Testkäufer-Kartei geleakt Alexander Müller, 29.06.2019 07:52 Uhr
Als ob die Apotheken mit Lieferengpässen, Hilfsmittelpräqualifizierungen und dem neuen Rahmenvertrag nicht schon genug Arbeit hätten – ständig werden sie auch noch von Testkäufern behelligt. Doch woher kommen die eigentlich alle? Jetzt kommt raus: Es gibt eigens eine Kartei, aus der man sich sein Lockvogelteam zusammenstellen kann.
Für Apotheker und PTA ist kein Tag wie der andere, was ja auch das tolle an diesen Berufen ist. Kunden treten mit den absonderlichsten Wünschen und Beschwerden an den HV-Tisch und lassen sich beraten. Und trotzdem – oder gerade deswegen – entwickeln erfahrene Fachkräfte einen sechsten Sinn für Pseudokunden, die einen mehr oder weniger auffällig in die Falle locken wollen.
Aber leicht ist das nicht. Denn es handelt sich um echte Profis, eine verschworene Gemeinschaft von Testkäufern, die im Auftrag von Aufklärungs-TV-Formaten die Bevölkerung vor geradezu explosiven Arzneimittelkombinationen, gefährlichen Zusatzstoffen oder auch einfach nur vor den viel zu hohen Preisen warnen und bewahren wollen. Weiße Ritter mit falschen Schnurrbärten.
Doch mit den anonymen Besuchen dürfte es bald schwieriger werden. Denn eine ganze Reihe von Identitäten ist jetzt aufgeflogen. Da ist Jenny, 41, dunkelblond und braunäugig, die sich in Apotheken gern als besorgte Mutter ausgibt, nur um die homöopathischen Produkte dann später im TV (und in ihrer Impro-Theatergruppe) hochzunehmen. Oder Kurt, ein stämmiger Mitfünfziger, der sich auf Migräne und Bluthochdruck spezialisiert hat. Insgesamt 54 solcher Identitäten sind in der Testkäufer-Kartei – man kann sie einzeln oder im Team buchen, für die Auswahl und der konkreten Aufgabenstellung gibt es Hilfestellung.
Und zwar von dem Boss der Testkäufer. Niemand weiß, wer er ist, sein Name wurde nicht geleakt. Er ist das Phantom am HV-Tisch, taucht aber nur noch selten selbst in der Offizin auf, um seine Tarnung nicht aufs Spiel zu setzen. Alles, was man über ihn weiß, ist, dass er es besonders auf Kombinationspräparate abgesehen hat. Und sehr verschmitzte Augen soll „Gigi, der TESTER“ haben.
Mittlerweile schicken ja tatsächlich nicht nur die Kammer und Panorama-Kontraste Testkunden in die Apotheke, sondern tatsächlich auch Hersteller. Die lassen arme Studenten die Schaufenster fotografieren oder drinnen die Packungen zählen. Als Beweis für den Besuch müssen diese Tester auch noch ein Traubenzucker kaufen, also wundern Sie sich nicht, wenn die Absätze in diesem Freiwahlsegment leicht anziehen. Und wundern Sie sich auch nicht über das Detailwissen der Außendienstler.
Ihre Sichtwahl müssen Apotheken sowieso komplett entrümpeln, nachdem Stiftung Warentest mit der Autorität von, nun ja, Stiftung Warentest, erklärt hat, welche OTC-Arzneimittel gut sind und welche böse. Viel Spaß bei den nächsten Beratungsgesprächen. Aber allzu oft dürfte das nicht vorkommen, sind ja nur so Exoten dabei wie MedNait, Aspirin Complex oder Thomapyrin. Immerhin der BAH springt den Apothekern ganz uneigennützig bei. Und überhaupt: Wenn das Magazin mit der OTC-Warnung eigentlich nur Werbung für die eigene kostenpflichtige Datenbank machen wollte, ist der Verbraucherschutz vielleicht nicht so im Fokus.
Im Focus waren die Apotheker, beziehungsweise ein ABDA-Sprecher. Der hat Folgendes bestätigt, halten Sie sich fest: Wenn sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre – also minus 2200 Apotheken – fortsetzt, dann gibt es in zehn Jahren 2200 Apotheken weniger. Eine genauere Prognose gibt es nicht, aus der Luft gegriffen sei die Zahl aber auch nicht, hieß es im Anschluss.
Mit Zukunftsfragen der konkreteren Art hat sich die ABDA-Mitgliederversammlung am Dienstag befasst. Unter anderem wurde der Haushaltsstreit ABDA-typisch beigelegt. Und natürlich musste über den halbfertigen Kabinettsentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesprochen werden. Die vorgesehene Boni-Lösung findet man zwar etwas besser, aber immer noch schlecht.
Das eint die ABDA mit dem entfernt befreundeten Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA), dessen Mitglieder unter der Woche ebenfalls in Berlin zusammenfanden. Chef Christian Buse meinte, die deutschen Versender seien im Gesetzgebungsverfahren vom Schlitten gefallen, wie auch immer er in dieser tropischen Woche auf diesen schrägen Vergleich gekommen ist.
Walter Oberhänsli, CEO von Zur Rose, war beim BVDVA-Kongress dagegen bester Laune. Das mag daran liegen, dass er als BVDVA-Finanzvorstand nur eine Versandapotheke in Halle/Saale vertritt, ansonsten aber eine sehr große in den Niederlanden. Und da haben es Versender derzeit eben leichter, wie auch BVDVA-Chef Buse im Podcast unumwunden zugibt. Steiler ist seine These, dass sich Patienten bei sehr hohen Temperaturen ihre Arzneimittel lieber von einem Versender bringen lassen sollen, als sie ungekühlt von der Apotheke selbst nach Hause zu bringen. Wer erinnert sich nicht an die geschmolzenen Kapseln?
Doch wenn man den Antworten von 107 befragten PTA glauben darf, dann haben tatsächlich auch etliche Apotheken ein Hitzeproblem. Bei einer APOSCOPE-Umfrage gab jeder Vierte an, dass die Höchsttemperatur nicht zu jeder Zeit eingehalten werden kann. Das wäre allerdings kein besonders gutes Signal an die Politik, die ja gerade die Bedingungen für den Versandhandel schärfen will – wenn das Apothekenstärkungsgesetz denn überhaupt noch kommt. Die Bühler-Petition bekommt vielleicht noch eine zweite Chance.
Ein anderes Gesetz von Minister Spahn hat es inzwischen durch den Bundesrat geschafft. Das GSAV ist beschlossen, auch wurde wegen der Importförderklausel nun doch nicht der Vermittlungsausschuss angerufen. Vom Tisch ist das Thema damit aber noch nicht. Der Streit zwischen DAV-Chef Fritz Becker und den Importeuren wurde auch in dieser Woche mit markigen Sprüchen fortgesetzt. Fortsetzung folgt, garantiert! Schönes Wochenende und verpassen Sie Ihren Notdienst nicht!