Spahns nächster Coup: Impfung bei Aldi Alexander Müller, 27.02.2021 08:00 Uhr
Dinge, die Jens Spahn fehlen: ein Parteivorsitz, Corona-Impfstoff, ein Plan für den Einsatz von Schnelltests. Dinge, von denen Jens Spahn wirklich genug hat: Nachfragen zu seinen Immobiliengeschäften, Kritik an „seiner“ Impfstoffpolitik, überhöhte Einkaufspreise, an denen Parteifreunde beteiligt sind. Diese Probleme werden jetzt angegangen.
Schritt 1: Testen, testen, testen und nur nicht an die Apotheker denken. Jetzt sind die Discounter dran: Laientests in rauen Mengen bei Aldi, Lidl & Co – so will Spahn aus der Defensive. Ja ja ja, jetzt wird wieder in das Röhrchen gespuckt (sorry an die Älteren für den Ohrwurm), das technisierte Nasebohren jetzt ausdrücklich erwünscht. Wer noch Fragen zur Durchführung hat, kann sich entweder in der Apotheke wegschicken lassen oder dieses Video anschauen.
Schritt 2: Beim Discounter gibt es FFP2-Masken für 88 Cent. Also macht Spahn einen Deal: Er erlaubt den Märkten, die Coupons anzunehmen und abzurechnen, wenn sie zwölf statt sechs Masken herausgeben. Und wenn er den Erstattungspreis dann nochmal ein bisschen drückt, steigen analog seine Beliebtheitswerte.
Schritt 3: Wer Tests verkaufen kann, kann auch testen: Das Personal in den Märkten wird kurz geschult und die Pfandautomaten werden umfunktioniert – fertig ist die Teststelle. Wer positiv getestet wird, darf sich in der Obst- und Gemüseabteilung noch einen Apfel auf Staatskosten nehmen und gleich im Markt den PCR-Test zur Kontrolle absolvieren. Dieser darf ausschließlich vom Marktleiter oder der Marktleiterin durchgeführt werden. „Wir wollen Vertrauen schaffen. Die Menschen müssen sich sicher sein, und das können sie auch, dass hierbei ausschließlich qualifiziertes Fachpersonal zum Einsatz kommt“, so Spahn.
Schritt 4: TK. Jeder Discounter hat sie – die Kühlabteilung. Wie gemacht für den Corona-Impfstoff. Also heißt es: Pizza, Rahm-Spinat und Vanilleeis raus, einmal am Thermostat gedreht und Comirnaty rein. Und wenn die Discounter mit den Herstellern nachverhandeln, springt mehr als eine Extradosis pro Vial heraus. Und wenn erst der Eigenmarken-Impfstoff in der Truhe liegt... Doch dann wacht Spahn auf.
Was es immerhin in die Realität geschafft hat: Die Sonderzulassungen für die ersten drei Laientests sind da, pünktlich zu Spahns Regierungsbefragung kam die gute Nachricht vom BfArM. Damit wird jetzt in den kommenden Tagen und Wochen der Markt geflutet. Die Apotheken fragen sich, wie sie mit Kunden umgehen sollen, die mit den billig gekauften Tests in die Apotheke kommen. Wegschicken und gegen Gebühr beraten sind häufiger genannte Alternativen. Oder diese Video-Links verbreiten: Speichel, Lolly, Nasal.
Was mit Blick auf die Discounter auch stimmt, ist, dass Minister Spahn sich von deren Beteiligung eine „neue Qualität“ verspricht, vermutlich aber vor allem Quantität meint. Die Apothekenpflicht war ihm einfach zu teuer. Versender wie Shop-Apotheke lassen sich schon auf die Rabattschlacht ein. Auch andere Versender preschen bereits vor und führen die Tests im Sortiment. Ein Autohaus verschickt sogar schon. Auch viele Apotheken fragen sich: Wann wird geliefert, wie wird kalkuliert?
Gleichzeitig überlegen viele Vor-Ort-Apotheken noch, welche Rolle sie bei der Durchführung von Schnelltests mit dokumentiertem Ergebnis spielen wollen. Nicht jeder hat den Elan wie Kollege Dr. Björn Schittenhelm, der uns sein Böblinger Modell im Video erklärt hat. Gemeinsam ein Testzentrum aufbauen, lieber alleine im Kleinen ein paar Tests anbieten oder sich ganz heraushalten – an dieser Frage scheiden sich die Geister. Einige Apotheken haben auch schon die Erfahrung gemacht, dass das Angebot gar nicht so sehr nachgefragt wird. Das dürfte sich allerdings schlagartig ändern, wenn die Tests kostenlos für alle werden. Wer sich zu dem Thema noch schlau machen möchte, dem sei in eigener Sache das VISION.A Webinar wärmstens empfohlen. Kostenloser Wissensaustausch mit Fachleuten, am Dienstag geht’s mit dem ersten Webinar los.
Viele Apotheker:innen befürchten aktuell, dass es sich für sie alleine schlicht nicht lohnt. 9+9 Euro für den ganzen Aufwand sind nicht gerade üppig bemessen. Und dann steht das Honorar ja auch schon wieder auf wackeligen Füßen – die Haushälter im Bundestag waren nicht zufrieden mit Spahns Vorstoß. Richtig auflaufen ließ ihn aber anscheinend die Kanzlerin im Kabinett, so dass der Gesundheitsminister die Sache der Regierung bei der Befragung im Bundestag ohne rechten Plan vertreten musste. Er sagte sehr oft „wir“, schob die Verantwortung ein ums andere mal zu den Ländern und wirkte insgesamt ziemlich „pandemiemüde“.
Sollten die Apotheken doch in nennenswertem Umfang in die Testung eingebunden werden, wären sie dabei gern sicher: Ohne Impfung keine Schnelltests oder: Wer testet, wird geimpft. Die Forderung nach einem Aufrücken in den Priorisierungslisten wurde verschiedentlich laut – und in Baden-Württemberg auch schon erhört. Das ist nur konsequent mit Blick auf die Lehrer:innen.
Beinahe sind die FFP2-Masken in den Hintergrund gerückt. Dabei gibt es noch spannende Fragen: Welche Masken sind für Kinder geeignet? Wann und wie gedenkt die AOK Plus ihre Versicherten zu versorgen? Und wie genau hat sich eigentlich der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein Masken besorgt? Dafür interessiert sich sogar die Staatsanwaltschaft: Razzien an mehreren Standorten, entzogene Immunität im Bundestag und der Posten als Unions-Fraktionsvize ruht einstweilen. Es könnte eine ausgedehnte Ruhe werden.
Auf dem Markt tut sich: viel zu wenig. Die Lager vieler Apotheken sind voll, die Hersteller dürfen in der nächsten Saison nicht mi allzu großen Bestellungen rechnen. Diese Berliner Apothekerin erklärt, warum sie künftig schlechtere Konditionen im Großhandel in Kauf nimmt: Der Abschied vom Direktgeschäft, belegt mit den Zahlen der Kolleg:innen von aposcope. Schönes Wochenende!