle machen, gibt es auch als Video. Schönes Wochenende!
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