Spahns Unterschriftenmappe Alexander Müller, 24.10.2020 08:01 Uhr
Videokonferenzen machen es möglich, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seine Amtsgeschäfte auch aus der häuslichen (heißt das immer so?) Quarantäne weiterführen kann. Doch die Digitalisierung hat noch Grenzen, manches Schriftstück muss vom Minister persönlich gegengezeichnet werden. Das wollte sich offenbar ein geheimnisvoller unbekannter zu Nutze machen.
So viele Unterschriftenmappen sind es dann auch nicht, die vom berittenen Boten in Spahns Homeoffice gebracht werden. Daher war der dicke Stapel mit Vorlagen schon etwas merkwürdig. Vor allem die Inhalte: Ein Dekret zur sofortigen Demission des Präsidenten der Bundesärztekammer sollte Spahn unterzeichnen – dabei geht das selbst in Coronazeiten über seine Befugnisse. Und warum auch? Nur wegen dieses Maskenspruchs? Die Ärzte sind doch eh schon wieder auf Linie. Zerknüllt und in den Papierkorb damit.
Und was sollte das sein? Erweiterung der Maskenpflicht auf „immer und überall, denn nachts merkt man vielleicht nicht, ob man richtig Abstand hält“. Nun ja, strenge Regeln schön und gut, denkt der Minister, aber man darf es auch nicht übertreiben. Sonst leidet die Akzeptanz in der Bevölkerung – und das kann er sich nicht erlauben. Zack, weg damit. Regiert sich gut aus Homeoffice.
Änderungen am Apothekenstärkungsgesetz soll er plötzlich gegenzeichnen. Komisch: Die Sache mit der Temperaturkontrolle für ausländische Versender hatte ihm doch schon die CSU abgenötigt. Hoffentlich gibt das nicht noch Ärger. Aber das hier?
- Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots für Apotheken
- Aufhebung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel
- Evidenzbasierte Sicht- und Freiwahl
- Nieder mit der Homöopathie
Spahn schüttelt verwirrt den Kopf. Das ist doch nicht von ihm, oder? Da klingelt das Telefon. Eben habe ein Unbekannter versucht, sich Zutritt zum Bundesgesundheitsministerium zu verschaffen. Mit einer Jens Spahn-Gesichtsmaske verkleidet habe er sich am Pförtner vorbeischleichen wollen. Als der Sicherheitsdienst ihn des Platzes verwies, habe er geschrien: „Aber ich bin der Minister! Ich will Gesundheitsminister sein!!“ Nachdenkliche Stille im Blauen Salon des Westflügels.
Dem echten Minister Jens Spahn geht es offenbar trotz seiner Sars-Cov2-Infektion den Umständen entsprechend gut, er soll nur leichte Erkältungssymptome haben. Insofern scheint es auch vertretbar, dass er die Amtsgeschäfte von zu Hause aus weiterführt. Und natürlich wünschen wir alle beste Genesung.
Mit Spahn hat sich erstmals ein Mitglied des Kabinetts mit dem neuartigen Virus infiziert und als oberster Pandemiemanager des Landes steht das in der Bedeutung eigentlich nur einer Erkrankung der Kanzlerin nach. Natürlich ist Spahn als Minister viel unterwegs und hat unvermeidliche Kontakte. Andererseits gilt er als jemand, der sich streng an die Sicherheitsmaßnahmen hält. Insofern steht natürlich die Frage im Raum, wo er sich angesteckt haben könnte. Wirklich offen gefragt: Ist das privat? Wie transparent müssen Infektionsketten in diesem Fall nachverfolgt werden? Unter welchen Umständen muss das Kabinett in Quarantäne, wer darf wie lange unter welchen Umständen weiterarbeiten? Und wer entscheidet das eigentlich? Dieses gedankenlose Virus stellt auch immer wieder neue Fragen an unsere Demokratie.
Neue Machtverhältnisse gibt es auch bei dem, was mal die Initiative Pro AvO war. Zum einen, weil nicht mehr alle der „Big Five“ bei der jüngsten Kapitalrunde mitmachen wollten, als noch einmal rund 3 Millionen Euro in das Plattform-Projekt geschüttet wurden. Zum anderen und vor allem aber, weil mit Phoenix jetzt ein recht breitschultriger sechster Mitspieler mit am Tisch sitzt. Mehr noch: Noventi und Phoenix gründen zunächst zu zweit neu, die anderen dürfen dann nachkommen. Das ist angeblich alles abgestimmt und einvernehmlich. Doch hinter vorgehaltener Hand sind durchaus andere Töne zu hören, und der Spottruf „Initiative Pro Phoenix“ zählt noch zu den schmeichelhafteren.
Bei einem der Pro AvO-Gründer steht eine andere große Veränderung an: Der Zusammenschluss von Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) steht unmittelbar bevor. Am 1. November soll es so weit sein, Details gibt es immer noch nicht. Unter welchem Namen und wessen Führung das Gemeinschaftsunternehmen auftreten soll, wurde bislang genauso wenig verraten wie Informationen dazu, wo es seinen Hauptsitz haben wird und welche Vertriebszentren oder Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen sollen.
Was leider sehr vorhersehbar ist: Dass die Corona-Zahlen weiter steigen. Erstmals mehr als 11.000 gemeldete Neuinfektionen an einem Tag. Auch die Apothekenteams fürchten einen langen Corona-Winter. Bei der Durchbrechung der Infektionsketten könnte ihnen bald eine zentrale Rolle zukommen – Stichwort Schnelltests in der Apotheke. Dazu eine kleine Übersicht.
Die Versandapotheken beteiligen sich auch aktiv in der Kontaktverminderung. Zur Rose hat sogar mehr als 40 Millionen Euro für 18.000 Videosprechstunden (Q3) gezahlt, aber das ist ja auch ein Investment in die rosige E-Rezept-Zukunft. Dass Union und SPD mit einem VOASG-Änderungsantrag auch von ausländischen Versendern künftig verlangen, dass die Medikamente in den Päckchen nicht wahlweise einfrieren oder schmelzen, dürfte die gute Laune jenseits der deutsch-niederländischen Grenze kaum schmälern. Papier ist geduldig – und wo kein Kontrolleur, da keine Sanktion. Immerhin: Ein Anfang und ein guter Erfolg für den CSU-Abgeordneten Pilsinger.
Zum Schluss noch ein paar Botschaften aus der Apothekenpraxis: Wenn Sie eine Apotheke verpachten, sollten Sie nicht zu gierig sein. Wenn Ihnen eine Hersteller Weingummi schickt, sollten sie dagegen sehr gierig sein und die Beweise schnell vernichten. Und wenn Ihr benachbarter Konkurrent schließt, sollten Sie sich nicht freuen, weil das erstens gemein ist und Sie dann zweitens auch seine Notdienste erben. In diesem Sinne, schönes Wochenende oder – wen es trifft – einen entspannten Notdienst.