Versorgungsengpass: Apotheke darf nicht schließen Alexander Müller, 28.01.2023 07:46 Uhr
Leicht ist ihr der Schritt nicht gefallen: Nach fast 45 Jahren als Inhaberin wird Waltraud Müller ihre Markt-Apotheke schließen. „Mir tun meine Kunden leid“, sagt die rüstige Pharmazeutin, die mit 71 aber einfach nicht mehr jeden Tag hinter dem HV-Tisch stehen kann. Womit sie zu so später Stunde ihrer Berufstätigkeit nicht mehr gerechnet hat, ist der ablehnende Bescheid ihrer Aufsichtsbehörde.
„Sehr geehrte Frau Müller“, schreibt der Pharmazierat, „Ihrem Antrag auf Rückgabe der Erlaubnis zum Betrieb der Markt-Apotheke in Neustadt zum 31.01.2023 kann nicht stattgegeben werden.“
Wie bitte was? Nicht stattgegeben? Müller hat seit Monaten keine Nachfolger gefunden und wollte schließen. Wozu dafür eine Erlaubnis einholen? Erschüttert liest sie die Begründung.
„Leider mussten wir feststellen, dass in Ihrem Abschnitt C2 des Kammerbezirks keine weitere Betriebsstätte über eine aktive Betriebserlaubnis verfügt. Zur Aufrechterhaltung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist daher der Weiterbetrieb der Markt-Apotheke zwingend erforderlich. Ihnen wird mit diesem Schreiben auferlegt, den Betrieb der Markt-Apotheke bis mindestens 31.12.2025 fortzuführen. Höchstvorsorglich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass eine erneute Beantragung der Rückgabe der Betriebserlaubnis vor diesem Zeitpunkt nur möglich ist, wenn sich an der Versorgungssituation in Abschnitt C2 eine veränderte Ausgangslage eingetreten ist. Die Beurteilung der Versorgungssituation obliegt der Überwachungsbehörde.“
Müller rinnt stumm eine Träne übers Gesicht. Eigentlich wollte sie nach Rügen fahren und einige Zeit an der See verbringen. Aber sie ist pflichtbewusst. Gleich wird sie im Notdienstkalender nachsehen, wann sie das nächste Mal an der Reihe ist und dann ihre Mitarbeiterinnen fragen, ob sie noch drei Jahre mitziehen – oder etwas länger.
Wir können alle Pharmazeut:innen, die ans Aufhören denken, beruhigen: Schließen darf man seine Apotheke immer – auch vor dem Eintritt ins Rentenalter. Die traurige Wahrheit ist, dass von diesem Recht immer mehr Apotheker:innen Gebrauch machen. Wie eine Abfrage von APOTHEKE ADHOC bei den Landesapothekerkammern ergeben hat, war die Zahl der Apothekenschließungen in einem Jahr noch nie so hoch wie 2022. Und seit 2008 ist jede sechste Apotheke verschwunden.
Die 18.000 hat so gerade noch gehalten, wird den Sommer aber wohl nicht mehr erleben. Das ist vor allem deshalb so schade, weil ja tatsächlich immer eine „Frau Müller“ mit ihrem Team und der Geschichte ihrer Apotheke dahinter steht. Und nicht zuletzt die Patient:innen, die hier versorgt werden.
Und was unternimmt die Politik dagegen? Sie verspricht einen Bürokratieabbau, obwohl man im Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Schuld an dem Wust aus Vorschriften bei der Selbstverwaltung sieht, also bei Krankenkassen und Apothekerverband. Dennoch will das Haus von Minister Lauterbach bis Ende September Vorschläge für den Bürokratieabbau erarbeiten. Dafür dürfen die Apotheken schon ab Februar einen höheren Kassenabschlag zahlen. Und für insolvente Reimporteure dürfen die Apotheke auch weiterhin aufkommen. Das ist beides leider keine Satire.
Anderen geht es auch nicht besser: DocMorris bietet teilweise nur noch Vorkasse an. Denn Hacker haben sich Zugangsdaten von Kund:innen verschafft und falsche Bestellungen ausgelöst. 20.000 Konten mussten vorrübergehend gesperrt werden. Dem E-Rezept werden solche Geschichten keinen Auftrieb verleihen, dabei wurde doch in dieser Woche schon enthusiastisch vor dem BMG gefeiert. Weiter mit dem Thema Sicherheit: Securpharm ist – offenbar wegen Microsoft – ausgefallen, wir vermuten stark, dass die Vertriebswege trotzdem sicher waren.
Wenn denn überhaupt Ware da ist. Die Engpässe sind ein europäisches Problem, wie die Abfrage bei den Apothekerverbänden zeigt. Umso fraglicher, ob die Festbetragsfreigabe daran etwas ändern wird. Einzelne Hersteller langen jedenfalls ganz schön zu: +76 Prozent auf den Fiebersaft für Kinder. Spannender dürfte es bei der nächsten Preisanpassung werden, denn jetzt wissen die Konkurrenten mehr voneinander.
Sehr genau im Blick haben sich auch die Wettbewerber im EDV- und Abrechnungsgeschäft. Denn die Sanierung der Noventi verspricht Bewegung in den Markt zu bringen. Die Jagd hat begonnen, wenn auch noch verhalten.
Ein bisschen was dran ist übrigens doch an unserer Geschichte von der Apotheke, die nicht schließen darf. Die Rurtal-Apotheke durfte nämlich keine halbe Stunde später ausmachen, bis der Bus da war. Jetzt hat sie eine Ausnahmegenehmigung erhalten – aber nur für die dunkle Jahreszeit. Ihnen ist jetzt die Erlaubnis zum Wochenende erteilt!