„Tausche Apotheke gegen Festanstellung“ Alexander Müller, 11.08.2018 07:51 Uhr
Er hätte so gerne mal wieder einen Samstag frei. Aber der Landapotheker findet einfach keine Vertretung. Seit einem Jahr sucht er nun schon einen Approbierten. Das Team ist nett, die Stammkunden freundlich und die Bezahlung wäre auch mehr als in Ordnung. Doch es meldet sich niemand. Da hat er eine gewagte Idee, die alles auf den Kopf stellt.
Der Einfall kam ihm abends im Büro. Die Angestellten sind längst im Feierabend. Der Chef war gerade mit der unausweichlichen Rezeptkontrolle durch und wäre eigentlich gerne auch nach Hause. Da fällt ihm ein, dass er noch eine neue Stellenanzeige aufgeben wollte. Es nützt ja nichts, irgendwann wird sich schon jemand finden.
Diesmal wollte er es in der Tageszeitung versuchen. Die Anzeige ist zwar recht teuer und der Apotheker hat Zweifel, dass viele Kollegen das Blatt lesen, aber einen Versuch ist es wert. Um sich von anderen Annoncen inspirieren zu lassen, blättert er ein wenig in der Zeitung. Er liest einen Artikel über Gehaltsunterschiede. Dass es ein beunruhigendes gesellschaftliches Phänomen sei, wenn der Chef 200-mal mehr verdiene als seine Angestellten im Durchschnitt.
Der Apotheker hält inne. Holt seine letzte BWA. Holt die letzten Gehaltsabrechnungen. Und setzt sich an seine Stellenanzeige:
„Tausche Apotheke gegen Festanstellung! Lust auf Selbstständigkeit? Endlich die eigene Apotheke? Können Sie haben! Übergebe meine Apotheke für 1€. Einen Approbierten bekommen Sie auch: Mich! Festanstellung, Tarif +30%, max. 1 Notdienst/Monat.“ Dann legt er sich schlafen, etwas beruhigt, wenn auch nur im Nachtdienstzimmer…
Nein, ein solcher Deal würde sich für die meisten Apotheker noch nicht lohnen. Das wäre auch ein ähnlich besorgniserregendes Signal wie der Gehaltvergleich in DAX-Konzernen. Aber es stimmt, dass immer mehr Apotheken aufgeben müssen, weil es sich nicht mehr lohnt oder sie keinen Nachfolger finden. Und es trifft ebenso zu, dass sich die Adexa bei den Tarifverhandlungen gar nicht mehr besonders anstrengen muss, weil der Fachkräftemangel die tatsächlich gezahlten Gehälter sowieso in ganz andere Dimensionen getrieben hat.
Ein echtes Beispiel gefällig? Bitteschön: Michael Lohse hat für seine Pelikan-Apotheke im sächsischen Marienberg einen Approbierten gesucht, lange ohne Erfolg. Dann hat er in die Annonce geschrieben: Bezahlung 70 Prozent über Tarif. Das hat dann wenigstens geklappt. „Tja, was soll man machen“, sagt der Apotheker, „der Markt regelt die Preise“. Siehe oben.
Oder das Waterloo von Hochdorf. Apothekerin Martina Bokermann wollte eine Filiale eröffnen, scheiterte aber am Fachkräftemangel. Ich wollte, es wäre Nacht oder die Phamazeuten kämen. Jetzt hat der Bürgermeister die Angelegenheit zur „Chefsache“ erklärt. So weit ist es schon gekommen. Wobei sich Niklas Schellenberger und sein Vater Gernot vermutlich Hilfe von offizieller Seite gewünscht hätten. Sie haben gerade eine Apotheke im Nachbarort übernommen und erfahren, dass der einzige Arzt demnächst aufhört.
Und mal ehrlich: Das Gefühl, in der Apotheke sein eigener Herr zu sein, hat doch auch etwas gelitten in den letzten Jahren. Wenn man bei der Abgabe jedes Blutdrucksenkers wahlweise von der Krankenkasse drangsaliert oder vom Kunden beschimpft wird, kratzt das schon am Unabhängigkeitsmythos.
Oder bei der Betriebsprüfung, bei der man trotz reinstem Gewissen vor Angst zittert. Oder bei der Revision. Wenn der Inhaber Pech hat, lässt der Pharmazierat ihn die ganze Zeit spüren, wer am längeren Hebel sitzt. Richtig großes Pech ist es, wenn die Pharmazierätin zwar nett ist, einem aber mit Nachdruck zum Umzug rät, weil die Apotheke sonst unverkäuflich ist.
Ein etwas entspannteres Verhältnis zur Aufsicht haben die Versandapotheken. Die müssen nämlich nur in ihrem QMS hinterlegen, wie sie bei den aktuell hohen Temperaturen sicher Arzneimittel verschicken können. Von Testkäufen der Aufsichtsbehörden bleiben sie verschont. Gilt zumindest für die Versender im Einzugsgebiet des Berliner LAGeSo. Die Apotheken vor Ort wurden parallel noch einmal an die Einhaltung der Hitzeregeln erinnert.
Neue Rabattregeln plant Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den Großhandel. Vielmehr eine Rabattsperre für die Apotheken. Aber der Großhandel verordnet sich traditionell seine Marge selbst (Handelsspannenausgleich) und wird auch künftig Schleichwege finden. Für Rabatte und für Gebühren. Wollte Spahn der gesamten Branche wirklich helfen, würde er jeder Handelsstufe eine auskömmliche Marge zugestehen. Vielleicht kommt das ja mit der großen Reform im Herbst.
Bis dahin muss der Alltag bewältigt werden. Die Hitze ist erst einmal überstanden, die Impfung fürs nächste Mal gemerkt. Aber es kommen immer wieder neue Herausforderungen. Oder haben Sie schon einmal eine Klassenfahrt retten müssen? Kollegin Anna Holzer hat so schon ihren Notdienst verbracht.
Für den ganz normalen Wahnsinn bleibt immer noch Valsartan. Die ARD trägt weiter zur Aufklärung bei („Eine Tablette so schädlich wie fünf Zigaretten“) und die Grünen schlachten Spahn wegen Twitter. In den USA wurde derweil bekannt, dass ein weiterer Lohnhersteller verunreinigten Wirkstoff ausgeliefert hat. Immerhin: Eine neue Rückrufwelle wird es nicht geben, weil laut BfArM hierzulande niemand bei dem indischen Lieferanten eingekauft hat. Nebenbei: Es gibt auch vielerorts gar keine Ware mehr, die man aus den Schüben holen könnte.
Die ABDA muss sich um die sehr nahe Zukunft kümmern. Ob das Pilotprojekt zum E-Rezept noch mit Spahns Geduld zu vereinbaren ist? Die Rechenzentren kämpfen um die Pole Position und mein Kollege Lothar Klein ist sich sicher: Das E-Rezept rockt den Apothekenmarkt. Rocken Sie mit! Rocken Sie ab! Schönes Wochenende!