Ungeimpfte müssen Umschau bezahlen Alexander Müller, 11.09.2021 07:52 Uhr
Die Politik verliert angesichts der stotternden Impfkampagne allmählich die Geduld. Eine gewissermaßen selbstverschuldete Quarantäne sollen die Impfskeptiker:innen je nach Bundesland künftig selbst bezahlen – umstritten, aber womöglich wirksam. Vielleicht möchten die Apotheken auch dazu beitragen, dass die Quote endlich wieder steigt. Die Macht dazu hätten sie.
Die Teams in den Apotheken sind gegenüber der Corona-Impfung überdurchschnittlich positiv eingestellt. Die Impfquote lag schon vor Wochen jenseits der 85 Prozent, in der Offizin herrscht Herdenimmunität. Mehr noch: Eine Mehrheit der Apotheker:innen und PTA ist durchaus immuno-missionarisch unterwegs und will andere für den Shot begeistern. Wo das mit Argumenten nicht gelingt, müssen Maßnahmen her.
Druckmittel Nummer 1 dürfte die Umschau sein, wahlweise die My Life, im Idealfall beide. Die begehrten Hefte bekommen ab sofort nur noch Durchimmunisierte gratis. Das Zertifikat berechtigt zum Bezug. Alle anderen zahlen einen angemessenen Kioskpreis, beispielsweise 5,80 Euro.
Das Konzept lässt sich natürlich auf alle anderen Zugaben, die wie selbstverständlich in der Offizin eingefordert werden, erweitern: „Sie wollen unseren schönen Kalender? Dann tragen wir doch gleich als erstes Ihre Impftermine ein.“ Oder Pröbchen? „Sehr gerne: Dosis um Dosis und Kosmetik nur für Aufgefrischte. Wer kostenlos seinen Blutdruck bestimmen lassen will, muss zunächst seine Antikörper zählen lassen. Wem das alles zu radikal ist, der kann auch nach dem Modell Traubenzucker statt Peitsche verfahren und für jeden Stempel im Impfpass Süßigkeiten unters Volk bringen.
Die allermeisten Apotheker:innen werden vermutlich nicht in solchen erzieherischen Übereifer verfallen, sollten aber darauf vorbereitet sein, von der Politik pädagogisch einbezogen zu werden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jedenfalls scheint wieder erwacht und macht Druck. Spahn will erstmal weitermachen, aber Lauterbach lauert. Warum das Thema allerdings im Wahlkampf so wenig stattfindet, ist nicht nur uns ein Rätsel (Podcast hören). Auch die Abda wünscht sich ein Gesundheitstriell.
Allein mit Apothekenthemen könnte man den ganzen Wahlabend füllen. Politiker:innen sind immer ganz perplex, wenn sie von Nullretaxationen hören. Besonders fies bei systematischen Fehlern ist, dass die Apotheken nicht sofort gegensteuern können, weil die Retax erst eintrudelt, wenn die Ursache vielfach reproduziert wurde. Noch weiter in die Vergangenheit reisen manche Hersteller: Haemato forderte von einer Apothekerin Nachweise zum Bezug des Hochpreisers Ninlaro – von vor zwei Jahren. Der Reimporteur bangt um den Herstellerrabatt.
Sehr viel schneller in der Abrechnungsfalle sind Apotheken mit ihren Schnelltests. Denn plötzlich interessiert sich das Bundesgesundheitsministerium für sämtliche Details. Die Teststellen sollen nach den Plänen des Ministeriums gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen alle Tests offenlegen, samt Name und Ergebnis. Wegen ein paar schwarzer Schafe wird die ganze Herde rasiert.
Mit den kostenlosen Tests ist es ja für die allermeisten sowieso bald vorbei (s.o. Impfdruck erhöhen). Selbst die derzeit von der Selbstzahlerpflicht ausgenommenen Schwangeren werden bestimmt bald zur Kasse gebeten, da die Stiko die Impfung nun auch für sie empfiehlt. Damit die anderen überhaupt noch eine Teststelle finden, wird die Vergütung leicht erhöht: von 11,50 auf 13,50 Euro. Vielleicht will Spahn damit aber auch nur einen Pflock einschlagen, wie viel die Apotheken für die kostenpflichtigen Tests kassieren sollen. Wäre ein typischer Spahn-Move.
Die Welt hält die Einnahmen der Apotheken in der Corona-Krise sowieso für übertrieben. Aber nicht die Welt der klarsehenden Mehrheit, sondern dieses Springerblättchen Welt am Sonntag. Die mokiert sich über die Ausgaben für die Impfzertifikate (bald auch für Booster). Wie wärs: Ihr schaut nochmal genauer hin, wer sich mit welchen korrupten Deals in der Corona-Krise wirklich die Taschen vollgemacht hat.
Die CDU verscherzt es sich weiter mit den Apotheken: Schon wieder DocMorris-Werbung im Parteimagazin. Generalsekretär Paul Ziemiak hatte deswegen Ärger zu Hause, seine Frau ist nämlich Apothekerin. Er will das Thema demnächst geraderücken. Und am Mittwoch war Ziemiak zu Besuch bei Medice in seinem Wahlkreis. Aber er war nicht einmal der Top-Promi: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auf ihrer Abschiedstour beim Mittelständler vorbeigeschaut. Die Iserlohner sind fast geplatzt vor Stolz.
Einen leisen Abgang hat dagegen AVWL-Chef Klaus Michels hingelegt. Zur Halbzeit hat er an Thomas Rochell übergeben, der bei seiner ersten Mitgliederversammlung gleich erklären durfte, warum man noch nicht über Gedisa abstimmt. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) muss noch liefern. In Sachen pharmazeutische Dienstleistungen haben die Krankenkassen sich dagegen in Schiedsverfahren gemauert, der DAV hat die Schiedsstelle angerufen.
Die nächste deutsche Versandapotheke ist hinter der niederländischen Grenze verschwunden: Delmed gehört jetzt zu Marcol und soll Teil eines europäischen Netzwerkes von Versandapotheken werden. Und falls Ihnen das Zahnschmerzen verursacht: Hier sind die Alternativen zu Dentinox, das fehlt nämlich gerade. Schönes Wochenende!